Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge. Arbeitgeber, der vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagt wird, in dem er seinen Wohnsitz hat. Widerklage des Arbeitgebers. Bestimmung des zuständigen Gerichts

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 20 Abs. 2

 

Beteiligte

Petronas Lubricants Italy

Petronas Lubricants Italy SpA

Livio Guida

 

Tenor

Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dem Arbeitgeber das Recht einräumt, vor dem Gericht, bei dem die von einem Arbeitnehmer erhobene Klage selbst ordnungsgemäß anhängig ist, eine Widerklage zu erheben, die sich auf eine Forderungsabtretung stützt, die der Arbeitgeber und der ursprüngliche Forderungsinhaber vertraglich vereinbart haben, nachdem die Klage selbst erhoben worden war.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte d'appello di Torino (Oberlandesgericht Turin, Italien) mit Entscheidung vom 21. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Januar 2017, in dem Verfahren

Petronas Lubricants Italy SpA

gegen

Livio Guida

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter), D. Šváby und M. Vilaras,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Petronas Lubricants Italy SpA, vertreten durch L. Failla, G. Crespi und A. Valentini, avvocati,
  • von Herrn Guida, vertreten durch U. Oliva und C. Germano, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Pucciariello, avvocato dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und F. Moro als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. März 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Livio Guida, wohnhaft in Polen, und seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Gesellschaft italienischen Rechts Petronas Lubricants Italy SpA (im Folgenden: PL Italy) wegen der von dieser Gesellschaft gegenüber Herrn Guida ausgesprochenen Kündigung.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 11, 12, 13 und 15 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:

„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(13) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

(15) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.”

Rz. 4

Art. 6 Nr. 3 dieser Verordnung sieht in Kapitel II Abschnitt 2 „Besondere Zuständigkeiten”) vor, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, „wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht [verklagt werden kann], bei dem die Klage selbst anhängig ist”.

Rz. 5

Kapitel II Abschnitt 5 dieser Verordnung umfasst die Art. 18 bis 21 und enthält die Zuständigkeitsregeln für indiv...

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