Rz. 10

Wenn der Tatbestand des § 2307 BGB erfüllt ist, gibt das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten ein Wahlrecht: Einerseits kann er das Vermächtnis ausschlagen und seinen vollen Pflichtteil verlangen. Andererseits kann er auch das Vermächtnis annehmen und sich dessen Wert auf den Pflichtteil anrechnen lassen. In diesem Fall schließt die Annahme des Vermächtnisses grundsätzlich auch die Übernahme aller mit ihm verbundenen Belastungen (Untervermächtnis, Testamentsvollstreckung o.Ä.) mit ein, die jedoch bei der Wertbemessung nicht zu berücksichtigen sind.

Der Pflichtteilsberechtigte ist dabei in seiner Entscheidung grundsätzlich frei; "Drittinteressen" braucht er nicht zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch für insolvente Pflichtteilsberechtigte während der Wohlverhaltensphase nach § 287 Abs. 2 InsO. Weder die Vermächtnisausschlagung[30] noch der Verzicht auf die Pflichtteilsgeltendmachung[31] stellen Obliegenheitsverpflichtungen dar.[32]

 

Rz. 11

Wie sich das Wahlrecht bzw. sein Bestehen nach § 2307 BGB auf die Möglichkeit des Pflichtteilsberechtigten, seine Ansprüche zu verfolgen, genau auswirkt, wird in der Lit. in mancherlei Hinsicht unterschiedlich beurteilt.

Teilweise wird aus Abs. 1 S. 1 der Schluss gezogen, dass der Pflichtteilsanspruch im Anwendungsbereich von § 2307 BGB erst nach Ausschlagung des Vermächtnisses entstehe, so dass er vorher auch nicht geltend gemacht werden könne.[33] Allerdings gehen die Vertreter dieser Auffassung wohl davon aus, dass der Ausschlagung des Vermächtnisses Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erbfalls zukäme, so dass im Ergebnis der Pflichtteilsberechtigte so zu behandeln sei, als wäre sein Anspruch (wie in § 2317 BGB vorgesehen) bereits mit dem Erbfall entstanden.[34]

 

Rz. 12

Tatsächlich entsteht aber der Pflichtteilsanspruch auch in Fällen des § 2307 BGB unmittelbar mit dem Erbfall (§ 2317 BGB).[35] So heißt es in den Gesetzesmaterialien zu § 2307 BGB:[36] "So lange der Berechtigte das Vermächtniß nicht ausgeschlagen hat, steht seinem Anspruch die Einrede entgegen, daß er durch das Vermächtniß befriedigt sei. Diese Einrede wird jedoch durch die Replik, daß es von ihm ausgeschlagen sei, entkräftet."

Die Einschränkung in Abs. 1 S. 1, dass der Pflichtteil nur im Falle der Ausschlagung des Vermächtnisses verlangt werden kann, stellt also lediglich eine dem Erben zustehende Einrede dar,[37] durch deren Erhebung er den Eintritt der Fälligkeit des Vermächtnisanspruchs verhindern kann.[38]

[32] Vgl. zum Ganzen Menzel, MittBayNot 2010, 52 ff.
[33] Vgl. Planck/Greiff, § 2307 Anm. 2a; ebenso anscheinend MüKo/Lange, § 2307 Rn 15; Hölscher/Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 4 Rn 11; offenlassend Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2307 Rn 26, 33.
[34] Vgl. Bengel, ZEV 2000, 388, 389.
[35] Vgl. RG JW 1931, 1354 unter Hinweis auf RGZ 77, 238 (zu § 2306 BGB); vgl. auch Bengel, ZEV 2000, 388, 389 unter Hinweis auf Mot. V, S. 401; vgl. auch Staudinger/Haas [2006], § 2307 Rn 12; Lübtow, Probleme des Erbrechts, 1967, S. 33 ff.; RGRK/Johannsen, § 2317 Rn 4.
[36] Vgl. auch Mot. V, S. 393.
[37] Hinsichtlich der Abgrenzung zur Einwendung vgl. Bengel, ZEV 2000, 388, 390 m.w.N.
[38] Ebenso Bengel, ZEV 2000, 388, 389. Zur Möglichkeit der Geltendmachung des Pflichtteilsrestanspruchs vgl. Staudinger/Otte [2015], § 2307 Rn 14.

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