Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme. Mit dem Unionsrecht unvereinbare nationale Regelung. Rechtsfolgen. Befugnis des nationalen Richters, bestimmte Wirkungen dieser Regelung vorläufig aufrechtzuerhalten. Verpflichtung, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen

 

Normenkette

Richtlinie 2001/42/EG; Art. 267 Abs. 3 AEUV

 

Beteiligte

Association France Nature Environnement

Association France Nature Environnement

Premier ministre

Ministre de l'Écologie, du Développement durable et de l'Énergie

 

Tenor

1. Ein nationales Gericht kann, wenn das innerstaatliche Recht es zulässt, ausnahmsweise und im Einzelfall bestimmte Wirkungen einer Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts zeitlich begrenzen, die unter Verstoß gegen die in der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vorgesehenen Pflichten, insbesondere diejenigen, die sich aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie ergeben, erlassen wurde, sofern eine solche Begrenzung durch ein zwingendes Erfordernis im Zusammenhang mit dem Umweltschutz geboten ist und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der Rechtssache, mit der es befasst ist. Diese Ausnahmebefugnis kann jedoch nur ausgeübt werden, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, die sich aus dem Urteil vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne (C-41/11, EU:C:2012:103), ergeben, nämlich:

  • dass die angefochtene Bestimmung des nationalen Rechts eine Maßnahme zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Umweltschutzrechts der Union darstellt;
  • dass die Verabschiedung und das Inkrafttreten einer neuen Bestimmung des nationalen Rechts es nicht ermöglichen, die sich aus der Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmung des nationalen Rechts ergebenden schädigenden Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden;
  • dass die Nichtigerklärung der Bestimmung des nationalen Rechts zur Folge hätte, dass hinsichtlich der Umsetzung des Umweltschutzrechts der Union ein rechtliches Vakuum geschaffen würde, das insofern noch nachteiliger für die Umwelt wäre, als die Nichtigerklärung zu einem geringeren Schutz führen würde und damit dem wesentlichen Zweck des Unionsrechts zuwiderliefe;
  • dass eine ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Wirkungen der angefochtenen Bestimmung des nationalen Rechts nur den Zeitraum umfasst, der zwingend notwendig ist, um Maßnahmen zu erlassen, die die Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit ermöglichen.

2. Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ist ein nationales Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können, grundsätzlich verpflichtet, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, damit dieser beurteilen kann, ob als unionsrechtswidrig angesehene Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts in Anbetracht eines zwingenden Erfordernisses im Zusammenhang mit dem Umweltschutz und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der bei diesem Gericht anhängigen Rechtssache ausnahmsweise vorläufig aufrechterhalten werden können. Das nationale Gericht wird von dieser Pflicht nur entbunden, wenn es davon überzeugt ist – was es substantiiert nachzuweisen hat –, dass kein vernünftiger Zweifel hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen besteht, die sich aus dem Urteil vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne (C-41/11, EU:C:2012:103), ergeben.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 26. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2015, in dem Verfahren

Association France Nature Environnement

gegen

Premier ministre,

Ministre de l'Écologie, du Développement durable et de l'Énergie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Arabadjiev, J.-C. Bonichot, C. G. Fernlund und E. Regan,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Association France Nature Environnement, vertreten durch E. Wormser als Bevollmächtigten im Beistand von M. Le Berre, avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch S. Ghiandoni, F.-X. Bréchot, D. Colas und G. de Bergues als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet und C. Hermes als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. April 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Association France Nature Environnement auf der einen Seite und dem Premier ministre (Premierministe...

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