Entscheidungsstichwort (Thema)

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE NICE – FRANKREICH. AUSLEGUNG DER ARTIKEL 30 UND 36 EWG-VERTRAG – BEGRIFFE ‚KRANKHEIT’ UND ‚ARZNEIMITTEL’ – VERKAUFSMONOPOL DER APOTHEKER FUER BESTIMMTE ERZEUGNISSE. 1. Rechtsangleichung – Arzneispezialitäten – Richtlinie 65/65 – Begriff der Krankheit – Keine Definition (Richtlinie 65/65 des Rates). 2. Rechtsangleichung – Arzneispezialitäten – Erzeugnis, das sowohl der Definition des Arzneimittels in der Richtlinie 65/65 als auch derjenigen des kosmetischen Mittels in der Richtlinie 76/768 entspricht – Unterwerfung unter die Regelung der Richtlinie 65/65 (Richtlinien des Rates 65/65, Artikel 1 Nr. 2, und 76/768, Artikel 1 Absatz 1). 3. Rechtsangleichung – Arzneispezialitäten – Definition des Arzneimittels in der Richtlinie 65/65 – Arzneimittel nach der Funktion und Arzneimittel nach der Bezeichnung – Anwendung durch die nationalen Behörden auf ein Erzeugnis, das als Mittel zur Bekämpfung bestimmter Empfindungen oder Zustände bezeichnet wird – Kriterien (Richtlinie 65/65 des Rates, Artikel 1 Nr. 2). 4. Freier Warenverkehr – Mengenmässige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Apothekermonopol – Geltungsbereich – Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 65/65 – Rechtfertigungsvermutung – Andere Erzeugnisse – Rechtfertigung – Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Verbraucher – Prüfung durch das nationale Gericht (EWG-Vertrag, Artikel 30 und 36; Richtlinie 65/65 des Rates). 5. Rechtsangleichung – Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdickungs- und Geliermittel, die in Lebensmitteln verwendet werden können – Richtlinie 74/329 – Geltungsbereich – Unterwerfung eines Erzeugnisses, das zwar unter Anhang I fällt, jedoch zu einem der Richtlinie fremden Zweck verwendet wird, unter das Apothekermonopol – Ausschluß – Anwendung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag (EWG-Vertrag, Artikel 30 und 36; Richtlinien 65/65 und 74/329 des Rates)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Richtlinie 65/65 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten enthält keine Definition der Krankheit. Diesem Begriff können nur die Definitionen gegeben werden, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Kenntnisse ganz allgemein anerkannt sind.

2. Ein Erzeugnis ist, auch wenn es unter die Definition der kosmetischen Mittel in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 76/768 fällt, dann als Arzneimittel im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten anzusehen und der entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten bezeichnet wird oder dazu bestimmt ist, zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen angewandt zu werden.

Diese Qualifizierung ist im Hinblick auf das mit beiden Richtlinien verfolgte Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit geboten, da die rechtliche Regelung für Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im allgemeinen von kosmetischen Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel.

3. Ein Erzeugnis, das als Mittel zur Förderung bestimmter Körperfunktionen bezeichnet wird, fällt als Arzneimittel „nach der Funktion” in den Geltungsbereich der Gemeinschaftsdefinition des Arzneimittels in Artikel 1 Nr. 2 Absatz 2 der Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten. Um zu bestimmen, ob es als Arzneimittel oder als Lebensmittel anzusehen ist, ist auf seine pharmakologischen Eigenschaften abzustellen. Der Umstand, daß dieses Erzeugnis in einem Mitgliedstaat als Lebensmittel qualifiziert wird, verbietet es nicht, ihm in dem betreffenden Staat die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es dessen Merkmale aufweist. Die Besonderheiten der Rechtsvorschriften über natürliche Mineralwässer haben auf die Definition des Arzneimittels im Sinne der Richtlinie 65/65 keinen Einfluß.

Ein Erzeugnis kann als Arzneimittel „nach der Bezeichnung” im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 angesehen werden, wenn es aufgrund seiner Form und seiner Aufmachung einem Arzneimittel genügend ähnelt und insbesondere wenn seine Verpackung und sein Beipackzettel einen Hinweis auf Forschungen pharmazeutischer Laboratorien, auf von Ärzten entwickelte Methoden oder Stoffe oder auch auf bestimmte Zeugnisse von Ärzten zugunsten der Eigenschaften dieses Erzeugnisses enthalten. Die Angabe, daß das Erzeugnis kein Arzneimittel ist, ist ein nützlicher Anhaltspunkt, den das nationale Gericht berücksichtigen kann; sie ist jedoch für sich allein nicht entscheidend.

Die nationalen Behörden haben – unter gerichtlicher Kontrolle – festzustellen, ob ein Erzeugnis, das als Mittel zur Bekämpfung bestimmter Empfindungen oder Zustände, wie Hunger, schwere Beine, Müdigkeit oder Juckreiz, bezeichnet wird, unter Berücksichtigung seiner Zusammensetzung, der Risiken, die mit seinem längeren Gebrauch verbunden sein können, oder seiner Nebenwirku...

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