Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Artikel 1, 6 und 7 der Richtlinie 98/59/EG. Begriff ‚Massenentlassung’. Den Entlassungen gleichgestellte Fälle. Unvollständige Umsetzung

 

Beteiligte

Kommission / Portugal

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

Portugiesische Republik

 

Tenor

1. Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 1 und 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen verstoßen, dass sie den Begriff der Massenentlassungen auf Entlassungen aus strukturellen, technischen oder konjunkturellen Gründen beschränkt und ihn nicht auf Entlassungen aus allen Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erstreckt hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Portugiesische Republik trägt die Kosten des Verfahrens

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG,

eingereicht am 22. Februar 2002,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Sack und M. França als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Portugiesische Republik, vertreten durch L. Fernandes und F. Ribeiro Lopes als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie des Richters C. Gulmann, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric (Berichterstatterin) und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. März 2004,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1

Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 1, 6 und 7 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225, S. 16) verstoßen hat, dass sie den Begriff der Massenentlassungen auf Entlassungen aus strukturellen, technischen oder konjunkturellen Gründen beschränkt und ihn nicht auf Entlassungen aus allen Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erstreckt hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

2

Die Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 48, S. 29) in der Fassung der Richtlinie 92/56/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 (ABl. L 245, S. 3) wurde im Hinblick auf ihre Kodifizierung durch die Richtlinie 98/59 (im Folgenden: Richtlinie) aufgehoben. Dabei wurde keine neue Umsetzungsfrist gesetzt.

3

Die zweite Begründungserwägung der Richtlinie lautet: „Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken.”

4

In der dritten Begründungserwägung der Richtlinie wird ausgeführt: „Trotz einer konvergierenden Entwicklung bestehen weiterhin Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen hinsichtlich der Voraussetzungen und des Verfahrens für Massenentlassungen sowie hinsichtlich der Maßnahmen, die die Folgen dieser Entlassungen für die Arbeitnehmer mildern könnten.”

5

Die vierte Begründungserwägung der Richtlinie lautet: „Diese Unterschiede können sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar auswirken.”

6

Nach der siebten Begründungserwägung der Richtlinie „muss auf diese Angleichung auf dem Wege des Fortschritts im Sinne des Artikels 117 EG-Vertrag hingewirkt werden”.

7

Die achte Begründungserwägung der Richtlinie lautet: „Es empfiehlt sich, im Hinblick auf die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß der Definition der Massenentlassungen im Sinne dieser Richtlinie den Entlassungen andere Arten einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt, gleichzustellen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.”

8

Nach der neunten Begründungserwägung der Richtlinie gilt diese „grundsätzlich auch für Massenentlassungen …, die aufgrund einer auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhenden Einstellung der Tätigkeit eines Betriebs erfolgen”.

9

In Artikel 1 der Richtlinie heißt es:

„(1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)

‚Massenentlassungen’ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen

i)

entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen

  • mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,
  • mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,
  • mindestens 30 in Bet...

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