Rz. 17

Die Beweislast für das tatsächliche Vorliegen der den angegebenen Entziehungsgrund tragenden Umstände trifft den Pflichtteilsschuldner, der sich auf die wirksame Entziehung beruft.[76] In Betracht kommen insbesondere der Erbe, § 2303 BGB, der Beschenkte, § 2329 BGB und der Vermächtnisnehmer bzw. Auflagenbegünstigte,[77] der nach §§ 2318 ff. BGB zur Tragung der Pflichtteilslast mitherangezogen wird).[78] Im Rahmen einer lebzeitigen Feststellungsklage über das Recht zur Pflichtteilsentziehung ist der Erblasser selbst beweispflichtig.[79]

 

Rz. 18

Nach h.M. umfasst die Beweislast auch das Nichtvorliegen einer Notwehrlage bzw. anderer Rechtfertigungsgründe[80] sowie die relevanten inneren Tatsachen, namentlich die Schuldfähigkeit (respektive den "natürlichen Vorsatz")[81] und das tatsächliche Verschulden des Pflichtteilsberechtigten.[82]Dieckmann[83] äußert jedoch Zweifel, ob dieser Sichtweise nicht die deliktsrechtliche Beweislastregel des § 827 BGB vorgezogen werden müsste. Dies würde dazu führen, dass Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe vom Täter dargetan werden müssten.[84] Hinsichtlich der Frage der Schuldunfähigkeit ist diesem Ansatz vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[85] zum Pflichtteilsrecht sicherlich zuzustimmen.[86] Die Fragestellung hat sich auch nicht dadurch erledigt,[87] dass nach zutreffender Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein im "natürlichen Sinne" vorsätzliches Handeln und die natürliche Fähigkeit, dessen Unrecht zu erkennen, ausreicht.[88] Denn auch wenn in den meisten Fällen eine Schuldfähigkeit im "natürlichen Sinne" zu vermuten sein wird, stellt sich im Falle eines substantiierten Bestreitens derselben nach wie vor die Frage, wen diesbezüglich die Beweislast trifft.

 

Rz. 19

Ob auf diese Weise die oftmals ganz erheblichen Beweisschwierigkeiten des Erben bzw. des Beschenkten soweit gemindert werden können, dass die Pflichtteilsentziehung als praktisches Gestaltungsmittel an Gewicht gewinnen könnte, ist schwer zu beurteilen. Derzeit stellt sich die Situation jedenfalls so dar, dass der Pflichtteilsentziehung im Hinblick auf die ungünstige Beweislastregel und den Umstand, dass der Pflichtteilschuldner oftmals die näheren Einzelheiten der viele Jahre zurückliegenden Entziehungsgründe gar nicht kennt,[89] nur sehr geringe Bedeutung zukommt.[90]

[76] Staudinger/Olshausen [2015], § 2336 Rn 16.
[77] OLG Hamm OLGR 2007, 312; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1469, 1470; MüKo/Lange, § 2326 Rn 14.
[78] Vgl. MüKo/Lange, § 2336 Rn 14; Soergel/Dieckmann, § 2336 Rn 10; RGRK/Johannsen, § 2336 Rn 6; Palandt/Weidlich, § 2336 Rn 5.
[79] Soergel/Dieckmann, § 2336 Rn 10; Staudinger/Olshausen [2015], § 2336 Rn 16.
[80] BGH NJW 1974, 696; BGH FamRZ 1985, 919, 920; MüKo/Lange, § 2336 Rn 14; Soergel/Dieckmann, § 2336 Rn 10; Palandt/Weidlich, § 2336 Rn 5.
[82] OLG Düsseldorf NJW 1968, 944; vgl. auch OLG Celle ZFE 2004, 221; Staudinger/Olshausen [2015], § 2336 Rn 18.
[83] Soergel/Dieckmann, § 2336 Rn 10.
[84] BGHZ 24, 28; vgl. hierzu auch Palandt/Grüneberg, Vor § 249 Rn 66 zur Beweislast bezüglich des Schadenseintritts auch im Falle möglichen rechtmäßigen Alternativverhaltens.
[85] BVerfGE 112, 332 f.
[86] LG Ravensburg ZErb 2005, 169 = ZErb 2008, 120; vgl. Hölscher/J. Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 8 Rn 83; siehe auch Kleensang, ZEV 2005, 277, 283; Staudinger/Olshausen [2015], § 2336 Rn 18.
[87] So MüKo/Lange, § 2336 Rn 15.
[88] BVerfGE 112, 332 = ZErb 2005, 169.
[89] Gottwald, Pflichtteilsrecht, § 2336 Rn 11.
[90] Hölscher/J. Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 8 Rn 84.

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