Rz. 1

Die Vorschrift hat im Hinblick auf das Konstruktionsprinzip von Vor- und Nacherbschaft zentrale Bedeutung. Soweit Nachlassgegenstände beim Eintritt des Nacherbfalls nicht mehr vorhanden sind, soll der Nacherbe nicht darauf verwiesen sein, sich durch schuldrechtliche Ersatzansprüche gegen den Vorerben zu erholen.[1] Vielmehr fällt ihm kraft rechtlicher Anordnung alles unmittelbar zu, was (a) aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts, (b) als Ersatz für einen Erbschaftsgegenstand und (c) aufgrund Erwerbs aus Mitteln der Vorerbschaft zum Nachlass gelangt ist. Dies gilt auch bei befreiter Vorerbschaft;[2] eine Befreiungsmöglichkeit ist nicht vorgesehen. Das Gesetz bedient sich hierbei des Prinzips der dinglichen Ersetzung oder Surrogation, das sich in ähnlicher Form auch in den §§ 2019, 2041 BGB findet. Die hiervon erfassten Gegenstände werden von selbst Nachlassbestandteil und unterliegen ohne weitere Schritte der Nacherbenbindung. Die Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB richten sich dabei nach der Art des Surrogats, nicht des surrogierten Gegenstands.[3] Bei einem in den Nachlass gelangten Grundstück ist daher nach § 51 GBO der Nacherbenvermerk einzutragen.[4] Gleiches gilt, wenn ein Mitvorerbe im Wege der Erbauseinandersetzung gegen Aufgabe seiner Gesamthandsbeteiligung ein Nachlassgrundstück zu Alleineigentum erwirbt.[5] Umgekehrt setzt sich eine für den ursprünglichen Gegenstand bestehende Verfügungsbeschränkung nicht am Surrogat fort. Wenn der Vorerbe bzgl. des Surrogats keiner Verfügungsbeschränkung unterliegt, Beispiel: Schadensersatz für die Beschädigung eines Nachlassgrundstücks, so kann der Vorerbe hierüber frei verfügen, auch wenn er für die Verfügung über den ursprünglichen Gegenstand auf die Zustimmung des Nacherben angewiesen war.[6]

 

Rz. 2

§ 2111 BGB ist eine auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhende Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist[7] und nach h.M. nur zugunsten des Nacherben, nicht aber der Nachlassgläubiger besteht.[8]

 

Rz. 3

Die Zuordnung eines Gegenstandes zum als Sondervermögen gebundenen Nachlass ist durch bloßen Willensentschluss des Vorerben nicht änderbar. Ihm ist es weder möglich, Gegenstände seines freien Vermögens zu Nachlassgegenständen umzuwidmen, noch kann er Nachlassgegenstände dadurch der Nacherbenbindung entziehen, dass er sie gegen solche seines freien Vermögens sozusagen eintauscht.[9] Will der Vorerbe einen Nachlassgegenstand zu freiem Eigentum erwerben, kann er diesen auf einen Dritten – unter Beachtung der Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB – oder den Nacherben übertragen und ihn anschließend aus Eigenmitteln zurückerwerben.[10] Der Kaufpreis fällt in diesem Fall als Surrogat in den Nachlass. Möglich ist auch, dass sich Vor- und Nacherbe über Bestand und Umfang des Nachlasses, also auch über die Nachlasszugehörigkeit eines bestimmten Gegenstandes, vertraglich oder im Vergleichswege verständigen.[11] Diese Verständigung lässt jedoch das Recht eines etwaigen Ersatznacherben unberührt.

 

Rz. 4

Der Nacherbe trägt grundsätzlich die Beweislast dafür, dass ein nicht vom Erblasser selbst hinterlassener Gegenstand zur Nacherbschaft rechnet, also für sämtliche Merkmale des Surrogationsvorgangs.[12] Analoge Anwendung der Vorschriften über den Erbschaftsanspruch kommt insoweit nicht in Betracht, denn der Vorerbe ist rechtmäßiger Eigentümer des Nachlasses.[13] Dieser Grundsatz lässt den Nacherben in der Praxis an einem zentralen Punkt der Rechtsdurchsetzung im Stich.[14] Regelmäßig wird der Nacherbe aus Gründen der Pietät[15] davon absehen, vom Vorerben ein Verzeichnis nach § 2121BGB, Hinterlegung der Inhaberpapiere nach § 2216 BGB oder mündelsichere Anlage von Geld nach § 2119 BGB zu verlangen. Im Standardfall, Eintritt der Nacherbfolge mit dem Tod des Vorerben, finden die Erben des Vorerben einen Nachlass vor, dessen Einzelgegenständen man nicht ansieht, ob sie surrogierte Vorerbschaft darstellen. Auskunfts- und Rechenschaftsansprüche gehen ins Leere, da die Erben des Vorerben sie nicht erfüllen können. Üblicherweise werden die Vermögensmassen beim Vorerben nicht getrennt, sondern mit Eigenvermögen vermischt. Etwa werden (der praktisch bedeutsamste Fall) Einzelkonten auf den Vorerben umgeschrieben oder gemeinschaftliche Konten durch ihn allein fortgeführt, und wenn nicht durch Bankunterlagen wie etwa die Erbschaftsteuermitteilung rekonstruierbar ist, welche Guthaben der Erblasser beim Tode innehatte, gelten die nunmehr auf den Vorerben allein lautenden Konten prinzipiell als dessen Eigenvermögen.[16] Zur Behebung dieser Misere schlägt die Lit. Beweislasterleichterungen bis zur Beweislastumkehr vor,[17] doch wird stets zu berücksichtigen sein, dass es der Nacherbe in der Hand hatte, seine Informations- und Sicherungsrechte sogleich mit Eintritt des Vorerbfalls geltend zu machen.

[1] MüKo/Grunsky, § 2111 Rn 1.
[2] BGH NJW 1983, 2874, 2875; RG WarnR 1920 Nr. 203.
[3] Staudinger/Avenarius, § 2111 Rn 4.
[4] OLG München HRR 1938 Nr. 1285.
[5] BGHZ 52, 269 = NJW 1...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge