Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Industriepolitik. Konformitätsprüfung von Medizinprodukten. Vom Hersteller beauftragte benannte Stelle. Pflichten dieser Stelle. Fehlerhafte Brustimplantate. Herstellung unter Verwendung von Silikon. Haftung der benannten Stelle

 

Normenkette

Richtlinie 93/42/EWG

 

Beteiligte

Schmitt

Elisabeth Schmitt

TÜV Rheinland LGA Products GmbH

 

Tenor

1. Die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 1 und 10 sowie Art. 16 Abs. 6 sind dahin auszulegen, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Liegen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung möglicherweise nicht erfüllt, muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 dieser Richtlinie und den Abschnitten 3.2, 3.3, 4.1 bis 4.3 und 5.1 des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen.

2. Die Richtlinie 93/42 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß dieser Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Endempfängern begründen kann, unterliegen vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2015, in dem Verfahren

Elisabeth Schmitt

gegen

TÜV Rheinland LGA Products GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, C. G. Fernlund (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Schmitt, vertreten durch Rechtsanwältin R. Schultze-Zeu und Rechtsanwalt H. Riehn,
  • der TÜV Rheinland LGA Products GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin I. Brock, Rechtsanwalt M. Schweiger und D. Anderson, QC,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Möller und K. Petersen als Bevollmächtigte,
  • Irlands, vertreten durch E. Creedon, L. Williams und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von C. Toland, BL,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, F. Gloaguen und J. Traband als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und P. Mihaylova als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. September 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. 2003, L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/42) sowie der Abschnitte 3.3, 4.3, 5.3 und 5.4 ihres Anhangs II.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Elisabeth Schmitt und der TÜV Rheinland LGA Products GmbH (im Folgenden: TÜV Rheinland) wegen der Haftung Letzterer als benannte Stelle für Schäden, die Frau Schmitt durch fehlerhafte Brustimplantate aus Silikon entstanden sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/42

Rz. 3

Die Richtlinie 93/42 wurde durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. 2007, L 247, S. 21) geändert. Diese Änderungen betreffen jedoch Vorschriften, die ab dem 21. März 2010 anzuwenden und folglich im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht einschlägig sind.

Rz. 4

Nach dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/42 bedürfen „[d]ie einzelstaatlichen Bestimmungen, die der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Patienten, der Anwender und gegebenenfalls Dritter im Hinblick auf die Anwendung der Medizinprodukte dienen, … der Harmonisierung, um den freien Verkehr dieser Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt zu gewährleisten”.

Rz. 5

Nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 93/42 müssen „Medizinprodukte … für Patienten, Anwender und Dritte einen hochgradigen Schutz bieten und die vom Hersteller an...

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