Entscheidungsstichwort (Thema)

Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Art. 45 AEUV. Verordnung (EWG) Nr. 1612/68. Art. 7 Abs. 4. Diskriminierungsverbot. Aufstockung des Arbeitsentgelts der in Altersteilzeitarbeit beschäftigten Arbeitnehmer. Grenzgänger, die im Wohnsitzmitgliedstaat der Einkommensteuer unterliegen. Fiktive Berücksichtigung der Lohnsteuer des Beschäftigungsmitgliedstaats

 

Beteiligte

Erny

Georges Erny

Daimler AG – Werk Wörth

 

Tenor

Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft stehen Bestimmungen in Tarif- und Einzelarbeitsverträgen entgegen, nach denen bei der Berechnung eines vom Arbeitgeber im Rahmen einer Regelung über die Altersteilzeit gezahlten Aufstockungsbetrags wie des im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden die vom Arbeitnehmer im Beschäftigungsmitgliedstaat geschuldete Lohnsteuer bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für diesen Aufstockungsbetrag fiktiv abgezogen wird, obwohl nach einem Besteuerungsabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen Besoldungen, Löhne und vergleichbare Entgelte, die Arbeitnehmern gezahlt werden, die nicht im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnen, in deren Wohnsitzmitgliedstaat besteuert werden. Solche Bestimmungen sind nach Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1612/68 nichtig. Art. 45 AEUV und die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1612/68 belassen den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen, die zur Verwirklichung des jeweiligen Ziels der Bestimmungen geeignet sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2011, in dem Verfahren

Georges Erny

gegen

Daimler AG – Werk Wörth

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Erny, vertreten durch Rechtsanwalt G. Turek,
  • der Daimler AG – Werk Wörth, vertreten durch Rechtsanwalt U. Baeck und Rechtsanwältin N. Kramer,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Rozet und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Erny, einem französischen Staatsangehörigen, der in Frankreich wohnt und in Deutschland arbeitet, und seinem Arbeitgeber, der Daimler AG – Werk Wörth (im Folgenden: Daimler), über die Berechnung einer Herrn Erny im Rahmen der sogenannten Altersteilzeit geschuldeten Aufstockung seines Arbeitsentgelts (im Folgenden: Aufstockungsbetrag).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und allen übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen.”

Rz. 4

Die Verordnung Nr. 1612/68 ist mit Wirkung vom 16. Juni 2011 durch die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141, S. 1) aufgehoben und ersetzt worden.

Nationales Recht

Altersteilzeitgesetz (AltTZG)

Rz. 5

In § 1 AltTZG heißt es:

„(1) Durch Altersteilzeitarbeit soll älteren Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglicht werden.

(2) Die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) fördert durch Leistungen nach diesem Gesetz die Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres spätestens ab 31. Dezember 2009 vermindern und damit die Einstellung eines sonst arbeitslosen Arbeitnehmers ermög...

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