Rz. 34

Die aktuelle Rechtslage gilt für alle Erbfälle ab dem 1.1.2010.[107] Die zuvor geltende Differenzierung in § 2306 Abs. 1 BGB a.F. gilt seitdem nicht mehr. Vielmehr statuiert § 2306 in der aktuelle Fassung der Vorschrift ein grundsätzliches Wahlrecht des Pflichtteilsberechtigten, den belasteten Erbteil – unabhängig von dessen Umfang – anzunehmen oder auszuschlagen (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 2306 BGB). Infolge der Annahme der Erbschaft hat der Pflichtteilsberechtigte auch sämtliche Beschränkungen und Beschwerungen zu dulden.

 

Rz. 35

Welche Rechtsfolgen sich im Falle einer Ausschlagung ergeben, ist in der Literatur umstritten. Teilweise[108] wird vertreten, § 2338 BGB nehme dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit, den ihm hinterlassenen Erbteil auszuschlagen oder jedenfalls nach erfolgter Ausschlagung den Pflichtteil verlangen zu können. Begründet wird dies damit, dass Anordnungen nach § 2338 BGB (wegen ihrer ausdrücklichen Rechtfertigung im Gesetz) keine Beschränkungen oder Beschwerungen i.S.v. § 2306 BGB seien, so dass eine dennoch erfolgende Ausschlagung auch den Verlust des Pflichtteilsanspruchs zur Folge hätte. Im Übrigen sei auch nicht einzusehen, warum dem Pflichtteilsberechtigten ein Wahlrecht zwischen dem beschränkten Erbteil und einem in gleicher Weise beschränken Pflichtteil zustehen solle.

 

Rz. 36

Diese Ansicht überzeugt indes nicht. Zum einen handelt es sich nach dem Wortlaut von § 2306 BGB bei den beschränkenden Anordnungen ganz eindeutig um solche, die grundsätzlich eine pflichtteilsunschädliche Ausschlagung rechtfertigen. Zum anderen ist gerade im Hinblick darauf, dass sich der Pflichtteilsberechtigte auch im Falle der Ausschlagung nicht von den zu seinen Lasten angeordneten Beschränkungen befreien kann, ein Bedürfnis, seine Ausschlagung mit einer Sanktion zu belegen, nicht erkennbar.

 

Rz. 37

Im Übrigen sind durchaus Situationen denkbar, in denen der Pflichtteilsberechtigte aus Vorsichtsgründen gut beraten ist, einen (vielleicht sehr unübersichtlichen und erhebliche Risiken beinhaltenden) Erbteil auszuschlagen und sich so jeglicher Haftungsrisiken zu entledigen. Warum diese Möglichkeit ausgerechnet einem Pflichtteilsberechtigten, den der Erblasser selbst für "wirtschaftlich schutzbedürftig" hält, verwehrt sein soll, ist nicht plausibel.

 

Rz. 38

Tatsächlich besteht für den beschwerten Abkömmling kein Hindernis, den ihm hinterlassenen Erbteil auszuschlagen.[109] Ist der Pflichtteil im Falle einer vorangegangenen Ausschlagung mit einem Nachvermächtnis[110] oder/und einer Testamentsvollstreckung belastet,[111] muss der Pflichtteilsberechtigte dies hinnehmen. Der Ausschlagende kann sich daher nur von solchen Beschwerungen befreien, die über das von § 2338 BGB vorgesehene Maß hinausgehen.[112]

 

Rz. 39

Im Bereich der Vermächtnisanordnung gilt (wie auch schon vor der Erbrechtsreform 2010), dass der Pflichtteilsberechtigte, der ein mit Beschränkungen belastetes Vermächtnis annimmt, diese Beschränkungen zu dulden hat. Im Falle der Ausschlagung nach § 2307 BGB gelten die obigen Ausführungen.

[107] BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts, BGBl I 2009, 3142 f.
[108] Staudinger/Olshausen [2015], § 2338 Rn 34; MüKo/Lange, § 2338 Rn 26; Lange/Honzen, ZErb 2011, 289, 291.
[109] BeckOGK/Rudy, § 2338 Rn 16;
[110] MüKo/Lange, § 2338 Rn 25; BeckOGK/Rudy, § 2338 Rn 16.2; BeckOK BGB/Müller-Engels, § 2338 Rn 15; Palandt/Weidlich, § 2338 Rn 4.
[111] Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2338 Rn 3; vgl. auch ausführlich Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, HB Pflichtteilsrecht (3. Aufl.), § 8 Rn 135.
[112] Lange/Honzen, ZErb 2011, 289, 291.

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