Rz. 55

Für die Werthaltigkeit des Nachlasses ist der Pflichtteilsberechtigte darlegungs- und beweispflichtig.[260] Umso mehr stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie insbesondere der Wert der Nachlassgegenstände zu bestimmen ist.[261] Die vom Gesetzgeber in den §§ 2311, 2312, 2313 BGB niedergelegten Vorgaben sind in weiten Teilen unvollständig.[262]

 

Rz. 56

Der historische Gesetzgeber[263] ging davon aus, der Pflichtteilsberechtigte sei durch den Pflichtteil materiell in Geld so zu stellen, als wäre er mit seiner Pflichtteilsquote Erbe geworden.

 

Rz. 57

Konsequenterweise fordern sowohl das BVerfG[264] als auch der BGH[265] grundsätzlich, den Pflichtteilsberechtigten wirtschaftlich so zu stellen, als wenn er zu einem dem Pflichtteil entsprechenden Bruchteil Erbe geworden wäre; das Pflichtteilsrecht stellt also eine Art Abfindung für die enttäuschte Erberwartung dar, die der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der Regelungen der gesetzlichen Erbfolge haben durfte.[266] Daher ist es das Ziel der Bewertung, den vollen, wirklichen Wert der einzelnen Nachlassgegenstände und somit des Nachlasses insgesamt zu ermitteln.[267]

 

Rz. 58

Vor diesem Hintergrund müssen etwa vom Erblasser getroffene Wertfestsetzungen unbeachtlich sein (Abs. 2 S. 2).[268] Das folgt bereits aus der zwingenden Natur des Pflichtteilsrechts. Etwas anderes gilt nur nach Maßgabe des § 2312 BGB bei einem Landgut, bei dem der i.d.R. wesentlich niedrigere Ertragswert (zu den Wertunterschieden zwischen normalem Verkehrswert und landwirtschaftlichem Ertragswert siehe § 2312 Rdn 20 ff.) der Pflichtteilsberechnung zugrunde gelegt werden kann, oder wenn die Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung gegeben wären (§§ 2333 ff. BGB).[269]

 

Rz. 59

Davon abgesehen gibt das Gesetz aber keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie die Wertermittlung tatsächlich durchzuführen ist.[270] Dies gilt umso mehr, als eine allgemeinverbindliche Wertdefinition nicht existiert[271] – weder in § 2311 BGB noch in anderen heranzuziehenden gesetzlichen Vorschriften. Dessen ungeachtet werden aus dem Kontext der §§ 2311 bis 2313 BGB verschiedene Wertungen des Gesetzgebers deutlich, aus denen sich weitere Grundsätze für die Bewertung des Nachlasses zum Zweck der Pflichtteilsberechnung ableiten lassen.[272]

[260] Dies gilt auch hinsichtlich des Nichtbestehens substantiiert geltend gemachter Verbindlichkeiten, vgl. OLG Brandenburg ZErb 2009, 187.
[261] Vgl. zum Ganzen auch Horn, ErbR 2017, 685 ff.
[262] Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 57.
[263] Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band V, Amtliche Ausgabe, (Mot. V), § 1986, S. 407: "daß der Pflichttheilsberechtigte durch den Pflichttheil materiell in Geld soviel erhalten soll, wie er erhalten haben würde, wenn er zu dem dem Pflichttheile entsprechenden Bruchtheile Erbe wäre".
[264] BVerfG NJW 1988, 2723, 2724.
[265] BGH NJW-RR 1991, 900, 901; BGH NJW 1954, 1764, 1765; BGHZ 7, 134, 138.
[266] Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 58.
[267] BGH LM § 2311 Nr. 5; OLG München BB 1988, 429, 431; Meincke, S. 147 f.; Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 58.
[268] OLG München FamRZ 2013, 329; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2311 Rn 50; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 53; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 83; MüKo/Lange, § 2311 Rn 1.
[269] MüKo/Lange, § 2311 Rn 24; Palandt/Weidlich, § 2311 Rn 6.
[271] Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 81; BeckOGK/Blum, § 2311 Rn 157; Lohr/Prettl, in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 4 Rn 2.
[272] Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 82; Großfeld, JZ 1981, 641, 643.

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