Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19[1]

[1] Abgedruckt in diesem Heft S. 28.

Einführung

Mit seinen Entscheidungen vom 15.11.2017 – XII ZB 503/16[2] und 25.9.2019 – XII ZB 25/19[3] hat der BGH den Weg bereitet für eine entscheidende Veränderung der Berechnung des Ehegattenunterhaltes bei höheren Einkommensverhältnissen. Mit seiner Entscheidung vom 16.9.2020 setzt der BGH diesen praxisgerechten Ansatz jetzt für den Minderjährigenunterhalt fort.

[2] BGH FamRZ 2018, 260 = FF 2018, 107; Viefhues, jM 2018, 460; Seiler, FamRZ 2018, 263; Graba, FF 2018, 110-112; Schilling, FF 2019, 159; Breuers/Thormeyer, FuR 2018, 179; Büte, FuR 2018, 334.
[3] BGH NJW 2019, 3570 = FamRZ 2020, 21 = FF 2019, 495; Born, NJW 2019, 3555; Grandel, FF 2020, 78; Viefhues, jM 2020, 184; Lies-Benachib, FamRZ 2020, 21.

A. Auskunftsanspruch des Kindes

In erster Linie befasst sich der Beschluss mit dem Auskunftsanspruch des Kindes und erteilt auch hier beim Minderjährigenunterhalt der früher üblichen Abwehrstrategie des Besserverdieners eine Absage, unter Verweis auf seine "unbegrenzte Leistungsfähigkeit" die geforderte Auskunft zu verweigern.[4] Diese Auskunftsverweigerung erfolgte nicht selten mit dem Hintergedanken, damit den Unterhaltsberechtigten zur die Begründung des Zahlungsanspruchs auf den – recht aufwendigen – Weg der konkreten Bedarfsberechnung zu zwingen.

Bereits in seiner entsprechenden Entscheidung zum Ehegattenunterhalt hatte der BGH verdeutlicht, dass die Höhe des Einkommens eines Unterhaltspflichtigen nicht lediglich für die Bemessung seiner Leistungsfähigkeit relevant ist, sondern auch bereits für die Frage des Bedarfes von Bedeutung sein kann. Nach § 1580 S. 2 i.V.m. § 1605 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Da also folglich ein Auskunftsanspruch bereits dann gegeben ist, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Auskunft Einfluss auf den Unterhalt hat, kann die Auskunft nicht mit dem Hinweis auf eine "unbegrenzte Leistungsfähigkeit" verweigert werden.

Der BGH stellt klar, dass einer solchen Erklärung regelmäßig lediglich zu entnehmen ist, dass der Erklärende darauf verzichtet, den Einwand fehlender oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit geltend zu machen. Es ist damit aber nicht geklärt, dass auch der Unterhaltsbedarf ohne Rücksicht auf die Einkommenshöhe ermittelt werden kann.

[4] So schon BGH v. 15.11.2017 – XII ZB 503/16, FamRZ 2018, 260 = FF 2018, 107 für den Ehegattenunterhalt.

B. Ausführungen zur Unterhaltsberechnung

I. Bedarf des minderjährigen Kindes

Der BGH beschränkt sich aber nicht auf die Entscheidung des streitigen Auskunftsantrages, sondern gibt zusätzlich wertvolle Hinweise für die unterhaltsrechtliche Behandlung dieser Fälle.

Es geht bei den einschlägigen Fällen um unterhaltspflichtige Eltern, deren Einkünfte oberhalb der Einkommensgrenze des Düsseldorfer Tabelle von 5.500 EUR (im Jahr 2020) liegen. Den Lösungsansatz, die Düsseldorfer Tabelle für diese höheren Einkünfte entsprechend fortzuschreiben, hat der BGH in älteren Entscheidungen abgelehnt.[5] Daher musste das minderjährige Kind bei hohen Einkünften des unterhaltspflichtigen Elternteils seinen Bedarf konkret begründen. Daran hält der BGH nicht mehr uneingeschränkt fest.

Nach § 1610 Abs. 1 BGB richtet sich der Bedarf minderjährige Kinder nach der Lebensstellung des Kindes, die sich regelmäßig bis zum Abschluss seiner Ausbildung von seinen Eltern ableitet. Der BGH stellt hier nochmals klar, dass es nach seiner neueren Rechtsprechung auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder dabei auf die Lebensstellung beider Eltern ankommt.

Diesem Gedanken ist zuzustimmen. Hier empfiehlt sich – wie regelmäßig im Unterhaltsrecht – ein vergleichender Blick in eine intakte Familie. Auch dort partizipieren der Kinder am Einkommen beider Eltern; ihr "kindlicher Lebensstandard" wird also maßgeblich von der Lebensstellung beider Eltern bestimmt. Die Auflösung der Lebensgemeinschaft ihrer Eltern durch Trennung oder Scheidung gibt keinen Grund, von diesem Ansatz abzuweichen.

Der BGH stellt weiter klar, es müsse auch bei höheren Einkünften der Eltern sichergestellt bleiben, dass Kinder in einer ihrem Alter entsprechenden Weise an einer Lebensführung entsprechend der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern teilhaben.

Dabei ist nicht maßgeblich, ob das Kind an diesem Lebensstandard tatsächlich teilgenommen hat. Eine vorausgegangene Gewöhnung des Kindes an den Lebensstandard seiner Eltern, die durch den Unterhalt abgesichert werden müsse, ist daher nicht erforderlich.

Auch hier ist dem BGH zuzustimmen: Denn auch dann, wenn das Kind von Geburt an bei seinem alleinerziehenden Elternteil gelebt hat, hat es nie tatsächlich unmittelbar am Lebensstandard seines barunterhaltspflichtigen Elternteils teilgenommen, sondern nur mittelbar über dessen Unterhaltszahlungen daran partizipiert.

Auf der anderen Seite wurde sein Bedarf aber nicht nur allein nach den Unterhaltsleistungen des außerhalb der Familie lebenden "Zahl-Elternteils" bestimmt, sondern auch durch den Naturalu...

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