Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Subsidiäre Zuständigkeit in Erbsachen. Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in einem nicht durch die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 gebundenen Staat. Erblasser, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hat und in diesem Mitgliedstaat Vermögen besitzt. Pflicht des angerufenen Gerichts dieses Mitgliedstaats, von Amts wegen die Kriterien für seine subsidiäre Zuständigkeit zu prüfen. Bestellung eines Nachlassverwalters

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 650/2012 Art. 10

 

Beteiligte

V A und Z A

V A

Z A

TP

 

Tenor

Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats von Amts wegen seine Zuständigkeit nach der in dieser Bestimmung vorgesehenen subsidiären Zuständigkeitsregel zu prüfen hat, wenn es, nachdem es auf der Grundlage der in Art. 4 der Verordnung aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel angerufen worden ist, feststellt, dass es nach letzterer Bestimmung nicht zuständig ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 18. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Dezember 2020, in dem Verfahren

V A,

Z A

gegen

TP

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, M. Ilešič (Berichterstatter), D. Gratsias und Z. Csehi,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von TP, vertreten durch F. Rocheteau, Avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch I. Herranz Elizalde und S. Jiménez García als Bevollmächtigte, dann durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch C. Valero und M. Wilderspin als Bevollmächtigte, dann durch C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Dezember 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107, berichtigt in ABl. 2012, L 344, S. 3, ABl. 2013, L 41, S 16, ABl. 2013, L 60, S. 140, und ABl. 2014, L 363, S. 186).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen V A und Z A (im Folgenden: Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens), Kindern von XA, und TP, dessen Ehefrau, über einen Antrag auf Bestellung eines Verwalters für den gesamten Nachlass von XA.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 7, 27, 30, 43 und 82 der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es:

„(7) Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.

(27) Die Vorschriften dieser Verordnung sind so angelegt, dass sichergestellt wird, dass die mit der Erbsache befasste Behörde in den meisten Situationen ihr eigenes Recht anwendet. Diese Verordnung sieht daher eine Reihe von Mechanismen vor, die dann greifen, wenn der Erblasser für die Regelung seines Nachlasses das Recht eines Mitgliedstaats gewählt hat, dessen Staatsangehöriger er war.

(30) Um zu gewährleisten, dass die Gerichte aller Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit in Bezug auf den Nachlass von Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt ihres Todes nicht in einem Mitgliedstaat hatten, auf derselben Grundlage ausüben können, sollte diese Verordnung die Gründe, aus denen diese subsidiäre Zuständigkeit ausgeübt werden kann, abschließend und in einer zwingenden Rangfolge aufführen.

(43) Die Zuständigkeitsregeln dieser Verordnung können in einigen Fällen zu einer Situat...

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