Rz. 1

Aufgrund seiner Testierfreiheit hat der Erblasser die Möglichkeit, auch seine nächsten Angehörigen zu enterben. Wirtschaftlich wird die Testierfreiheit durch die §§ 2303 ff. BGB für den dort definierten Personenkreis durch die Gewährung eines Pflichtteilsanspruchs eingeschränkt.[1] Der Aufnahme eines solchen Pflichtteilsrechts durch den Gesetzgeber lag der Gedanke zugrunde, dass den Erblasser eine über seinen Tod hinausgehende Sorgfaltspflicht gegenüber seinen nächsten Angehörigen treffe. Das Pflichtteilsrecht gewährleistet diesen eine Mindestteilhabe am Nachlass, allerdings nicht in der Form eines echten Noterbrechts (mit dinglicher Beteiligung), sondern in Form eines reinen Geldanspruchs.[2] Entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts[3] ist die Mindestbeteiligung der Kinder bzw. Eltern bedarfsunabhängig und steht als tragendes Strukturprinzip unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG.

Vor diesem Hintergrund steht dem Pflichtteilsberechtigten auch im Verhältnis gegenüber Dritten, z.B. seinen Angehörigen, grundsätzlich ein freies Entscheidungsrecht zu, ob er seine Ansprüche geltend machen möchte oder nicht. Insbesondere stellt das Einfordern rechtsfehlerfrei festgestellter Pflichtteilsansprüche grundsätzlich keinen die Annahme einer feindlichen Gesinnung rechtfertigenden Grund für einen Schenkungswiderruf wegen groben Undanks (§ 530 BGB) dar.[4] Auf der anderen Seite bildet der Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs während der insolvenzrechtlichen Wohlverhaltensphase keine Obliegenheitsverletzung.[5] Auch wenn der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall entsteht (§§ 2317 Abs. 1, 1922 Abs. 1 BGB) und von diesem Zeitpunkt an zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten gehört,[6] ist der Anspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO nur pfändbar, wenn er entweder durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Dennoch geht der BGH davon aus, dass die Entscheidung über die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen (ebenso wie die Entscheidung über die Ausschlagung) einen so höchstpersönlichen Charakter aufweist, dass eine Verpflichtung zur Pflichtteilsgeltendmachung auch für einen insolventen Pflichtteilsgläubiger nicht bestehen kann. Nichtsdestotrotz hat der Gesetzgeber mit § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII eine spezialgesetzliche Sonderregelung geschaffen, die § 852 Abs. 1 ZPO verdrängt und es dem Träger der Sozialhilfe ermöglicht, Pflichtteilsansprüche – bereits vor Geltendmachung – auf sich überzuleiten. Der Sozialhilfeträger ist auch nicht daran gehindert, gegen den Willen des Pflichtteilsberechtigten dessen Ansprüche geltend zu machen.[7] Einschränkungen bestehen hier aber dann, wenn mit der Geltendmachung aufgrund einer Pflichtteilsstrafklausel (z.B. in einem gemeinschaftlichen Testament) der Verlust eines späteren testamentarischen Erbteils verbunden ist.[8]

[1] "Gegengewicht" zur Testierfreiheit, vgl. Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2303 Rn 2.
[2] MüKo/Lange, § 2303 Rn 1; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2303 Rn 3; BeckOGK/Obergfell, § 2303 Rn 20 m.w.N.
[3] Beschl. v. 19.4.2005, BVerfGE 112, 332 = ZErb 2005, 169 m. Anm. Lange, 205.
[6] BGHZ 123, 183, 187; BGH ZInsO 2009, 299, 300.
[7] VGH NJW 1990, 2856 ff.

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