Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte. Verhaltenskodex eines Berufsverbands, wonach die Anwendung von Tarifen verboten ist, die nicht der Würde des Berufs entsprechen

 

Normenkette

AEUV Art. 267 Abs. 3, Art. 101

 

Beteiligte

Consiglio nazionale dei geologi

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

Consiglio nazionale dei geologi

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

Consiglio nazionale dei geologi

 

Tenor

1. Art. 267 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass es allein Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Vorabentscheidungsfragen nach der Auslegung des Unionsrechts, die es für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten für erheblich hält, zu bestimmen und zu formulieren. Nationale Vorschriften, die eine Beeinträchtigung dieser Befugnis bewirken würden, müssen unangewandt bleiben.

2. Regeln wie die, die in dem Verhaltenskodex über die Ausübung des Berufs des Geologen in Italien, der vom Consiglio nazionale dei geologi am 19. Dezember 2006 genehmigt und zuletzt am 24. März 2010 geändert wurde, vorgesehen sind und die als Kriterien für die Festsetzung der Honorare der Geologen außer der Qualität und der Bedeutung der Dienstleistung die Würde des Berufs vorsehen, stellen einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV dar, der den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts beschränken kann. Das vorlegende Gericht hat in Ansehung des Gesamtzusammenhangs, in dem dieser Kodex seine Wirkungen entfaltet, und in Ansehung des gesamten nationalen Rechtsrahmens sowie der Anwendungspraxis des Kodex durch den Nationalverband der Geologen zu beurteilen, ob der Kodex die genannte Wirkung hat. Das Gericht hat auch zu prüfen, ob in Anbetracht aller ihm vorliegenden erheblichen Gesichtspunkte die Regeln des Kodex, insbesondere soweit sie das Kriterium der Würde des Berufs vorsehen, für die Umsetzung des legitimen Zwecks, der in Zusammenarbeit mit den Garantien für die Verbraucher der Dienstleistungen der Geologen steht, als notwendig angesehen werden können.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 14. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. März 2012, in den Verfahren

Consiglio nazionale dei geologi

gegen

Autorità garante della concorrenza e del mercato

und

Autorità garante della concorrenza e del mercato

gegen

Consiglio nazionale dei geologi

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Consiglio nazionale dei geologi, vertreten durch A. Lagonegro, avvocatessa,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, E. Belliard und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér, K. Molnár und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J.-P. Keppenne, L. Malferrari und G. Conte als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

 

Entscheidungsgründe

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 101 AEUV und 267 Abs. 3 AEUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Consiglio nazionale dei geologi (Nationalrat der Geologen, im Folgenden: CNG) und der Autorità garante della concorrenza e del mercato (Wettbewerbs- und Kartellbehörde, im Folgenden: Autorità) sowie zwischen der Autorità und dem CNG wegen der von der Autorità getroffenen Feststellung einer wettbewerbsbeschränkenden Abrede, die mit Hilfe der vom CNG erlassenen standesrechtlichen Vorschriften über die Festsetzung der Honorare der Geologen durchgeführt werde.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

Nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 112 vom 3. Februar 1963 zum Schutz der Berufsbezeichnung und des Berufs des Geologen (Legge n. 112 – Disposizioni per la tutela del titolo e della professione di geologo) (GURI Nr. 57 vom 28. Februar 1963, im Folgenden: Gesetz Nr. 112/1963) hängt die Ausübung dieses Berufs von der Eintragung in das vom Nationalverband der Geologen geführte Verzeichnis ab.

Rz. 4

Nach Art. 8 dieses Gesetzes besteht der Verband aus den in diesem Verzeichnis eingetragenen Geologen; diese wählen den CNG.

Rz. 5

In Art. 9 des genannten Gesetzes heißt es:

„Der [CNG] nimmt, neben den ihm durch andere Rechtsvorschriften übertragenen Aufgaben, die folgenden Aufgaben wahr:

  1. Er ist für die Einhaltung des Standesrechts sowie aller sonstigen, den Beruf betreffenden Bestimmungen zuständig;
  2. er ist für die Führung des Verzeichnisses und des Sond...

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