Gesetzestext

 

(1)Der Pflichtteilsberechtigte hat sich auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen, was ihm von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll.

(2)1Der Wert der Zuwendung wird bei der Bestimmung des Pflichtteils dem Nachlass hinzugerechnet. 2Der Wert bestimmt sich nach der Zeit, zu welcher die Zuwendung erfolgt ist.

(3)Ist der Pflichtteilsberechtigte ein Abkömmling des Erblassers, so findet die Vorschrift des § 2051 Abs. 1 entsprechende Anwendung.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschriften der §§ 2315, 2316 BGB stellen die Ausnahme zu dem Grundsatz des § 2311 BGB dar, wonach Berechnungsgrundlage für den ordentlichen Pflichtteil stets der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls ist. Dies hat zur Folge, dass lebzeitige Zuwendungen des Erblassers den ordentlichen Pflichtteil grundsätzlich nicht verringern oder erhöhen können.

 

Rz. 2

Bei der Anrechnung nach § 2315 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte einen Vorempfang auf seinen ordentlichen Pflichtteil anrechnen lassen, sofern der Erblasser die Zuwendung mit einer entsprechenden Anrechnungsbestimmung versehen hatte. Es reduziert sich demnach der ordentliche Pflichtteil des Anrechnungspflichtigen um den Vorempfang. Nur der Erbe wird entlastet; auf die Pflichtteilsansprüche weiterer Pflichtteilsberechtigter wirkt sich die Anrechnung nicht aus. Die Ausgleichung nach § 2316 BGB sorgt für einen Ausgleich lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers unter den Pflichtteilsberechtigten im Innenverhältnis. Sie hat für den Erben keinerlei Auswirkung, da die Pflichtteilslast (Wert der Summe aller Pflichtteilsansprüche) durch die Ausgleichung weder verringert noch erhöht wird. Die Anrechnung verringert die Pflichtteilslast insgesamt und führt nicht, wie die Ausgleichung, nur zu einer Umverteilung im Innenverhältnis. Es wird die nach §§ 2051 ff. BGB bei gesetzlicher Erbfolge stattfindende Ausgleichung unter Abkömmlingen auf das Pflichtteilsrecht übertragen.

 

Rz. 3

Während an der Ausgleichung nach § 2316 BGB nur Abkömmlinge des Erblassers beteiligt sind, ist eine Anrechnung bei allen Pflichtteilsberechtigten möglich. Die Ausgleichung erfolgt grundsätzlich kraft Gesetzes; für die Anrechnung ist immer eine Anrechnungsbestimmung des Erblassers erforderlich. Die Anrechnungsbestimmung kann formlos erfolgen. Sie kann daher schriftlich, mündlich oder auch stillschweigend erklärt werden.[1]

[1] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 2.

B. Tatbestand

I. Anrechnungsbestimmung

 

Rz. 4

Die Anrechnungsbestimmung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung,[2] die der Erblasser spätestens bei der Zuwendung getroffen haben muss.[3] Sie kann auch vorher für eine oder mehrere später noch folgende Zuwendungen erfolgen.[4] Hat der Erblasser die Anrechnungsbestimmung lediglich in einer letztwilligen Verfügung angeordnet, so genügt dies nicht.[5] Zwar muss die Erklärung gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann auch stillschweigend ergehen.[6] Sie muss dem Zuwendungsempfänger aber bewusst werden,[7] d.h., der Erblasser muss sich so verhalten haben, dass für den Pflichtteilsberechtigten spätestens bei Hingabe der Zuwendung deutlich wurde, dass diese mit einer Anrechnungsbestimmung versehen war.[8] Der Pflichtteilsberechtigte muss die Möglichkeit haben, die konkrete, mit dieser Anordnung versehene Zuwendung anzunehmen.[9] Unterlässt es der Erblasser, die Zuwendung mit einer Anrechnungsbestimmung zu versehen, kann er dies später nicht mehr nachholen. Einer späteren Bestimmung muss der Pflichtteilsberechtigte in der für den Pflichtteilsverzicht vorgeschriebenen Form (§§ 2346 Abs. 2, 2348 BGB) zustimmen.[10] Nicht ausreichend ist es, wenn die nachträgliche Anrechnungsbestimmung lediglich privatschriftlich erfolgt. Wegen des erbrechtlichen Typenzwangs handelt es sich bei einer solchen Erklärung nicht um einen wirksamen Vertrag sui generis über die Anrechnungspflicht.[11] Etwas anderes gilt im Hinblick auf eine nachträgliche Anordnung nur dann, wenn sich der Erblasser vorbehalten hatte, die Zuwendung nachträglich anrechenbar zu machen[12] Die Anrechnungsbestimmung kann ausnahmsweise auch dann noch nachträglich erfolgen, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung nach den §§ 2333 ff. BGB und eine entsprechende Verfügung von Todes wegen vorliegen.[13] Eine Anrechnungsbestimmung kann der Erblasser formlos oder durch einseitige Verfügung, auch von Todes wegen, wieder aufheben.[14] Eine Anrechnungsbestimmung bei einer Zuwendung an einen Minderjährigen stellt keinen rechtlichen Nachteil i.S.d. § 107 BGB dar[15] und steht einer gerichtlichen Genehmigung nach § 1821 BGB nicht entgegen.[16]

 

Rz. 5

Aus der Formulierung "Anrechnung auf den Erbteil" lässt sich nicht ohne Weiteres die Schlussfolgerung ziehen, der Erblasser habe die Zuwendung mit einer Anrechnungsbestimmung nach § 2315 BGB versehen.[17] Vielmehr muss sich aus weiteren Anhaltspunkten ergeben, dass der Wille des Erblassers darauf gerichtet war, dass sich der Pflichtteilsbe...

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