Einleitung

Die Bedeutung der Umgangsregelungsverfahren ergibt sich eindrucksvoll aus den neuesten, vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Ergebnisdarstellungen über Zahl und Gegenstände der vor dem Amtsgericht 2017 erledigten Familiensachen. Danach wurden 2017 in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 54.374 umgangsrechtliche Verfahren (auch § 165 FamFG) in 1. Instanz und 1.950 Verfahren (auch § 165 FamFG) vor den Oberlandesgerichten in 2. Instanz beendet.[1]

Diese Zahl allein sagt aber noch nichts darüber aus, warum die Beteiligten sich über die Ausübung des Umgangs (u.U. heftig) stritten oder warum das Familiengericht sich auch veranlasst sah, von Amts wegen[2] eine Entscheidung nach § 1684 BGB zu treffen. Nach jahrzehntelanger familiengerichtlicher Erfahrung der beiden Autoren[3] bestehen seit Jahrzehnten beim Familiengericht z.T. erhebliche Auseinandersetzungen beim Umgang über Fragen zur Übernachtungs- und zur Ferienregelung. Zentraler Streitpunkt bezüglich des Umgangs ist, ob und ggf. in welchem Ausmaß Übernachtungen und Ferienaufenthalte des Kindes beim Umgangsberechtigten kindeswohlgemäß sind. Dies kann negative Auswirkungen auf das Kind und seine Eltern haben. Durch die Diskussion um das paritätische Wechselmodell haben sich die Auseinandersetzungen zu Fragen der Übernachtungen eines Kindes im Säuglings- und Kleinkindalter ergänzt.

Angesichts dieser Umstände untersucht der vorliegende Beitrag die Frage nach dem Umfang und den Grenzen des Umgangs bei übernachtungs- und ferienrechtlichen Umgangsfragen.

[1] Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Familiengerichte 2017, Fachserie 10 Reihe 2.1, S. 18 u. 72, 2018.
[2] Nach h.M. sind Umgangsverfahren Amtsverfahren (BGH NZFam 2017, 988 m. Anm. Zempel; KG NZFam 2018, 637, 639; OLG Saarbrücken FuR 2018, 371; Köhler, ZKJ 2018, 9). Ein gestellter "Antrag" stellt lediglich eine Anregung i.S.v. § 24 Abs. 1 FamFG dar. Deshalb gilt aus diesem Grund auch das Verschlechterungsverbot nicht.
[3] Der Autor, Harald Vogel, war Familienrichter vom 1.7.1977 bis 31.5.2011, während der Dipl.-Psychologe Rainer Balloff u.a. seit 1975 familienrechtspsychologische Gutachten im Auftrag der einschlägigen Gerichte anfertigt.

I. Grundlegende rechtspsychologische Erkenntnisse zu Umgangskontakten

1. Umgang und Kindeswohldienlichkeit

Juristisch dient der Umgang des Kindes mit den Eltern nach deren Trennung und/oder Scheidung dem Kindeswohl.

Das sehen Art 6. GG und §§ 1626 Abs. 3, 1684 BGB so vor. Das Kind ist Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 i.V.m. Art. 2 GG. Heilmann führt[4] hierzu zutreffend aus, dass der einfachgesetzliche Begriff des "Kindeswohls" sowohl eine Generalklausel als auch einen unbestimmten Rechtsbegriff beinhaltet. Danach liegt ein Vorrang der Kindesinteressen vor den Interessen anderer Beteiligter vor und beinhaltet sowohl eine Eingriffslegitimation als auch letztlich den maßgeblichen Entscheidungsmaßstab für das Familiengericht.

Seine Auslegung ist der permanenten Weiterentwicklung und somit auch der sich ändernden Entwicklung außerjuristischer Erkenntnisse, der Rechtspsychologie, Familienrechtspsychologie, forensischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Pädagogik, sowie "dem Wandel des Zeitgeistes und der Sozialisation des Rechtsanwenders unterworfen".[5]

Diese Vorgabe ergibt sich u.a. durch die mehrfache ausdrückliche Verknüpfung von Umgang und Kindeswohl im Gesetz, so etwa bei der Formulierung der Kindeswohldienlichkeit von Umgangskontakten mit beiden Elternteilen (§ 1626 Abs. 3 BGB) und bei dem Kindeswohlerfordernis bzw. bei dem Erfordernis einer Kindeswohlgefährdung bei unterschiedlich einschneidenden Eingriffen in das Umgangsrecht (§ 1684 Abs. 4 BGB).[6]

Anderes gilt interessanterweise nur für leibliche Väter bei gleichzeitig bestehender rechtlicher Vaterschaft. Hier hat der leibliche Vater nur dann ein Recht auf Umgang, wenn er dem Kind gegenüber ein ernsthaftes Interesse gezeigt hat und der Umgang des leiblichen Vaters mit dem Kind dem Kindeswohl dient (§ 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB). Das Kind ist nicht gefragt: Es hat weder ein Recht auf Umgang, noch wird es regelmäßig gefragt, ob es mit dem leiblichen Vater Kontakt haben möchte, wenn es sich im anhörungsfähigen Alter befindet.

Psychologisch stellt sich diese Ausgangslage als schwierig dar. Hat das Kind keine Beziehungen und keine Bindungen an den umgangsbegehrenden Elternteil, wird es zunächst – insbesondere bei Kindern unter drei Jahren – zu umgangsanbahnenden Kontakten (Umgangsbegleitung) mit Hilfe des Jugendamtes kommen müssen.

Vor allem fehlende Bindungen des Kindes (der Bindungsbegriff wird an dieser Stelle nach der Theorie von J. Bowlby benutzt und nicht als erweiterter Beziehungsbegriff im Gesetz, wie z.B. in § 1626 Abs. 3 BGB oder § 159 Abs. 2 FamFG) sollten allen Professionellen im Familiengerichtsverfahren auferlegen, vorsichtig und dosiert Umgangskontakte festzulegen und von einer Übernachtung des Kindes beim Umgangsberechtigten abzusehen.

Bindungen des Kindes an die Erwachsenen entstehen angesichts kontinuierlicher Beziehungen des Kindes mit diesen Erwachsenen bereits im ersten Lebensjahr (z.B. El...

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