Rz. 30

Voraussetzung für das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs ist, dass der Berechtigte – ohne die ihn beeinträchtigende Verfügung von Todes wegen – tatsächlich Erbe geworden wäre. Ist der (potentiell) Pflichtteilsberechtigte bereits aus anderen Gründen von der Erbfolge ausgeschlossen, kann durch eine Verfügung von Todes wegen seine berechtigte Erberwartung nicht mehr enttäuscht werden, folglich steht ihm auch kein Pflichtteilsanspruch zu.[133] Somit scheidet ein Pflichtteilsanspruch aus,[134] wenn der Berechtigte vor oder gleichzeitig (§ 1923 Abs. 1 BGB) mit dem Erblasser verstirbt. Das Gleiche gilt, wenn der Berechtigte im Falle der gesetzlichen Erbfolge gem. § 1930 BGB von einem Verwandten einer vorrangigen Ordnung verdrängt würde bzw. wenn ein entfernter Abkömmling durch einen näheren ausgeschlossen wird, § 1924 Abs. 2 BGB. Schließlich sind die für erbunwürdig erklärten Personen grundsätzlich nicht pflichtteilsberechtigt,[135] wobei jedoch zu beachten ist, dass sich die Erbunwürdigkeit nicht auf die Abkömmlinge des für erbunwürdig Erklärten erstreckt.

 

Rz. 31

Der Pflichtteilsberechtigte kann seinen Anspruch auch durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit dem Erblasser verloren haben.[136] Hier kommen insbesondere der Pflichtteilsverzichtsvertrag[137] sowie der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht,[138] § 2346 Abs. 1 BGB, in Betracht. Derartige Verzichtsverträge können sich grundsätzlich auch auf die Abkömmlinge des Berechtigten erstrecken. Dies setzt allerdings wenigstens eine entsprechende Andeutung im Vertragstext voraus.[139] Verzichtsverträge stellen in diesen Fällen eine Verfügung über das künftige Erb- und Pflichtteilsrecht des ganzen Stammes dar.[140] Die Verträge im eben genannten Sinne sind aber streng zu trennen von sog. "Erbschaftsverträgen",[141] durch die der Berechtigte gem. § 311b Abs. 4 BGB – vormals, vor der Schuldrechtsreform, § 312 Abs. 2 BGB – zugunsten eines Miterben mit rein schuldrechtlicher Wirkung[142] auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet, sowie von Zuwendungsverzichten gem. § 2352 BGB, durch die das gesetzliche Erbrecht ebenfalls unberührt bleibt.[143]

[133] MüKo/Lange, § 2303 Rn 17.
[134] OLG Hamm NJW 1996, 70; vgl. Bestelmeyer, Rpfleger 2004, 604, 607; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2303 Rn 30; MüKo/Lange, § 2303 Rn 17.
[135] BeckOGK/Obergfell, § 2303 Rn 36; MüKo/Lange, § 2303 Rn 17; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 16.
[136] MüKo/Lange, § 2303 Rn 17; BeckOGK/Obergfell, § 2303 Rn 36; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2303 Rn 30; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 150.
[137] Ein solcher ist übrigens selbst dann nicht sittenwidrig, wenn ein behindertes Kind, das Sozialleistungen bezieht, durch ihn auf den Pflichtteil nach seinen Eltern verzichtet, vgl. OLG Köln ZErb 2010, 56 f.
[138] Staudinger/Otte [2015], § 2303 Rn 23; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2303 Rn 30.
[139] OLG Koblenz v. 6.6.2011 – 10 U 150/11, BeckRS 2012, 9031.
[140] BeckOGK/Obergfell, § 2303 Rn 40; Staudinger/Otte [2015], § 2303 Rn 23; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 152.
[141] BGHZ 104, 279, 281; BGH NJW 1995, 448; MüKo/Thode, § 312 a.F. Rn 13; Staudinger/Haas [2006], § 2303 Rn 39.
[142] RGZ 71, 133, 136; BGHZ 104, 279, 281; MüKo/Kanzleiter, § 311b Rn 121.
[143] Staudinger/Otte [2015], § 2303 Rn 24; Staudinger/Schumacher [2012], § 311b Abs. 4 und 5 Rn 30 ff.; Staudinger/Haas [2006], § 2303 Rn 39.

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