Zusammenfassung

 
Begriff

Eingliederungshilfe ist die Hilfe eines Rehabilitationsträgers für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen, um ihnen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Wird die Hilfe nicht wegen einer körperlichen oder geistigen, sondern wegen einer seelischen Behinderung benötigt, ist die Hilfe für Kinder und Jugendliche als Jugendhilfe vom Jugendamt zu gewähren.

Ab 1.1.2028 gilt die sog. "Große Lösung", d. h., dass das Jugendamt dann für alle junge Menschen mit Behinderungen, auch geistiger oder körperlicher Art, zuständig ist.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Die Pflicht des Jugendamts, Kindern und Jugendlichen, die eine seelische Behinderung haben oder von einer seelischen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe zu leisten, ist in § 35a SGB VIII (wurde durch das KJSG v. 9.6.2021 geändert) normiert.

Die Hilfeform bestimmt § 35a Abs. 2 SGB VIII. Außerdem definiert § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII den Begriff der seelischen Behinderung.

Für den Umfang der Hilfe gilt das SGB IX.

Die Jugendhilfe als Rehabilitationsträger ist in § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX aufgeführt. Mit der Frühförderungsverordnung (FrühV) i. d. F. ab 1.1.2018 wird die Früherkennung und Frühförderung von noch nicht schulpflichtigen Kindern mit Behinderungen in interdisziplinären Frühförderstellen und sozialpädiatrischen Zentren angestrebt. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 als Gesetz gilt, ersetzt Teilhabe durch Inklusion.

Auch nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) am 23.12.2016 hat sich an der Geltung des § 35a SGB VIII nichts geändert (vgl. hierzu Kunkel/Kunkel, ZFSH/SGB 2017,194). Mit Inkrafttreten von Art. 9 BTHG zum 1.1.2020 wurde die Verweisung auf das SGB XII ersetzt durch die Verweisung auf das SGB IX mit dessen Teil 2. Teil 1 des SGB IX mit den allgemeinen Regelungen gilt bereits seit 1.1.2018.

Dass bei Teilleistungsstörungen die Eingliederungshilfe nur ausnahmsweise zu leisten ist, haben OVG Rheinland–Pfalz, Beschluss v. 26.3.2007, 7 E 10212/07 und Bay. VGH, Beschluss v. 18.2.2013, 12 CE 12.2104 entschieden.

1 Anspruchsberechtigte

Auf die Eingliederungshilfe besteht ein Rechtsanspruch. Ermessen ist nicht gegeben. Liegt eine seelische Behinderung vor, muss das Jugendamt die Leistung gewähren.

Das Kind oder der Jugendliche ist selbst anspruchsberechtigt im Gegensatz zur Hilfe zur Erziehung, bei der der Personensorgeberechtigte den Rechtsanspruch hat. Wird der Rechtsanspruch geltend gemacht, werden die Kinder und Jugendlichen aber von dem Personensorgeberechtigten vertreten. Ab 15 Jahre kann der Jugendliche selbst Eingliederungshilfe beantragen, da er zu diesem Zeitpunkt handlungsfähig[1] ist.

Für junge Volljährige, also bis zum 27. Lebensjahr, sind Leistungen der Eingliederungshilfe als Hilfe für junge Volljährige zu gewähren.[2] In der Regel wird die Hilfe nur bis zum 21. Lebensjahr gewährt, muss aber im begründeten Einzelfall darüber hinaus fortgesetzt werden.[3]

2 Seelische Behinderung

Der Begriff der seelischen Behinderung ist zweigliedrig. Es ist einmal ein Abweichen vom für das Lebensalter typischen Zustand, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate andauert. Zum anderen ist eine dadurch verursachte und ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefordert.

2.1 Abweichung vom alterstypischen Zustand

Das Abweichen von der seelischen Gesundheit ist auf der Grundlage der ICD-10-GM festzustellen. Für diese Feststellung ist die fallzuständige Fachkraft verantwortlich. Sie hat dabei die Stellungnahme der in § 35a Abs. 1a Satz 1 Nrn. 1 bis 3 SGB VIII aufgeführten Fachleute einzuholen, also eines

  • Arztes für Kinderpsychiatrie oder eines Kinderpsychotherapeuten oder
  • Arztes bzw. eines psychologischen Psychotherapeuten mit besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern.

2.2 Beeinträchtigung der Teilhabe

Die Teilhabebeeinträchtigung am Leben in der Gesellschaft ist in den 3 Bereichen

  • Familie/Verwandtschaft,
  • Kindergarten/Schule/Beruf,
  • Freundeskreis/Freizeit

festzustellen, wobei sich die Beeinträchtigung nicht auf alle 3 Bereiche erstrecken muss. Es gilt hier der Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X. Diese Feststellung ist von den sozialpädagogischen Fachkräften des Jugendamts zu treffen.[1] Erforderlich ist eine nachhaltige Beeinträchtigung der sozialen Funktionsfähigkeit, eine lediglich geringfügige Beeinträchtigung ist nicht ausreichend.[2]

Die Beeinträchtigung ist nach der Intensität der Auswirkungen auf das gesamte Leben in der Gemeinschaft zu beurteilen. Bloße Schulprobleme oder Schulängste reichen nicht aus. Erforderlich ist eine nachhaltige Beeinträchtigung der Integration, die in totaler Schul- und Lernverweigerung, Rückzug aus allen Sozialkontakten sowie sekundären Neurotisierungen ihren Ausdruck finden kann.

 
Hinweis

Teilleistungsstörungen sind keine seelische Behinderung

Teilleistungsstörungen[3] (z. B. Dyskalkulie oder Legasthenie) oder ADHS[4] sind für sich genommen keine seelische Behinderung, ...

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