Rz. 94

Theoretisch entspricht der gemeine Wert dem Normalverkaufspreis.[350] Dessen Feststellung ist aber, soweit ein tatsächlicher Verkauf nicht stattfindet, in der Praxis nicht ohne weiteres möglich.

Dass die Wertermittlung im Wesentlichen durch entsprechend qualifizierte Sachverständige erfolgen muss, versteht sich von selbst. Das ändert allerdings nichts daran, dass auch im Rahmen der Begutachtung bestimmte Prämissen zugrunde zu legen sind, die insbesondere das wirtschaftlich sinnvollste Verwertungsszenario aus der Perspektive des idealen Erben umfassen. Auch bei der gutachterlichen Bewertung muss es nicht immer um die Ermittlung des schnellstmöglich erzielbaren Verkaufspreises gehen. Das gilt insbesondere für Ertrag bringendes Vermögen wie beispielsweise vermietete bzw. vermietbare Immobilien und Unternehmen.

 

Rz. 95

Da eine bestimmte Wertberechnungsmethode für die Schätzung des gemeinen Werts nicht vorgegeben ist,[351] obliegt die sachgerechte Entscheidung über die anzuwendende Bewertungsmethode dem Tatrichter,[352] der hierfür jedoch i.d.R. auf die Hilfe sachverständiger Dritter angewiesen ist.[353]

Die von einem Sachverständigen getroffene Auswahl der Bewertungsmethode ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar.[354]

 

Rz. 96

Die nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ermittelten sog. Buchwerte[355] oder die steuerlichen Einheitswerte scheiden jedenfalls als Bewertungsgrundlage aus.[356] Dasselbe gilt aber auch für den reinen "Liebhaberwert", der insoweit unbeachtlich ist, weil er allein auf subjektiven Wertvorstellungen einzelner Personen beruht.[357] Wenn jedoch die Liebhaberei zur Entwicklung eines eigenen, besonderen Marktes mit objektiv nachprüfbaren Bewertungen (Briefmarken mit Auktions- und Katalogpreisen, Liebhaberaufschläge bei "Oldtimern") führt, so sind diese der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legen.[358]

[350] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 42.
[351] BGH NJW-RR 1993, 131; BGH NJW 1973, 509; OLG München BB 1988, 429, 430; OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 58, 59.
[352] Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 115; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 51.
[353] BGH NJW-RR 1993, 131; BGH WM 1982, 17, 18 = NJW 1982, 575; BGH BB 1982, 887 = NJW 1982, 2497; BGH NJW 1972, 1269; BGH NJW-RR 1986, 226, 228 = FamRZ 1986, 37; OLG Düsseldorf ZEV 1994, 361; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 106; BeckOGK/Blum, § 2311 Rn 169.
[354] BGH NJW 1991, 1547; BeckOGK/Blum, § 2311 Rn 174.
[355] BVerfGE 78, 132; Piltz, S. 94; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 83; Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Teil 1 Rn 150.
[356] Eingehend hierzu BVerfGE 78, 132 zu § 23 SchlHAGBGB a.F.
[357] Vgl. BGH LM Nr. 20 = NJW-RR 1993, 131, 132; BGHZ 13, 45, 47; MüKo/Lange, § 2311 Rn 25; BeckOGK/Blum, § 2311 Rn 159; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 52.
[358] Meincke, S. 188; J. Mayer, ZEV 1994, 331; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 882; MüKo/Lange, § 2311 Rn 25; Lohr/Prettl, in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 4 Rn 7. Zur Bewertung eines "künstlerischen Nachlasses" OLG Oldenburg NJW 1999, 1974.

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