Leitsatz

Setzt ein Wohnungseigentümer, gegen den ein gerichtliches Verfahren auf Entziehung des Wohnungseigentums anhängig ist, die in der Klage beanstandeten gemeinschaftswidrigen Verhaltensweisen fort, ist hinsichtlich des fortgesetzten Verhaltens grundsätzlich eine Abmahnung entbehrlich.

 

Normenkette

WEG § 18 Abs. 1

 

Das Problem

  1. Die Wohnungseigentümer beschließen im Oktober 2015, gegen die Wohnungseigentümer B1 und B2 wegen etlicher Übergriffe auf sie und den Verwalter, die ihres Erachtens ein Ausdruck "krimineller Energie" sind, gegen B1 und B2 Klage auf Veräußerung ihres Wohnungseigentums zu erheben. Die Klage stützt die klagende Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K auf die Behauptung schwerwiegender Pflichtverletzungen von B1 und B2 und auf einen Zahlungsrückstand aus der Abrechnung 2014 und aus dem Wirtschaftsplan 2015.
  2. Das Amtsgericht gibt der Klage mit Hinblick auf den Zahlungsrückstand statt. Auf die Berufung von B1 und B2 weist das Landgericht die Klage hingegen ab. Es fehle nämlich an einer Abmahnung. Zwar bedürfe es keiner Abmahnung, wenn sich ein Veräußerungsverlangen ausschließlich auf die Nichterfüllung der Verpflichtungen zur Lasten- und Kostentragung stütze. Dies gelte jedoch nicht, wenn daneben auch ein sonstiges pflichtwidriges Verhalten des Wohnungseigentümers als Entziehungsgrund geltend gemacht werde. Eine Abmahnung sei auch nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass offenbar über Jahre das beanstandete Verhalten von B1 und B2 – jedenfalls ohne durch Abmahnungen tätig zu werden – geduldet worden sei, wäre es zwingend erforderlich gewesen, B1 und B2 vor der Beschlussfassung deutlich vor Augen zu führen, dass sie bei einer Fortsetzung des Verhaltens mit einem Entzug des Wohnungseigentums zu rechnen hätten.
  3. Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde will die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft die Zulassung der Revision erreichen. Mit Erfolg!
 

Die Entscheidung

Das Landgericht habe den Anspruch der K auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Dieser Verstoß führe zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht.

  1. Das Landgericht habe das Vorbringen der K in der Berufungserwiderung nicht berücksichtigt. Denn dort habe K vorgetragen, es hätten sich nach der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung im Oktober und Dezember 2016 sowie im Januar 2017 weitere Vorfälle ereignet. B1 habe den Hausmeister unter Androhung von Gewalt gezwungen, den Hof zu verlassen. Anlässlich einer Besprechung zwischen dem Verwalter und dem Umweltamt in den Kellerräumen der Wohnungseigentumsanlage habe B1 ferner dem Verwalter mit erhobenem Zeigefinger und Gebärden gedroht und aufgefordert, den Mund zu halten, weil er nichts zu sagen habe. Bei einer weiteren Auseinandersetzung habe B1 einen Müllsack vor den Füßen des Hausmeisters ausgeleert und ihn aufgefordert, den Müll wegzuräumen. Dabei habe er ihn geschubst und versucht, ihn zu würgen. Bei einem weiteren Vorfall habe B1 dem Hausmeister gedroht, er werde ihn fertig machen und ihm "die Eier abschneiden".
  2. Dass das Landgericht dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen habe, ergebe sich aus der Wiedergabe des Vorbringens der Parteien im Berufungsurteil. Dort nehme das Landgericht auf den erstinstanzlichen Vortrag der K Bezug und führe sodann aus, K stütze ihre Klage "darüber hinaus" auf einen geschilderten tätlichen Übergriff gegen den Hausverwalter. Dass sich K in der Berufungserwiderung aber auch auf weitere Vorfälle berufen habe, erwähne das Landgericht nicht. Dass es die in der Berufungserwiderung geschilderten Geschehen nicht zur Kenntnis genommen habe, lasse sich zudem aus den Entscheidungsgründen folgern. Die in der Berufungserwiderung geschilderten Vorfälle vom Oktober und Dezember 2016 sowie vom Januar 2017 seien dort nicht erwähnt worden
  3. Das Berufungsurteil beruhe auf dieser Verletzung rechtlichen Gehörs. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens und bei Erweislichkeit der neuen Vorfälle die Voraussetzungen für eine Entziehung des Wohnungseigentums bejaht hätte.
  4. Dem stehe nicht entgegen, dass K die neuen Vorfälle nicht zum Anlass für eine Abmahnung genommen habe. Grundsätzlich setze die Entziehung eines Wohnungseigentums nach § 18 Abs. 1 WEG allerdings eine Abmahnung voraus. Der Gesetzgeber habe die Entziehungsklage als letztes Mittel zur Wiederherstellung des Gemeinschaftsfriedens gegenüber einem von ihm sogenannten "Störenfried" eingeführt. Als Störenfried habe er einen Wohnungseigentümer angesehen, der nicht nur seine Pflichten grob verletze, sondern böswillig sei. Das lasse sich, von Ausnahmefällen abgesehen, nur feststellen, wenn der Wohnungseigentümer zunächst zur Einhaltung seiner Pflichten angehalten werde, also eine Abmahnung erfolgt sei. Nur so könne den aus dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) folgenden Anforderungen an die Vorschrift Rechnu...

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