Entscheidungsstichwort (Thema)

Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Ehesachen und Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003. Kinder unverheirateter Eltern. Sorgerecht des Vaters. Auslegung des Begriffs ‚Sorgerecht’. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Charta der Grundrechte der Europäischen Union

 

Beteiligte

McB

J. McB

L. E

 

Tenor

Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Recht den Erwerb des Sorgerechts durch den Vater eines Kindes, der nicht mit dessen Mutter verheiratet ist, davon abhängig zu machen, dass er eine Entscheidung des zuständigen nationalen Gerichts erwirkt, mit der ihm dieses Recht zuerkannt wird, aufgrund dessen das Verbringen des Kindes durch seine Mutter oder sein Zurückhalten widerrechtlich im Sinne von Art. 2 Nr. 11 dieser Verordnung sein kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Irland) mit Entscheidung vom 30. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 6. August 2010, in dem Verfahren

J. McB.

gegen

L. E.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász, T. von Danwitz und D. Šváby,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung einem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Dritten Kammer vom 11. August 2010, diesem Antrag stattzugeben,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn McB., vertreten durch D. Browne, SC, und D. Quinn, BL, beauftragt von J. McDaid, Solicitor,
  • von Frau E., vertreten durch G. Durcan, SC, sowie durch N. Jackson und S. Fennell, BL, beauftragt von M. Quirke, Solicitor,
  • Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von M. MacGrath, SC, und N. Travers, BL,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Kemper als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn McB., dem Vater dreier Kinder, und Frau E., der Mutter dieser Kinder, über die Rückgabe der Kinder, die sich zurzeit mit ihrer Mutter in England befinden, nach Irland.

Rechtlicher Rahmen

Das Haager Übereinkommen von 1980

Rz. 3

Art. 1 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980) bestimmt:

„Ziel dieses Übereinkommens ist es,

  1. die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen und
  2. zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht zum persönlichen Umgang in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird.”

Rz. 4

Art. 3 dieses Übereinkommens lautet:

„Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

  1. dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
  2. dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.”

Rz. 5

Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1980 lautet:

„Bevor die Gerichte oder Verwaltungsbehörden eines Vertragsstaats die Rückgabe des Kindes anordnen, können sie vom Antragsteller die Vorlage einer Entscheidung oder sonstigen Bescheinigung der Behörden des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes verlangen, aus der hervorgeht, dass das...

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