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Bewertungsstichtag ist, wie ausgeführt, der Tag des Todes des Erblassers[363] (§ 2311 Abs. 1 S. 1; siehe Rdn 3 ff.). Später eintretende Wertsteigerungen und Wertverluste berühren den pflichtteilsrelevanten Nachlasswert und damit den Pflichtteilsanspruch als solchen grundsätzlich nicht mehr.[364] Auf diese Weise bürdet der Gesetzgeber dem Pflichtteilsberechtigten auch das Risiko der Geldentwertung auf, da der Pflichtteilsanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB mit dem Erbfall als Geldsummen- und nicht etwa Geldwertanspruch entsteht.[365] Soweit es dem Pflichtteilsberechtigten nicht gelingt, den Erben möglichst rasch nach dem Erbfall in Verzug zu setzen, geht daher eine verzögerte Pflichtteilserfüllung allein zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten.[366]

 

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Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass die Nachlassbewertung völlig statisch auf die am Tag des Erbfalls festzustellenden Wertverhältnisse fixiert ist. Denn spätere Entwicklungen können bzw. müssen aufgrund des sog. Wertaufhellungsprinzips in bestimmtem Umfang berücksichtigt werden.[367] Das Stichtagsprinzip besagt insoweit nur, dass die notwendigen Bewertungsdaten aus der Sicht dieses Stichtags zu ermitteln sind,[368] der Stichtag ist nicht ein "fiktives Realisierungsdatum" für die "Versilberung" des Nachlasswerts. Berücksichtigungsfähig sind daher alle zu diesem Zeitpunkt nahe liegenden und wirtschaftlich fassbaren, in ihrem Keim bereits angelegten Entwicklungen.[369] Üblich, ja selbstverständlich ist dies etwa bei den betriebswirtschaftlichen Bewertungen im Unternehmensbereich.[370] Dasselbe muss aber auch bei anderen bereits absehbaren, kurzfristig eintretenden Veränderungen der Wertverhältnisse gelten.[371] Dies entspricht auch dem Bewertungsziel: Der Pflichtteilsberechtigte ist zwar nicht direkt dinglich, aber doch wertmäßig so zu stellen, als ob er in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils am Nachlass "beteiligt" wäre. Aus diesem Beteiligungsgedanken ergibt sich zugleich, dass er auch im Keim bereits im Todeszeitpunkt angelegte Entwicklungen bis zu einem gewissen Grad gegen sich gelten lassen muss.

[363] BGH NJW 2001, 2713, 2714; BGHZ 7, 134, 138; Hoyenberg, RNotZ 2007, 377, 390.
[364] BGHZ 7, 134, 138; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 98; MüKo/Lange, § 2311 Rn 2, 21.
[365] BGHZ 7, 134, 137 f. = NJW 1952, 1173 f.
[366] Vgl. hierzu auch MüKo/Lange, § 2311 Rn 21 m.w.N.
[367] Braunhofer, S. 49 f.; allgemein dazu aus betriebswirtschaftlicher Sicht Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983, S. 168; vgl. auch BGH NJW 1971, 509, 511.
[368] BVerfGE 78, 132; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 100; Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 88; Meincke, S. 214 f.
[369] BGH NJW 1973, 509; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 100; MüKo/Lange, § 2311 Rn 28.
[370] Riedel, Bewertung, Rn 51 m.w.N.
[371] Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 100 mit eingehender Problemdarstellung; Riedel, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 5 Rn 89; Soergel/Dieckmann, § 2311 Rn 17; Meincke, S. 214 f.; J. Mayer, ZEV 1994, 331, 336; die Rspr. behilft sich hier oftmals mit der Wendung "vom inneren Wert".

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