Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Durchsetzungsbefugnisse eines Küstenstaats. Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung von Bestimmungen des Völkerrechts. Meeresverschmutzung durch Schiffe. Öleinleitung in der ausschließlichen Wirtschaftszone durch ein auf der Durchfahrt befindliches fremdes Schiff. Voraussetzungen für die Einleitung eines Verfahrens gegen ein fremdes Schiff durch einen Küstenstaat. Freiheit der Schifffahrt. Schutz der Meeresumwelt. Schwere Schäden oder drohende schwere Schäden für die Küste, für damit zusammenhängende Interessen oder für Ressourcen des Küstenmeers oder der ausschließlichen Wirtschaftszone. Eindeutiger objektiver Beweis

 

Normenkette

Übereinkommen von Montego Bay Art. 220 Abs. 6; Marpol-Übereinkommen 73/78; Richtlinie 2005/35/EG Art. 7 Abs. 2

 

Beteiligte

Bosphorus Queen Shipping

Bosphorus Queen Shipping Ltd Corp

Rajavartiolaitos

 

Tenor

1. Art. 220 Abs. 6 des am 10. Dezember 1982 in Montego Bay unterzeichneten Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte in der durch die Richtlinie 2009/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sich der Ausdruck „eindeutiger objektiver Beweis” bzw. „klarer, objektiver Beweis” im Sinne dieser Bestimmungen nicht nur auf die Begehung eines Verstoßes bezieht, sondern auch auf den Beweis seiner Folgen.

2. Der in Art. 220 Abs. 6 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen genannte Ausdruck „Küste oder damit zusammenhängende Interessen” und der in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/35 in der durch die Richtlinie 2009/123 geänderten Fassung genannte Ausdruck „Küste oder … die damit verbundenen Interessen” sind dahin auszulegen, dass diesen Ausdrücken grundsätzlich die gleiche Bedeutung zukommt wie dem in Art. I Abs. 1 und Art. II Nr. 4 des am 29. November 1969 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommens über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungs-Unfällen genannten Ausdruck „Küsten oder verwandte Interessen”, wobei Art. 220 Abs. 6 auch für nicht lebende Ressourcen des Küstenmeers sowie die Ressourcen der ausschließlichen Wirtschaftszone des Küstenstaats gilt.

3. Art. 220 Abs. 6 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/35 in der durch die Richtlinie 2009/123 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass unter den Ressourcen des Küstenmeers oder der ausschließlichen Wirtschaftszone eines Küstenstaats im Sinne dieser Bestimmungen nicht nur befischte Arten zu verstehen sind, sondern auch mit ihnen vergesellschaftete oder von ihnen abhängige Arten, wie etwa Pflanzen- und Tierarten, von denen sich die befischten Arten ernähren.

4. Der in Art. 220 Abs. 5 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen verwendete Ausdruck „erhebliche Verschmutzung” ist bei der Anwendung von Art. 220 Abs. 6 dieses Übereinkommens und von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/35 in der durch die Richtlinie 2009/123 geänderten Fassung und insbesondere bei der Beurteilung der in diesen Bestimmungen definierten Folgen eines Verstoßes grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.

5. Bei der Bewertung der in Art. 220 Abs. 6 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/35 in der durch die Richtlinie 2009/123 geänderten Fassung definierten Folgen eines Verstoßes sind alle Indizien heranzuziehen, die den Nachweis ermöglichen, dass ein Schaden an den Rechtsgütern oder damit zusammenhängenden Interessen des Küstenstaats verursacht wurde oder verursacht zu werden droht, unter Berücksichtigung insbesondere

  • des kumulativen Charakters der Beeinträchtigung mehrerer oder sogar aller dieser Rechtsgüter und aller damit zusammenhängenden Interessen sowie der Unterschiede bei der Empfindlichkeit des Küstenstaats hinsichtlich der Beeinträchtigung der verschiedenen Rechtsgüter und damit zusammenhängenden Interessen sowie
  • der absehbaren nachteiligen Folgen der Einleitungen für diese Rechtsgüter und damit verbundenen Interessen, auf der Grundlage nicht nur der verfügbaren wissenschaftlichen Daten, sondern auch der Art des oder der in den fraglichen Einleitungen enthaltenen Schadstoffe sowie von Volumen, Richtung, Geschwindigkeit und Dauer der Ausbreitung der Einleitungen.

6. Die geografischen und ökologischen Besonderheiten sowie die Empfindlichkeit des Ostseegebiets wirken sich auf die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 220 Abs. 6 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/35 in der durch die Richtlinie 2009/123 geänderten Fassung aus, und zwar hinsichtlich der Definition und Einstufung des Verstoßes sowie, jedoch nicht automatisch, auf die Beurteilung des Ausmaßes des Schadens, der d...

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