Rz. 3

Auch wenn das Pflichtteilsrecht und insbesondere die zur Pflichtteilsberechnung vorzunehmende Bewertung des Nachlasses grundsätzlich vom Stichtagsprinzip des § 2311 BGB beherrscht wird,[8] ist i.R.d. Anwendung des § 2313 BGB eine Erweiterung dieses Ansatzes geboten. Denn bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Schuld als unsicher, zweifelhaft, ungewiss oder bedingt anzusehen ist, muss im Hinblick auf das Bestreben des Gesetzes, eine möglichst rasche und endgültige Regelung der Pflichtteilsansprüche zu gewährleisten, der Rechtsgedanke des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, Wertaufhellung, Anwendung finden. Deshalb gilt als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt – ausnahmsweise – die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Demzufolge kommt es nicht nur darauf an, wie ein Vermögensgegenstand oder Schuldposten zur Zeit des Erbfalls zu beurteilen war. Zwischen Erbfall und Geltendmachung eingetretene Entwicklungen sind vielmehr zu berücksichtigen. Rechte und Verbindlichkeiten, die zur Zeit des Erbfalls (noch) bedingt, zweifelhaft, ungewiss oder unsicher waren, aber bis zur Geltendmachung unbedingt, zweifelsfrei, gewiss oder sicher geworden sind, müssen voll in Ansatz gebracht werden.[9] Denn in diesen Fällen hat sich die anfänglich bestehende, einem (Wert-)Ansatz im Weg stehende Unsicherheit sozusagen erledigt. Soweit Bedingungen oder Zweifel nur noch teilweise bestehen, sind dementsprechend die zwischenzeitlich unbedingten oder nicht mehr zweifelhaften Teile in Ansatz zu bringen.[10]

Kommen erst nach dem Erbfall Zweifel oder Unsicherheiten, z.B. an der Realisierbarkeit einer Forderung,[11] auf, kann dies i.R.d. § 2313 BGB nicht berücksichtigt werden. Der Tatbestand der Vorschrift muss bereits zur Zeit des Erbfalls erfüllt sein.[12] Das schließt natürlich nicht aus, wertaufhellende Umstände[13] auch in die Bewertung nach § 2311 BGB einzubeziehen. Außerdem gilt auch i.R.d. Anwendung des § 2313 BGB das Stichtagsprinzip des § 2311 BGB.[14] Für die Frage, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Verbindlichkeit als unsicher, ungewiss, bedingt oder zweifelhaft anzusehen ist, kommt es selbstverständlich nicht auf die subjektive Ansicht des Erben an, sondern auf die juristisch sachgerechte Beurteilung eines objektiven Dritten,[15] also die objektive Sachlage.[16]

[8] BGHZ 3, 394, 396; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 2; Soergel/Dieckmann, § 2313 Rn 11.
[9] BGHZ 3, 394, 396; BGHZ 7, 134, 141 = NJW 1952, 1173; Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 209; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 28.
[10] BGHZ 3, 394, 396; RGRK/Johannsen, § 2313 Rn 9; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 28.
[11] Die am Stichtag noch voll beitreibbar erschien und deren Schuldner erst nach dem Erbfall in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.
[12] Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 28.
[13] Also solche, die bereits am Stichtag bestehende Verhältnisse später in einem anderen, nämlich zutreffenden ("helleren") Licht erscheinen lassen.
[14] BGHZ 123, 77, 80 = NJW 1993, 2179; OLG Köln NJW 1998, 240, 241; Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 209; a.A. MüKo/Lange, § 2313 Rn 4.
[15] BGH ZEV 2004, 377, 378; MüKo/Lange, § 2313 Rn 5; Staudinger/Herzog [2015], § 2313 Rn 8.
[16] BGH ZEV 2004, 377, 378; MüKo/Lange, § 2313 Rn 5.

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