Gesetzestext

 

(1)Ein Minderjähriger kann ein Testament erst errichten, wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat.

(2)Der Minderjährige bedarf zur Errichtung eines Testaments nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.

(3)(weggefallen)

(4)Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.

A. Allgemeines

I. Normzweck

 

Rz. 1

Mit § 2229 BGB trägt der Gesetzgeber seiner aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Verpflichtung Rechnung,[1] die notwendigen Anforderungen an die Testierfähigkeit gesetzlich vorzugeben. Zweck ist es dabei, nach Möglichkeit die Selbstständigkeit des in der Verfügung von Todes wegen zum Ausdruck kommenden Willens zu verbürgen. Dabei geht der Gesetzgeber zwei unterschiedliche Wege, um dem jeweiligen körperlichen und geistigen Zustand des Erblassers am besten gerecht werden zu können. Zum einen nämlich arbeitet das BGB auch hier – wie bereits von der Geschäftsfähigkeit bekannt – mit festen Altersgrenzen in Abs. 1, daneben mit einer auf den Einzelfall abstellenden variablen und daher schwer handhabbaren Regelung in Abs. 4.

[1] BVerfGE 58, 377, 398; kurz rechtshistorisch dazu Grziwotz, MDR 2016, 737, 738.

II. Testierfähigkeit

1. Begriff

 

Rz. 2

Als Testierfähigkeit bezeichnet man die Befähigung, ein Testament[2] rechtswirksam zu errichten, zu ändern oder aufzuheben. Erforderlich ist die Einsicht in die Tragweite und Bedeutung der einzelnen Anforderungen mit Blick auf die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse des Testierers. Die Testierfähigkeit ist eine im Testamentsrecht besonders geregelte[3] Unterart der Geschäftsfähigkeit.[4]

[2] Für Erbverträge gilt § 2229 BGB nicht, da § 2275 BGB insoweit als speziellere Regelung vorgeht.
[3] Nach BGH ZEV 2017, 278, 280 ist sie pauschal auf das Gebiet des Erbrechts begrenzt; so auch Losch, ZErb 2017, 188, 189; zudem BGH LM Nr. 9 zu § 138 BGB; BayObLG FamRZ 2002, 63.
[4] BayObLG FamRZ 1994, 593, 594, mit Verweis auf BayOblGZ 1982, 309, 312 = FamRZ 1983, 99; OLG München NJW-RR 2008, 164, 166.

2. Zeitpunkt

 

Rz. 3

Die Testierfähigkeit muss beim Abschluss des Testaments vorliegen.[5] Das ist beim privatschriftlichen Testament grundsätzlich der Zeitpunkt der Unterschrift.[6] Ein im testierunfähigen Zustand errichtetes Testament kann daher durch eine erneute Unterschrift im Zustand der Testierfähigkeit bestätigt und damit wirksam werden.

 

Rz. 4

Bei einem öffentlichen Testament ist der Zeitpunkt der Erklärung des Inhalts bzw. der Übergabe der Schrift sowie die Genehmigung der Niederschrift entscheidend. Problematisch erscheint es hierbei, wenn der Testierende seinen Willen dem Notar noch bei voller Geistesfähigkeit erklären kann, bis zur Verlesung und Genehmigung der Niederschrift aber eine Verschlechterung des Geisteszustandes eintritt. Der BGH ist hier "großzügig"[7] und sieht zu Recht die testierfähig vorgenommene Testamentserrichtung nebst mündlicher Genehmigung als wirksam an.[8]

[5] BGHZ 30, 294, 297 ff. = NJW 1959, 1822; BGH FamRZ 1958, 127.
[6] Vgl. Staudinger/Baumann, § 2229 Rn 52; Soergel/Mayer, § 2229 Rn 17.
[7] So Soergel/Mayer, § 2229 Rn 18.
[8] BGHZ 30, 294, 298; dazu krit. Lange/Kuchinke, § 18 II 1 Fn 10 sowie einschränkend Soergel/Mayer, § 2229 Rn 18.

3. Prozessuales/Beweislast

 

Rz. 5

Da die Testierfähigkeit in der Regel erst nach dem Tode des Erblassers angezweifelt wird, besteht die generelle Schwierigkeit neuropsychiatrischer Begutachtungen über die Testierfähigkeit darin, anhand der vorhandenen Unterlagen und aufgrund unterschiedlicher Interessenlage oft sehr unterschiedlicher Zeugenaussagen den wahren Zustand des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu bestimmen. Insoweit sind auch die zur Verfügung stehenden ärztlichen Unterlagen sehr oft nur wenig aussagekräftig, da sie keine oder nur sehr allgemein gehaltene Aussagen über den psychopathologischen Befund bzw. kognitive Beeinträchtigungen enthalten. Erschwert wird eine solche Begutachtung noch dadurch, dass nicht nur der Schweregrad der Beeinträchtigung, sondern auch deren Verlaufsdynamik, gerade bei Demenz, abzuschätzen ist, um die Testierfähigkeit bei der Abfassung des Testaments beurteilen zu können. Dabei sind v.a. Angaben zu den Bereichen zu berücksichtigen, die für eine erhebliche Beeinträchtigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit sprechen, z.B.:

erhöhte Vergesslichkeit (im Alter sehr häufig)
Wortfindungsstörungen (Sonderfall: aphasische Störung nach Schlaganfall)
Rechenstörungen
Orientierungsstörung (Verlaufen, Heimweg nicht Finden)
Störungen in der Planung von komplexen Abläufen (z.B. von mehrschrittigen Handlungen wie Ankleiden).
 

Rz. 6

Daneben sind Hinweise auf Einschränkungen in alltäglichen Tätigkeiten, z.B. bei

der Körperhygiene (Waschen, Wasserlassen, Stuhlgang, Ankleiden etc.)
der Fähigkeit, sich selbst Essen oder ein heißes Getränk zuzubereiten
dem Erkennen von bekannten Personen (z.B. möglichen Erben)
dem Umgang mit häufig gebrauch...

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