Rz. 10

Der Pflichtteil eines Abkömmlings bestimmt sich gem. Abs. 1 nach demjenigen, was auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten bei der Teilung entfallen würde. Für die Berechnung sind daher die Regeln über die Berechnung der gesetzlichen Ausgleichspflicht heranzuziehen.

1. Ausgleichung bei Zuwendungen des Erblassers

 

Rz. 11

Für die Berechnung des Pflichtteils i.R.d. Ausgleichungsvorschriften ist wie folgt vorzugehen: Im ersten Schritt wird der Ausgleichungsnachlass ermittelt, indem die nicht an der Ausgleichung beteiligten Personen mit den ihnen jeweils "fiktiv zustehenden Erbteilen" ausgeschlossen werden. Betroffen hiervon sind der Ehegatte sowie die nach § 2056 BGB ausscheidenden Abkömmlinge, die Eltern des Erblassers oder Dritte, die der Erblasser zu Erben eingesetzt hat. Anschließend werden nach Maßgabe der §§ 20552057a BGB dem Nachlass die zu berücksichtigenden ausgleichungspflichtigen Zuwendungen hinzugerechnet bzw. in Fällen des § 2057a BGB der Wert der Leistungen eines Abkömmlings in Abzug gebracht. Sodann wird die Ausgleichungserbquote unter Berücksichtigung aller an der Ausgleichung beteiligten Personen ermittelt. Der jeweilige Vorempfang wird dem Verpflichteten auf den ihm zustehenden Ausgleichungserbteil angerechnet. Bei Anwendung des § 2057a BGB wird dem Ausgleichungserbteil der Wert der Leistungen wieder hinzugerechnet. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des so ermittelten Ausgleichungserbteils.[20]

[20] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 8 Rn 15–18.

2. Bewertung des Vorempfangs bzw. der Leistung

 

Rz. 12

Maßgebender Wert der ausgleichungspflichtigen Zuwendungen oder Leistungen ist in entsprechender Anwendung des § 2055 Abs. 2 BGB ihr Wert zur Leistungszeit, wobei die Zuwendungen/Leistungen um Währungsverfall und Kaufkraftschwund zu bereinigen sind.[21] Der Wert eines Ehegattenerbteils ist genauso wie der Wert des Erbteils eines eingetragenen Lebenspartners vor Durchführung der Ausgleichung vom Nachlass abzuziehen, § 2055 Abs. 1 S. 2 BGB.

 

Beispiel

Erblasser E verstirbt im Jahr 2016. Er hinterlässt neben seiner Ehefrau F die drei Kinder A, B und C. Die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. A erhielt im Jahr 2010 einen ausgleichungspflichtigen Vorempfang i.H.v. 150.000 EUR. B erhielt 2010 ebenfalls einen ausgleichungspflichtigen Vorempfang i.H.v. 100.000 EUR. C hat keinerlei Zuwendungen erhalten. E hat seine Ehefrau F zur Alleinerbin eingesetzt. Der Nachlass hat einen Wert von 500.000 EUR.

Berechnung der Pflichtteilsansprüche von A, B und C:

(1.) Bildung des Ausgleichungsnachlasses:

F zählt nicht zu den ausgleichungspflichtigen Personen. Sie ist vorab mit ihrem Erbteil i.H.v. ½ = 250.000 EUR auszuscheiden.

Ausgangsnachlass: 500.000 EUR – 250.000 EUR = 250.000 EUR

(2.) Bereinigung der jeweiligen Zuwendung um die eingetretene Geldentwertung:

150.000 EUR × 1,074* = 161.100 EUR

100.000 EUR × 1,074 = 107.400 EUR

* 2010 = 100 Pkt.; 2016 = 107,4 Pkt.

Ausgleichungsnachlass: 250.000 EUR + 161.100 EUR + 107.400 EUR.

(3.) Ausgleichungserbteil jeweils ⅓ = 172.833 EUR. Von diesem Ausgleichungserbteil sind die jeweiligen Vorempfänge in Abzug zu bringen:

 
A: 172.833 EUR – 161.100 EUR = 11.733 EUR
B: 172.833 EUR – 107.400 EUR = 65.433 EUR
C: 172.833 EUR

Hiervon ½ entspricht dem Pflichtteil gem. § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB:

(4.) Pflichtteilsansprüche:

 
A 5.866,50 EUR
B 32.716,50 EUR
C 86.416,50 EUR
[21] BGHZ 65, 75.

3. Ausgleichungen bei Leistungen der Abkömmlinge an ihre Eltern gem. § 2057a BGB

 

Rz. 13

Wegen der Grundsätze zur Berücksichtigung von Leistungen i.S.d. § 2057a BGB wird auf die Erläuterungen zu dieser Vorschrift verwiesen. Hier hat der Abkömmling vom Erblasser nichts erhalten. Sämtliche Ausgleichungsbeträge, die das Vermögen des Erblassers i.S.d. § 2057a BGB erhalten oder erhöht haben, sind zu ermitteln und vom Wert des Nachlasses abzuziehen, der auf die Abkömmlinge entfällt.[22] Die Ausgleichung findet auch statt, wenn der Wert der auszugleichenden Leistungen des Abkömmlings die Hälfte des Nachlasswertes übersteigt.[23]

 

Beispiel*

Der verwitwete Erblasser E hinterlässt die Abkömmlinge A und B. E hat seinen Freund F zum Alleinerben eingesetzt. B hat E während einer längeren Krankheit gepflegt, ohne hierfür von ihr vergütet worden zu sein mit der Folge, dass das Vermögen des E ungeschmälert erhalten bleiben konnte. Als E verstirbt, hat der Nachlass einen Wert von 500.000 EUR. Der Wert der Pflegeleistungen des B beträgt 50.000 EUR.

Berechnung der Pflichtteilsansprüche von A und B:

 
500.000 EUR – 50.000 EUR = 450.000 EUR
hiervon ½ = 225.000 EUR

B erhält einen Erbteil v. 225.000 EUR + Pflegeleistungen i.H.v. 50.000 EUR = 275.000 EUR

hiervon ½ = Pflichtteilsanspruch = 137.500 EUR

→ Pflichtteilsanspruch von A beträgt ½ von 225.000 EUR = 112.500 EUR

* Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 8 Rn 26.

[22] Soergel/Dieckmann, § 2316 Rn 15.
[23] BGH FamRZ 1993, 535 = NJW 1993, 1995.

4. Ausgleichungspflichtteil bei unzureichendem Nachlass, § 2056 BGB

 

Rz. 14

Auch i.R.d. § 2316 BGB gilt der Grundsatz des § 2056 BGB, nach welchem die Herausgabe eines Mehrempfangs nicht zu erfolgen hat.[24] Die Berechnung erfolgt in der Art und Weise, dass zunächst i.R.d. Ermittlung des Ausgleichungserbteils mit der Person...

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