Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit. Niederlassungsfreiheit. Zugang zum Rechtsanwaltsberuf. Befreiung hinsichtlich der Ausbildung und des Diploms. Gewährung der Befreiung. Voraussetzungen. Nationale Regelung, die eine Befreiung zugunsten von Beamten und ehemaligen Beamten der Kategorie A oder gleichgestellten Personen vorsieht, die im nationalen Hoheitsgebiet, im nationalen öffentlichen Dienst des betreffenden Mitgliedstaats oder in einer internationalen Organisation im Bereich des nationalen Rechts beruflich tätig gewesen sind

 

Beteiligte

Onofrei

Adina Onofrei

Conseil de l'ordre des avocats au barreau de Paris

Bâtonnier de l'ordre des avocats au barreau de Paris

Procureur général près la cour d'appel de Paris

 

Tenor

Die Art. 45 und 49 AEUV sind dahin auszulegen,

  • dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die eine Befreiung von den für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf grundsätzlich vorgesehenen Voraussetzungen bezüglich der Berufsausbildung und des Befähigungszeugnisses für den Rechtsanwaltsberuf auf bestimmte Bedienstete des öffentlichen Dienstes eines Mitgliedstaats, die in dieser Funktion in diesem Mitgliedstaat in einer Verwaltung oder im öffentlichen Dienst oder in einer internationalen Organisation tätig gewesen sind, beschränkt und Beamte, Bedienstete oder ehemalige Bedienstete des öffentlichen Dienstes der Europäischen Union, die in dieser Funktion bei einem Organ der Union und außerhalb des französischen Hoheitsgebiets tätig gewesen sind, von dieser Befreiung ausschließt;
  • dass sie einer nationalen Regelung, die eine solche Befreiung davon abhängig macht, dass der Antragsteller juristische Tätigkeiten im Bereich des nationalen Rechts ausgeübt hat, und Beamte, Bedienstete oder ehemalige Bedienstete des öffentlichen Dienstes der Europäischen Union, die in dieser Funktion juristische Tätigkeiten in einem oder mehreren Bereichen des Unionsrechts ausgeübt haben, von dieser Befreiung ausschließt, dann nicht entgegenstehen, wenn diese Regelung eine Berücksichtigung juristischer Tätigkeiten, in deren Rahmen das nationale Recht praktiziert wird, nicht ausschließt.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 20. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 2019, in dem Verfahren

Adina Onofrei

gegen

Conseil de l'ordre des avocats au barreau de Paris,

Bâtonnier de l'ordre des avocats au barreau de Paris,

Procureur général près la cour d'appel de Paris

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau A. Onofrei, vertreten durch J. Jourdan und F. Abouzeid, avocats,
  • des Conseil de l'ordre des avocats au barreau de Paris und des Bâtonnier de l'ordre des avocats au barreau de Paris, vertreten durch H. Farge und C. Waquet, avocates,
  • der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou und D. Tsagkaraki als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann, É. Gippini Fournier und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 45 und 49 AEUV im Hinblick auf die in der nationalen Regelung festgelegten Voraussetzungen für die Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Adina Onofrei auf der einen Seite und dem Conseil de l'ordre des avocats de Paris (Rat der Anwaltskammer, Frankreich), dem Bâtonnier de l'ordre des avocats de Paris (Präsident der Anwaltskammer) sowie dem Procureur général près la cour d'appel de Paris (Generalstaatsanwalt beim Berufungsgericht Paris) auf der anderen Seite über den Antrag von Frau Onofrei auf Eintragung bei der Anwaltskammer.

Rechtlicher Rahmen

Französisches Recht

Rz. 3

Hinsichtlich des Zugangs zum Rechtsanwaltsberuf bestimmt Art. 11 der Loi n°71-1130, du 31 décembre 1971, portant réforme de certaines professions judiciaires et juridiques (Gesetz Nr. 71-1130 vom 31. Dezember 1971 über die Reform bestimmter Rechtsberufe, im Folgenden: Gesetz Nr. 71-1130) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:

„Zum Beruf des Rechtsanwalts zugelassen werden kann nur, wer folgende Voraussetzungen erfüllt:

  1. Er muss Franzose, ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder einer Partei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sein …;
  2. er muss, vorbehaltlich der Rechtsvorschri...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge