Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Veräußerung landwirtschaftlicher Grundstücke durch die öffentliche Hand. Nationale Rechtsvorschrift, nach der die zuständigen Behörden die Veräußerung eines Grundstücks verhindern können, wenn der angebotene Preis in einem ‚groben Missverhältnis’ zum Marktwert steht. Bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen gewährter Vorteil. Kriterium des privaten Kapitalgebers. Bestimmung des ‚Marktwerts’

 

Normenkette

AEUV Art. 107 Abs. 1

 

Beteiligte

BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH

 

Tenor

Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es zum Schutz der Interessen der landwirtschaftlichen Betriebe einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung verbietet, ein landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn dessen Angebot nach Ansicht der zuständigen örtlichen Behörde in einem groben Missverhältnis zu dem geschätzten Wert des Grundstücks steht, nicht als staatliche Beihilfe qualifiziert werden kann, sofern die Anwendung dieser Regelung zu einem Preis führen kann, der möglichst nahe beim Marktwert des betroffenen landwirtschaftlichen Grundstücks liegt; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Januar 2014, in der Landwirtschaftssache

BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH,

Beteiligte:

Thomas Erbs,

Ursula Erbs,

Landkreis Jerichower Land,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter), der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger sowie des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt C. von Donat,
  • von Herrn und Frau Erbs, vertreten durch Rechtsanwalt T. Rehmann,
  • des Landkreises Jerichower Land, vertreten durch W. Sonderhoff als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch P.-J. Loewenthal und R. Sauer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. März 2015

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (im Folgenden: BVVG) und dem Landkreis Jerichower Land über dessen Weigerung, den Verkauf eines landwirtschaftlichen Grundstücks an Herrn und Frau Erbs (im Folgenden: Eheleute Erbs) zu genehmigen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Abschnitt II Ziff. 1 Abs. 1 der Mitteilung der Kommission vom 10. Juli 1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand (ABl. C 209, S. 3, im Folgenden: Mitteilung) bestimmt:

„Der Verkauf von Bauten oder Grundstücken nach einem hinreichend publizierten, allgemeinen und bedingungsfreien Bietverfahren (ähnlich einer Versteigerung) und die darauf folgende Veräußerung an den meistbietenden oder den einzigen Bieter stellt grundsätzlich einen Verkauf zum Marktwert dar und enthält damit keine staatliche Beihilfe. …”

Rz. 4

In Abschnitt II Ziff. 2 Buchst. a der Mitteilung heißt es:

„Wenn die öffentliche Hand nicht beabsichtigt, das unter [Abschnitt II Ziff. 1] dargelegte Verfahren anzuwenden, sollte vor den Verkaufsverhandlungen eine unabhängige Bewertung durch (einen) unabhängige(n) Sachverständige(n) für Wertermittlung erfolgen, um auf der Grundlage allgemein anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards den Marktwert zu ermitteln. …

Unter Marktwert ist der Preis zu verstehen, der zum Zeitpunkt der Bewertung aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages über Bauten oder Grundstücke zwischen einem verkaufswilligen Verkäufer und einem ihm nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Käufer unter den Voraussetzungen zu erzielen ist, wobei das Grundstück offen am Markt angeboten wurde, die Marktverhältnisse einer ordnungsgemäßen Veräußerung nicht im Wege stehen und eine der Bedeutung des Objektes angemessene Verhandlungszeit zur Verfügung steht …”

Deutsches Recht

Rz. 5

§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (GrundstückverkehrsgesetzGrdstVG) vom 28. Juli 1961 (BGBl. I 1091) bestimmt:

„Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten für landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Grundstücke …”

Rz. 6

§ 2 Abs. 1 GrdstVG sieht vor:

„Die rechtsgeschäftliche Veräußerung e...

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