In objektiver Hinsicht besteht die Besonderheit des Erbvertrags vor allem in seiner Bindungswirkung, die späteren erbvertragswidrigen Erbeinsetzungen, Vermächtniszuwendungen, Auflagenbegünstigungen und einer Änderung der Rechtswahl entgegensteht, und zwar unabhängig davon, ob der Erbvertrag einseitig, zweiseitig, gegenseitig oder wechselbezüglich ist (§ 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies gilt unbeschadet der Vorschrift des § 2297 BGB.

Zum notwendigen Inhalt eines Erbvertrags gehört mindestens eine erbrechtlich bindende Verfügung. Im Übrigen ist die Urkunde – ungeachtet einer etwaig anderen Bezeichnung – der Sache nach ein Testament und muss entsprechend abgewickelt werden.

Ein wesentlicher Unterschied zum gemeinschaftlichen Testament besteht darin, dass beim Erbvertrag die Bindung bereits mit Vertragsabschluss eintritt, wohingegen beim gemeinschaftlichen Testament noch zu Lebzeiten des anderen Ehegatten ein gewillkürter Widerruf möglich ist.

Geschützt wird durch die Bindungswirkung das Recht[1] des Vertragserben bzw. -vermächtnisnehmers.

[1] Bereits mit Urteil v. 8.1.1958, IV ZR 219/57, BGHZ 26 S. 204 ff., stellte der BGH heraus, dass es bei der Beurteilung nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern auf die Rechtsstellung ankommt.

3.4.1 Gesetzliche Grenzen der Bindungswirkung

Dagegen berührt der Erbvertrag nicht das Recht des Erblassers über sein Vermögen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu verfügen (§ 2286 BGB), und zwar selbst dann, wenn sie den Gegenstand der erbvertragsmäßigen Verfügung berühren.[1] Denn vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag binden nur erbrechtlich und beschränken insofern nur die Testierfreiheit des Erblassers.

Vor dem Erbfall erhält der Bedachte keine übertragbare oder vererbliche Rechtsposition, wie bspw. ein Anwartschaftsrecht. Stirbt er vor dem Erbfall, so ist die erbvertragliche Verfügung zu seinen Gunsten gegenstandslos, sodass der Erblasser insofern frei wird, erneut und anderweitig von Todes wegen zu verfügen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beteiligten zusätzlich einen klassischen schuldrechtlichen Verfügungsunterlassungsvertrag abschließen, vgl. § 137 Satz 2 BGB.

Beeinträchtigende Schenkungen, die der Erlasser in Benachteiligungsabsicht des Vertragserben vornimmt, führen nach § 2287 BGB zu einem Herausgabeanspruch nach Bereicherungsrecht. Es verbleibt somit die Gefahr der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB. Entsprechendes kann für ehebedingte Zuwendungen oder die Eingehung einer Gütergemeinschaft gelten. Demgegenüber wird der Vermächtnisnehmer durch § 2288 BGB umfangreich geschützt.

 
Praxis-Tipp

Im Hinblick auf den drohenden Einwand der Entreicherung des Erblassers ist aus Sicht eines potenziellen Vertragserben stets zu überlegen, ob nicht eine Vermächtnisnehmerschaft für ihn günstiger ist.

Eine Einschränkung der Bindungswirkung ergibt sich ferner nach §§ 2289 Abs. 2, 2336 BGB, wonach die Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht durch "einfaches" Testament auch auf den Erbvertrag anwendbar bleibt.

[1] Vgl. BGH, Urteil v 30.9.1959, V ZR 66/58, BGHZ 31 S. 13 (15); auch BGH, Beschluss v. 12.11.1952, IV ZB 93/52, BGHZ 8 S. 23 (29); fortgeführt durch BGH, Urteil v. 1.6.1983, IV a ZR 35/82, NJW 1984 S. 46 f.; bestätigt durch BGH, Urteil v. 6.11.1985, IVa ZB 5/85, NJW 1988 S. 59 f.

3.4.2 Auslegung

Ob ein Vertrag bindende erbrechtliche Regelungen enthält, kann sich sowohl ausdrücklich aus dem Wortlaut der betreffenden Vereinbarung als auch in Zweifelsfällen im Wege der Auslegung ergeben. Wenn eine Vertragsurkunde eine erbrechtliche Verfügung, aber keine oder keine klare Bestimmung über deren Bindung enthält, dann muss der Vertragswortlaut hinsichtlich des mutmaßlichen Bindungswillens des Erblassers ausgelegt werden. Im Gegensatz zu der gesetzlichen Auslegungsregel gem. § 2270 BGB für gemeinschaftliche Testamente enthält das Erbvertragsrecht keine entsprechenden Vorgaben.

 
Hinweis

Das Erbvertragsrecht kennt keine gesetzlichen Auslegungsregeln.

Allerdings können die zur Wechselbezüglichkeit i. S. d. § 2270 BGB entwickelten Grundsätze bei der Auslegung eines Erbvertrages entsprechend angewendet werden.[1] Dabei muss man für jede einzelne Verfügung den etwaigen Bindungswillen gesondert ermitteln.[2] Die in einer Vertragsurkunde enthaltenen Erklärungen des Erblassers sind nach dem Empfängerhorizont auszulegen. Maßgeblich ist, wie der erklärte Wille des Erblassers vom Vertragspartner verstanden werden konnte (§ 157 BGB).

 
Wichtig

Die für das Testament geltenden Auslegungsregeln sind grundsätzlich nicht anzuwenden, da es sich bei einer erbvertraglichen Verpflichtung nicht um eine einseitige Erklärung des Erblassers handelt.

Nach wohl allgemeiner Meinung soll die Stärke des – möglicherweise auch nur moralischen[3] – Interesses des Vertragspartners[4] oder des bedachten Dritten[5] an der Zuwendung der Gradmesser für den mutmaßlichen Bindungswillen des Erblassers sein. Eine gewisse Indizwirkung für einen solchen Bindungswillen mögen Wiederverheiratungs- oder Pflichtteilsstrafklauseln und dergleichen entfalten.[6]

[1] Vgl. BGH, Urteil v. 12.10.1960, V...

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