Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Richtlinie 76/207/EWG. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c. Nationale Regelung, die die Kündigung von Arbeitnehmern erleichtert, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben. Ziel der Förderung der Beschäftigung jüngerer Menschen. Nationale Regelung, die das Pensionsalter für Frauen auf 60 Jahre und für Männer auf 65 Jahre festlegt

 

Beteiligte

Kleist

Pensionsversicherungsanstalt

Christine Kleist

 

Tenor

Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die einem Arbeitgeber erlaubt, zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, eine von dieser Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 4. August 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 4. September 2009, in dem Verfahren

Pensionsversicherungsanstalt

gegen

Christine Kleist

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), A. Rosas, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Rechtsanwalt A. Ehm,
  • von Frau Kleist, vertreten durch Rechtsanwalt H. Forcher-Mayr,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. September 2010

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 269, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 76/207).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kleist und ihrem Arbeitgeber, der Pensionsversicherungsanstalt, über die Bedingungen für die Beendigung ihres Arbeitsvertrags.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Richtlinie 76/207, die durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl. L 204, S. 23) mit Wirkung vom 15. August 2009 aufgehoben wurde, sah in Art. 2 vor:

„(1)

Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.

(2)

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

  • ‚unmittelbare Diskriminierung’: wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
  • ‚mittelbare Diskriminierung’: wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich;

…”

Rz. 4

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie bedeutet die „Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung …, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen … keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts … [in Bezug auf] die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Richtlinie 75/117/EWG” des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Recht...

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