Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialpolitik. Richtlinie 1999/70/EG. Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge. Aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge. Sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen können. Nationale Regelung, nach der der Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge im Fall der vorübergehenden Vertretung von Arbeitnehmern gerechtfertigt ist. Ständiger oder wiederkehrender Bedarf an Vertretungskräften. Berücksichtigung aller Umstände der Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge

 

Beteiligte

Kücük

Bianca Kücük

Land Nordrhein-Westfalen

 

Tenor

Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass die Anknüpfung an einen vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften in nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann. Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt weder, dass kein sachlicher Grund im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der genannten Rahmenvereinbarung gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse durch einen solchen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, müssen die Behörden der Mitgliedstaaten jedoch im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder -verhältnisse berücksichtigen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2010, in dem Verfahren

Bianca Kücük

gegen

Land Nordrhein-Westfalen

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas, A. Ó Caoimh (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Kücük, vertreten durch Rechtsanwalt H. Rust und Rechtsanwältin B. Jaeger,
  • des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten durch Rechtsanwalt T. Kade,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über befristete Verträge) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. L 175, S. 43).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kücük und ihrem Arbeitgeber, dem Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Land), über die Gültigkeit einer Reihe aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zwischen Frau Kücük und dem Land.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Mit der auf Art. 139 Abs. 2 EG gestützten Richtlinie 1999/70 soll nach ihrem Art. 1 „die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung [über befristete Verträge] …, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden”.

Rz. 4

Nach Paragraf 1 Buchst. b der Rahmenvereinbarung über befristete Verträge soll diese „einen Rahmen schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse verhindert”.

Rz. 5

Paragraf 5 („Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch”) der Rahmenvereinbarung über befristete Verträge bestimmt:

  1. „Um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung besteh...

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