Leitsatz

Leibliche Nichten und Neffen des Vermieters sind kraft ihres nahen Verwandtschaftsverhältnisses zum Vermieter Familienangehörige im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Fortführung des Senatsurteils v. 9.7.2003, VIII ZR 276/02, NJW 2003 S. 2604).

(amtlicher Leitsatz des BGH)

 

Normenkette

BGB § 573 Abs. 2 Nr. 2

 

Kommentar

Eine in Baden-Baden gelegene Eigentumswohnung wurde zunächst von der Eigentümerin selbst genutzt. Im Sommer 2004 verlegte die damals 85-jährige Eigentümerin ihren Wohnsitz in eine Seniorenresidenz; unmittelbar darauf vermietete sie die Wohnung zu einer monatlichen Miete von 1.050 EUR. Mit Schreiben vom 14.3.2008 erklärte die Vermieterin die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Zur Begründung macht die Vermieterin geltend, dass sie die Wohnung ihrer Nichte überlassen wolle. Diese habe die Absicht, nach Baden-Baden umzuziehen; der weitere Inhalt des Kündigungsschreibens ist den veröffentlichten Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Das Landgericht hat die Kündigung für unwirksam erachtet und hierzu ausgeführt, dass die Nichte nicht zu den privilegierten Angehörigen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gehöre.

Der BGH hat das Urteil aufgehoben und der Räumungsklage stattgegeben: Der Vermieter kann ein Mietverhältnis unter anderem dann kündigen, wenn er die Räume als Wohnung für seine Familienangehörigen benötigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die h. M. unterscheidet hierbei zwischen den engen Familienangehörigen und denjenigen, die mit dem Vermieter weitläufig verwandt sind (Blank in: Schmidt-Futterer, § 573 BGB Rdn. 51-55 m. w. N.). Bei den engen Familienangehörigen genügt die Verwandtschaft; die weitläufig mit dem Vermieter Verwandten zählen nur dann zum privilegierten Personenkreis, wenn zwischen ihnen und dem Vermieter eine enge soziale Bindung besteht.

Dieser Ansicht hat sich der BGH in dem Urteil vom 9.7.2003 (VIII ZR 276/02, WuM 2003 S. 464) angeschlossen. Dort ist ausgeführt, dass jedenfalls die Geschwister eines Vermieters zu den engen Familienangehörigen zu zählen sind. Diese Rechtsprechung führt der BGH in der vorliegenden Entscheidung fort. Die für die Privilegierung maßgebliche familiäre Verbundenheit und Solidarität bestehe nicht nur zwischen Geschwistern, sondern auch zwischen deren leiblichen Kindern und dem Vermieter. Nach Ansicht des BGH bieten die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§§ 383 ZPO, 52 StPO) einen "Anknüpfungspunkt" dafür, wie weit der Kreis der privilegierten Familienangehörigen zu ziehen ist. Danach zählen zu den Personen, die das Zeugnis verweigern dürfen, nicht nur die Verwandten und Verschwägerten, sondern auch die ehemaligen Verschwägerten (§ 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), der Verlobte (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), der geschiedene Ehegatte (§ 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und der frühere Lebenspartner des Vermieters (§ 383 Abs. 1 Nr. 2a ZPO). Der Kreis der zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen ist also weiter als der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannte Personenkreis. Jedoch ist die Entscheidung des BGH nicht dahingehend zu verstehen, dass der privilegierte Personenkreis künftig nach den §§ 383 ZPO, 52 StPO zu bestimmen ist. Aus dem Urteil des BGH folgt nämlich keineswegs, dass die Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB durch die §§ 383 ZPO, 52 StPO konkretisiert wird; der BGH sieht in den Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht lediglich einen "Anknüpfungspunkt" für die Annahme des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der engen sozialen Bindung.

Wichtig

Kreis der Familienangehörigen prüfen

Daraus folgt: Die Gerichte haben zunächst zu prüfen, ob die begünstigte Person zum Kreis der Familienangehörigen zählt; ist dies (wie bei den Verlobten, dem geschiedenen Ehegatten, dem früheren Lebensgefährten oder ehemaligen Schwager) zu verneinen, so rechtfertigt ein Wohnbedarf dieser Personen keine Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob zwischen den genannten Personen und dem Vermieter (noch) eine enge persönliche Bindung besteht.

Zählt die Bedarfsperson dagegen zu den Familienangehörigen, ist es entsprechend den vom BGH gegebenen Hinweisen naheliegend, die Privilegierung anhand des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu bestimmen.

Praxis-Beispiel

Privilegierte Familienangehörige

Danach zählen zu den privilegierten Angehörigen:

  • die Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie sowie
  • die Verwandten in der Seitenlinie (bis zum 3. Grad) und
  • die Verschwägerten in der Seitenlinie (bis zum 2. Grad).
Achtung

Überlassungsinteresse erforderlich

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es für die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht genügt, wenn der Vermieter die Räume einem privilegierten Angehörigen überlassen will. Erforderlich ist darüber hinaus, dass das Überlassungsinteresse aufgrund vernünftiger und nachvollziehbarer Erwägungen gerechtfertigt ist.

Dieser Punkt war allerdings nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil v. 27.1.2010, VIII ZR 159/09, NJW 2010 S. 1290

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