Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung. Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung. Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung. Begriff. Wunsch eines Kunden, die Leistungen nicht von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt

 

Normenkette

Richtlinie 2000/78/EG

 

Beteiligte

Bougnaoui und ADDH

Asma Bougnaoui

Association de défense des droits de l'homme (ADDH)

Micropole SA

 

Tenor

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, die Leistungen dieses Arbeitgebers nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 9. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 2015, in dem Verfahren

Asma Bougnaoui,

Association de défense des droits de l'homme (ADDH)

gegen

Micropole SA, vormals Micropole Univers SA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentin M. Berger, der Kammerpräsidenten M. Vilaras und E. Regan, der Richter A. Rosas, A. Borg Barthet, J. Malenovský, E. Levits und F. Biltgen (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Bougnaoui und der Association de défense des droits de l'homme (ADDH), vertreten durch C. Waquet, avocate,
  • der Micropole SA, vertreten durch D. Célice, avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,
  • der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson, N. Otte Widgren, E. Karlsson und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Simmons als Bevollmächtigte im Beistand von A. Bates, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und M. Van Hoof als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Asma Bougnaoui und der Association de défense des droits de l'homme (Vereinigung zum Schutz der Menschenrechte, ADDH) auf der einen Seite und der Micropole SA, vormals Micropole Univers SA (im Folgenden: Micropole) auf der anderen Seite wegen der Entlassung von Frau Bougnaoui durch dieses Unternehmen, die mit ihrer Weigerung begründet wurde, ihr islamisches Kopftuch abzulegen, wenn sie bei Kunden von Micropole Aufträge durchführte.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2000/78

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 1, 4 und 23 der Richtlinie 2000/78 lauten:

„(1) Nach Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.

(4) Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht; dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im VN-Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. Das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation untersagt Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf.

(23) Unter sehr begrenzten Bedingungen kann eine unterschiedliche Behan...

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