Rz. 107

Inhalt des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist der Betrag, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.[404] Es kann also durchaus vorkommen, dass sich bei einem negativen Wert des tatsächlich vorhandenen Nachlasses durch Hinzuzählung der Werte der ergänzungspflichtigen Zuwendungen ein positiver Gesamtnachlass und somit auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch ergibt.[405] In dieser Konstellation richtet sich der Ergänzungsanspruch aber wegen der beschränkten Erbenhaftung nach § 1990 BGB regelmäßig nicht gegen den Erben, sondern gem. § 2329 BGB gegen den vom Erblasser Beschenkten.[406] Führt auch die Hinzurechnung der lebzeitigen Schenkungen nicht zu einem positiven Gesamtnachlass, ist für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch aber kein Raum, da dem Pflichtteilsberechtigten, auch wenn der reale Nachlass nicht durch die Schenkung gemindert worden wäre, kein Pflichtteilsanspruch zugestanden hätte.[407]

 

Rz. 108

Nach dem Wortlaut des Abs. 1 ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch durch Subtraktion des ordentlichen Pflichtteils vom Gesamtpflichtteil zu ermitteln (= Substraktionsmethode).[408] Zu beachten ist dabei, dass die Berechnung für jeden Pflichtteilsberechtigten gesondert zu erfolgen hat.[409] Im Einzelnen stellt sich der Berechnungsmodus wie folgt dar:

1.) ist der reale Nachlass zu bestimmen und daraus der ordentliche Pflichtteil zu berechnen
2.) wird durch Hinzurechnung aller[410] – grundsätzlich – ergänzungspflichtigen Schenkungen[411] der fiktive (Ergänzungs-)Nachlass ermittelt
3.) ergibt sich durch Anwendung der Erbquote des Pflichtteilsberechtigten dessen fiktiver (gesetzlicher) Erbteil
4.) ist aus diesem durch Halbierung (§ 2303 BGB) der Gesamtpflichtteil abzuleiten
5.) wird vom Gesamtpflichtteil der ordentliche Pflichtteil abgezogen, so dass im Ergebnis der Ergänzungspflichtteil verbleibt.[412]
 

Rz. 109

Diese vermeintlich umständliche Vorgehensweise wird in der Praxis oftmals dadurch ersetzt, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch direkt aus der Schenkung berechnet wird. Dies führt aber nur dann zu richtigen Ergebnissen, wenn der reale Nachlass keinen negativen Wert hat[413] und keiner der sonst denkbaren Sonderfälle – bspw. Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten zum Miterben oder zum Vermächtnisnehmer, § 2326 BGB, oder Eigengeschenk des Pflichtteilsberechtigten, § 2327 BGB – vorliegt.[414]

[404] Vgl. hierzu Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 120; Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 137.
[405] Vgl. MüKo/Lange, § 2325 Rn 45; BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 300.
[406] Vgl. Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 138; MüKo/Lange, § 2325 Rn 11.
[407] Vgl. RG JR 1927 Nr. 1655; BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 300; Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 138 m.w.N.
[408] Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 83 f.; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 121; Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 139 mit genauer Beschreibung des Berechnungsvorgangs und Formel.
[409] Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 142.
[410] Vgl. Mot. V, S. 462, 467; so auch Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 87.
[411] Ohne Abzug der "Vollzugskosten", vgl. BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 306 m.w.N.
[412] Vgl. auch MüKo/Lange, § 2325 Rn 45 mit Darstellung der Berechnungsformel sowie instruktivem Bsp.; siehe auch Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 141 ff.
[413] Soergel/Dieckmann, § 2325 Rn 41; Schanbacher, ZEV 1997, 349, 350; Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 141.
[414] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 122.

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