Die eigentliche Kunst der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts im Unterhaltsrecht besteht weniger in der mathematisch genauen Anwendung der durch die Rechtsprechung vorgegebenen Berechnungsmethoden, sondern vielmehr in der richtigen Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens, unabhängig davon, ob der Unterhaltsschuldner oder der Unterhaltsberechtigte vertreten wird.

Zur Feststellung des Einkommens sind stets sämtliche Einkünfte heranzuziehen. Hierzu zählen alle in § 2 EStG genannten sieben Einkunftsarten. Dies sind:

  • Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft
  • Einkünfte aus Gewerbebetrieb
  • Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit
  • Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit
  • Einkünfte aus Kapital
  • Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
  • sonstige Einkünfte nach § 22 EStG.

Während die Bemessung eines Unterhaltsanspruchs für die Zukunft stets auf einer Einkommensprognose beruht, ist für die in der Vergangenheit liegenden Unterhaltszeiträume stets von den in dieser Zeit tatsächlich erzielten Einkünften sowie den in dieser Zeit geltenden Selbstbehaltssätzen auszugehen, wobei zur Vereinfachung der Berechnung von einem Jahresdurchschnitt ausgegangen werden kann.[8] Von durchschnittlichen Einkünften aus mehreren Jahren darf das Gericht hingegen nur dann ausgehen, wenn es den rückständigen Unterhalt für diese Gesamtzeit ermittelt oder der laufende Unterhaltsanspruch auf der Grundlage einer Einkommensprognose ermittelt werden muss.[9]

 
Wichtig

Bei der Einkommensprognose ist stets zu hinterfragen, ob Veränderungen abzusehen sind, die sich auf die Höhe des zukünftigen Einkommens auswirken. Eine einmalige Zahlung im Vorjahr, die zukünftig nicht mehr anfallen wird (z. B. Jubiläumszulage), ist bei der Ermittlung des zukünftigen Durchschnitteinkommens herauszurechnen.

Dies gilt insbesondere auch für Entwicklungen anlässlich der Corona-Krise. So kann das vergangene Einkommen in Folge von Kurzarbeit, welches wegen der Corona Pandemie gezahlt wurde, geringer ausgefallen sein. Ist die Kurzarbeit beendet, ist dies für die Ermittlung des aktuellen Einkommens zu berücksichtigen.

Das OLG Brandenburg[10] hat z. B. Mitte des Jahres 2021 entschieden, dass eine Prognose des künftig erzielbaren Einkommens nur auf der Basis des regelmäßigen monatlichen Nettoverdienstes möglich sei, solange sich noch nicht abschätzen lässt, wie sich die deutsche Wirtschaft von den Folgen der Corona-Pandemie erholen wird.

2.1 Das Einkommen des nichtselbständig Tätigen

Bei Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit sind regelmäßig alle Leistungen anzusetzen, d. h. auch Einkünfte, die ein Arbeitnehmer unregelmäßig oder einmalig bezieht. So sind auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie sonstige Zuwendungen[11], Provisionen[12] und Tantiemen[13], Prämien[14] und Überstundenvergütungen im Rahmen des Üblichen[15] als Einkommen anzusetzen.

In der Praxis sind daneben regelmäßig noch die nachfolgenden Einkommenspositionen relevant:

2.1.1 Abfindungen

Die Berücksichtigung einer Abfindung ist unabhängig von dem Anlass ihrer Gewährung vorwiegend nach unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Die wesentlichen Grundzüge dieser Rechtsprechung, die im Folgenden zusammengefasst dargestellt sind, finden sich in zwei BGH-Entscheidungen:[16]

2.1.1.1 Vergleichbares Einkommen aus neuer Stelle

Erzielt der Beteiligte bei seinem neuen Arbeitgeber sogleich Einkünfte, die ihm ein der früheren Tätigkeit vergleichbares Einkommen einbringen, bedarf es der Berücksichtigung der Abfindung bei der Einkommensermittlung nicht. Dies gilt sowohl für den Ehegatten- wie auch für den Kindesunterhalt.

2.1.1.2 Geringeres Einkommen / Lohnersatzleistungen

In den Fällen, in denen der Beteiligte nach dem Verlust des Arbeitsplatzes geringere Einkünfte hat, ist die Abfindung maximal bis zur Höhe des früheren Einkommens zur – teilweisen – Aufstockung zu verwenden. Ob die geringeren Einkünfte daher resultieren, dass der Beteiligte nur noch Lohnersatzleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld bezieht, oder dass er bei dem neuen Arbeitgeber geringere Einkünfte erzielt, ist für die Heranziehung ohne Bedeutung. Die frühere Rechtsprechung[17], dass bei neuer Erwerbstätigkeit und geringeren Einkünften die Abfindung nicht zur Aufstockung heranzuziehen war, wurde vom BGH aufgegeben.[18]

Allerdings muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Abfindung zur kompletten Aufstockung auf das frühere Einkommensniveau verwendet werden muss, oder aber ob bei Vorliegen besonderer Umstände wie beispielsweise einer zu erwartenden dauerhaften Arbeitslosigkeit oder bei nicht bestehenden Aussichten auf eine künftige Steigerung des Einkommens, auch eine nur teilweise Aufstockung auf Beträge unterhalb des früheren Einkommensniveaus in Betracht kommt, der Zeitraum der Aufstockung aber dementsprechend länger währt. Der BGH führt hierzu wie folgt aus...

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