Entscheidungsstichwort (Thema)

Umwelt. Abfälle. Richtlinien 75/442/EWG und 91/156/EWG. Begriffe ‚Abfall’, ‚Erzeuger von Abfällen’ und ‚Besitzer von Abfällen’. Erdreich, in das ausgetretene Kraftstoffe eingesickert sind. Bewirtschaftung einer Tankstelle eines Mineralölunternehmens

 

Beteiligte

Van de Walle u.a

Paul Van de Walle

Daniel Laurent

Thierry Mersch

Texaco Belgium SA

Région de Bruxelles-Capitale

 

Tenor

Kraftstoffe, die unabsichtlich ausgebracht worden sind und eine Verunreinigung des Erdreichs und des Grundwassers verursacht haben, sind Abfälle im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle in der durch die Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 geänderten Fassung. Das Gleiche gilt für mit Kraftstoffen verunreinigtes Erdreich, auch wenn es nicht ausgehoben worden ist. In Fällen wie denen des Ausgangsverfahrens kann das die Tankstelle beliefernde Mineralölunternehmen nur dann im Sinne von Artikel 1 Buchstabe c der Richtlinie 75/442 als Besitzer dieser Abfälle angesehen werden, wenn das für die Abfälle ursächliche Austreten aus den Tanks der Tankstelle auf das Verhalten dieses Unternehmens zurückzuführen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,

eingereicht von der Cour d'appel Brüssel (Belgien) mit Entscheidung vom 3. Dezember 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 2003, in dem vor diesem Gericht anhängigen Strafverfahren gegen

Paul Van de Walle,

Daniel Laurent,

Thierry Mersch

und

Texaco Belgium SA,

Beteiligte:

Région de Bruxelles-Capitale,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und R. Schintgen sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von P. Van de Walle, D. Laurent und der Texaco Belgium SA, vertreten durch M. Mahieu, avocat,
  • von T. Mersch, vertreten durch O. Klees, avocat,
  • der Région de Bruxelles-Capitale, vertreten durch E. Gillet, L. Levi und P. Boucquey, avocats,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Simonetti und M. Konstantinidis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. Januar 2004,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 1 Buchstaben a, b und c der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in der durch die Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 (ABl. L 78, S. 32) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 75/442).

2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Strafverfahren gegen die Herren Van de Walle, Laurent und Mersch als leitende Angestellte der Texaco Belgium SA (im Folgenden: Texaco) und gegen Texaco selbst (alle zusammen im Folgenden: Van de Walle u. a.), die sich wegen des versehentlichen Ausbringens von Kraftstoffen aus einer im Namen von Texaco betriebenen Tankstelle des Vergehens der Ablagerung von Abfällen schuldig gemacht haben sollen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3

Artikel 1 der Richtlinie 75/442 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind

  1. ‚Abfall’: alle Stoffe oder Gegenstände, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.

  2. ‚Erzeuger’: jede Person, durch deren Tätigkeit Abfälle angefallen sind (‚Ersterzeuger’), und/oder jede Person, die Vorbehandlungen, Mischungen oder sonstige Behandlungen vorgenommen hat, die eine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung dieser Abfälle bewirken;
  3. ‚Besitzer’: der Erzeuger der Abfälle oder die natürliche oder juristische Person, in deren Besitz sich die Abfälle befinden;

    …”

4

Anhang I der Richtlinie 75/442 – „Abfallgruppen” – erwähnt unter Punkt Q4 „unabsichtlich ausgebrachte oder verlorene oder von einem sonstigen Zwischenfall betroffene Produkte einschließlich sämtlicher Stoffe, Anlageteile usw., die bei einem solchen Zwischenfall kontaminiert worden sind”, unter Punkt Q7 „unverwendbar gewordene Stoffe (z. B. kontaminierte Säuren, Lösungsmittel, Härtesalze usw.)”, unter Punkt Q14 „Produkte, die vom Besitzer nicht oder nicht mehr verwendet werden (z. B. in der Landwirtschaft, den Haushaltungen, Büros, Verkaufsstellen, Werkstätten usw.)”, und unter Punkt Q15 „kontaminierte Stoffe oder Produkte, die bei der Sanierung von Böden anfallen”.

5

Gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 75/442 ergreifen die „Mitgliedstaaten … ferner die erforderlichen Maßnahmen, um eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten”.

6

Nach Artikel 8 der Richtlinie 75/442 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen, damit jeder Besitzer von Abfällen diese einem privaten oder öffentlichen Sammelunternehmen oder einem Unternehmen übergibt, das die Beseitigung oder Verwertung durchführt, oder selbst die Verwertung oder...

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