Gesetzestext

 

(1)1Bei der Feststellung des Wertes des Nachlasses bleiben Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind, außer Ansatz. 2Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer auflösenden Bedingung abhängig sind, kommen als unbedingte in Ansatz. 3Tritt die Bedingung ein, so hat die der veränderten Rechtslage entsprechende Ausgleichung zu erfolgen.

(2)1Für ungewisse oder unsichere Rechte sowie für zweifelhafte Verbindlichkeiten gilt das Gleiche wie für Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind. 2Der Erbe ist dem Pflichtteilsberechtigten gegenüber verpflichtet, für die Feststellung eines ungewissen und für die Verfolgung eines unsicheren Rechts zu sorgen, soweit es einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Grundsätzlich folgt die Bewertung des Nachlasses für pflichtteilsrechtliche Zwecke dem Stichtagsprinzip des § 2311 BGB. Dessen Anwendung erweist sich jedoch in bestimmten Sachverhaltskonstellationen als problematisch. Das gilt insbesondere dann, wenn unklar ist, ob ein möglicher Aktiv- oder Passivposten tatsächlich bzw. rechtlich besteht, ob er wirklich zum Nachlass gehört und/oder ob er schlussendlich realisierbar (in Geld umsetzbar) oder (im Bereich der Verbindlichkeiten) belastend (also durch den oder die Erben zu bezahlen) ist.

Solche Posten können kaum sinnvoll bewertet werden, da im Rahmen einer – prinzipiell denkbaren – Schätzung auch die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter zukünftiger Entwicklungen mit in die Betrachtung einbezogen werden müsste. Im Zweifel wäre regelmäßig eine Art Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Ob dieser im Einzelfall tatsächlich gerechtfertigt oder richtig bemessen wäre, ließe sich aber im Bewertungszeitpunkt gerade nicht zuverlässig beurteilen.

Vor diesem Hintergrund sieht § 2313 BGB für diese "Zweifelsfälle" den Ansatz "vorläufiger Werte" vor.[1] Dabei wird der Wert jedes Vermögensgegenstandes bzw. Schuldpostens so ermittelt, als ob sein Bestand bzw. seine Realisierbarkeit von vornherein sicher wären. Erweist sich diese Unterstellung im Nachhinein als unzutreffend, ist das Ergebnis entsprechend zu korrigieren und an die tatsächlichen Verhältnisse anzupassen.

Somit durchbricht § 2313 BGB das Stichtagsprinzip nur in Bezug auf die Bestimmung des Nachlassbestandes, nicht aber hinsichtlich der Bewertung (im engeren Sinne); diese hat zwingend nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu erfolgen.[2]

 

Rz. 2

Im Anwendungsbereich des § 2313 BGB liegen Vermögensgegenstände aller Art sowie Verbindlichkeiten und dingliche Belastungen.[3] Die in Rede stehende Unsicherheit (Zweifelhaftigkeit) kann sowohl im Tatsächlichen als auch in der rechtlichen Beurteilung liegen.[4] Besteht lediglich eine Befristung, ohne dass das betroffene Recht/die betroffene Verbindlichkeit unsicher erscheint, ist § 2313 BGB aber nicht anzuwenden,[5] bei ihnen ist der Wert vielmehr nach § 2311 BGB zu ermitteln.[6] Dasselbe gilt, wenn die Unsicherheit sich allein auf die Bewertungsebene beschränkt, der tatsächliche und/oder rechtliche Bestand des Vermögensgegenstandes bzw. der Verbindlichkeit aber unzweifelhaft sind.[7]

[1] "Spezialregelung", BeckOGK/Blum, § 2313 Rn 2; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2313 Rn 1.
[2] Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 2.
[3] BGH ZEV 2011, 27; BGHZ 3, 394, 397; RGRK/Johannsen, § 2313 Rn 4, 5; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 3; Planck/Greiff, Anm. 1.
[4] Vgl. Horn, in: MAH Erbrecht, § 29 Rn 185; Bartsch, ZErb 2012, 201, 202.
[5] BGH JR 1980, 102, 103 m. krit. Anm. Schubert; OLG Celle FamRZ 2004, 1823, 1826; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 6.
[6] OLG Celle FamRZ 2004, 1823, 1826; BGH FamRZ 1979, 787 für Leibrente m. krit. Anm. Schubert, JR 1980, 103, 104; RGZ 72, 379, 381; MüKo/Lange, § 2313 Rn 7; Lange/Kuchinke, § 37 VI 5a; Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 208; Palandt/Weidlich, § 2313 Rn 1.
[7] BGH ZEV 2004, 377, 378; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 7; Schmidt-Kessel, WM 1988 Beil. 81, S. 15; MüKo/Lange, § 2313 Rn 1.

B. Tatbestand/Rechtsfolgen

I. Beurteilungsgrundsätze

 

Rz. 3

Auch wenn das Pflichtteilsrecht und insbesondere die zur Pflichtteilsberechnung vorzunehmende Bewertung des Nachlasses grundsätzlich vom Stichtagsprinzip des § 2311 BGB beherrscht wird,[8] ist i.R.d. Anwendung des § 2313 BGB eine Erweiterung dieses Ansatzes geboten. Denn bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Schuld als unsicher, zweifelhaft, ungewiss oder bedingt anzusehen ist, muss im Hinblick auf das Bestreben des Gesetzes, eine möglichst rasche und endgültige Regelung der Pflichtteilsansprüche zu gewährleisten, der Rechtsgedanke des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, Wertaufhellung, Anwendung finden. Deshalb gilt als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt – ausnahmsweise – die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Demzufolge kommt es nicht nur darauf an, wie ein Vermögensgegenstand oder Schuldposten zur Zeit des Erbfalls zu beurteilen war. Zwischen Erbfall und Geltendmachung eingetretene Entwicklungen sind ...

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