Rz. 228

Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu denen i.d.R. auch Handwerksbetriebe gehören, liefert die Anwendung der Ertragswertmethode nach IDW S 1 nur eingeschränkte verwertbare Ergebnisse. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass der Detaillierungsgrad der verfügbaren Planungsdaten nicht ausreichend ist und der Abhängigkeit des Unternehmenswerts von individuellen Eigenschaften des Inhabers, bestimmter Mitarbeiter, Lieferanten und einzelner Kunden bzw. Kundengruppen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Außerdem bleiben die individuelle Konkurrenzsituation und das individuelle Leistungsangebot sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken bei der Bewertung nach der Ertragswertmethode weitgehend unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) den sog. AWH-Standard[636] geschaffen.[637]

 

Rz. 229

Das Bewertungsverfahren nach dem AWH-Standard folgt dogmatisch der Ertragswertmethode, ist jedoch auf die Besonderheiten von kleinen und mittelständischen Handwerksunternehmen abgestimmt. Da in der handwerklichen Praxis im Regelfall kein die Strategie des Alteigentümers fortschreibendes, betriebswirtschaftlich fundiertes Planungsmodell existiert, bilden anstelle der für die Ertragswertmethode maßgeblichen Planungsdaten die Jahresabschlüsse der letzten drei bis fünf Jahre die Bewertungsgrundlage. Die Jahresüberschüsse sind um betriebsfremde und außerordentliche Aufwendungen bzw. Erträge zu korrigieren und hinsichtlich persönlich oder familiär motivierter Faktoren, z.B. unangemessener Entlohnung von Familienangehörigen, zu überprüfen. Da auch Zinsen und Skonti in kleineren Betrieben oftmals durch eine persönlich motivierte Finanz- und Entnahmepolitik des Inhabers beeinflusst werden, sind auch diese Posten kritisch zu hinterfragen.[638]

 

Rz. 230

Eine wesentliche wertbeeinflussende Größe stellt der kalkulatorische Unternehmerlohn dar. Da dieser im Einzelfall kaum unstreitig ermittelt werden kann, ihm jedoch für das Bewertungsergebnis eine erhebliche Bedeutung zukommt, sieht der AWH-Standard hier einen pragmatischen Ansatz vor, der auf dem tariflichen Meistergehalt zuzüglich Arbeitgeberanteil für Sozialversicherung und 20 % bis 50 % Zuschlag für die Unternehmertätigkeit (Mehrarbeit, Haftung etc.) aufbaut. Die Angemessenheit des so ermittelten Ergebnisses ist jedoch im jeweiligen Einzelfall konkret zu überprüfen.[639]

 

Rz. 231

Die Bewertung umfasst grundsätzlich die gesamte wirtschaftliche Unternehmenseinheit als "intakte Einkommensquelle". Vor diesem Hintergrund sind sämtliche Gegenstände des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sowie der betriebsnotwendige Waren- und Materialbestand einzubeziehen. Bei Übernahme zusätzlicher Werte, wie z.B. Forderungen, teilfertigen Leistungen etc., oder Verbindlichkeiten ist der ermittelte Ertragswert entsprechend anzupassen. Die Bewertung erfolgt grundsätzlich ohne Betriebsgrundstücke und Gebäude. Die sich hieraus ergebenden Korrekturen werden im Bereich der kalkulatorischen Kosten erfasst.[640]

[636] Arbeitsgemeinschaft der Wertermittelnden Betriebsberater im Handwerk.
[637] Vgl. AWH-Standard, Version 5.0, Stand 1.5.2016, S. 4.
[638] AWH-Standard, S. 9.
[639] AWH-Standard, S. 9.
[640] AWH-Standard, S. 9. Wegen weiterer Einzelheiten bzw. zur Anwendung des AWH-Standards vgl. Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 15 Rn 189 ff.

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