Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersuchen um Vorabentscheidung: Industrial Tribunal, Truro. Vereinigtes Königreich. Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Entlassung einer transsexuellen Person. Sozialpolitik. Männliche und weibliche Arbeitnehmer. Zugang zur Beschäftigung und Arbeitsbedingungen. Gleichbehandlung. Richtlinie 76/207. Entlassung einer transsexüllen Person aus einem mit der Umwandlung ihres Geschlechts zusammenhängenden Grund. Unzulässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht im Hinblick auf das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel der Entlassung einer transsexüllen Person aus einem mit der Umwandlung ihres Geschlechts zusammenhängenden Grund entgegen. Da nämlich das Recht, nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden, eines der Grundrechte des Menschen darstellt, kann der Anwendungsbereich der Richtlinie nicht auf die Diskriminierungen beschränkt werden, die sich aus der Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Geschlecht ergeben. Er hat sich auch auf die Diskriminierungen zu erstrecken, die ihre Ursache in der Geschlechtsumwandlung haben, da diese Diskriminierungen hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, auf dem Geschlecht des Betroffenen beruhen, denn eine Person, die entlassen wird, weil sie beabsichtigt, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, oder sich ihr bereits unterzogen hat, wird im Vergleich zu den Angehörigen des Geschlechts, dem sie vor dieser Operation zugerechnet wurde, schlechter behandelt.

 

Normenkette

Richtlinie 76/207 des Rates Art. 5 Abs. 1

 

Beteiligte

P

S und Cornwall County Council

 

Tenor

Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht im Hinblick auf das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel der Entlassung einer transsexüllen Person aus einem mit der Umwandlung ihres Geschlechts zusammenhängenden Grund entgegen.

 

Gründe

1 Das Industrial Tribunal Truro hat mit Beschluß vom 11. Januar 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Januar 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen P. auf der einen sowie S. und dem Cornwall County Council auf der anderen Seite.

3 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, P., war als Geschäftsführer in einer Bildungseinrichtung tätig, die zur maßgeblichen Zeit vom Cornwall County Council, der örtlich zuständigen Verwaltungsbehörde, betrieben wurde. Ein Jahr nach ihrer Einstellung, Anfang April 1992, teilte P. dem Ausbildungsleiter und für Verwaltungs- und Finanzangelegenheiten der betreffenden Einrichtung zuständigen Direktor, S., ihre Absicht mit, sich einem Verfahren der Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Dieses Verfahren begann mit einem „life test” genannten Zeitraum, in dem sich P. wie eine Frau kleidete und benahm; im Anschluß daran erfolgten chirurgische Eingriffe, die P. die körperlichen Merkmale einer Frau verleihen sollten.

4 Nachdem sich P. einer chirurgischen Behandlung durch kleinere Eingriffe unterzogen hatte, erhielt sie Anfang September 1992 eine fristgemässe Kündigung zum 31. Dezember 1992. Der abschließende operative Eingriff erfolgte vor Wirksamwerden der Kündigung, aber nach ihrer Zustellung.

5 P. erhob beim Industrial Tribunal Klage gegen S. und den Cornwall County Council mit der Begründung, sie sei Opfer einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geworden. S. und der Cornwall County Council trugen vor, P. sei wegen Personalüberhangs entlassen worden.

6 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß der wahre Grund für die Entlassung das Vorhaben von P. war, das Geschlecht zu wechseln, auch wenn es innerhalb der Einrichtung tatsächlich einen Personalüberhang gab.

7 Das Industrial Tribunal stellte weiter fest, daß ein solcher Fall nicht vom Sex Discrimination Act (Gesetz über die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts) 1975 erfasst werde, da das englische Recht nur die Fälle regele, in denen eine Frau oder ein Mann wegen der Geschlechtszugehörigkeit unterschiedlich behandelt werde. Nach dem englischen Recht gelte P. weiterhin als Person männlichen Geschlechts. Wäre P. vor der geschlechtsumwandelnden Operation weiblichen Geschlechts gewesen, so hätte der Arbeitgeber sie wegen dieser Operation ebenfalls entlassen. Das vorl...

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