Rz. 1

Durch § 2095 BGB wird der Grundsatz der Einheitlichkeit des Erbteils und damit der Unselbstständigkeit des anwachsenden Erbteils (was insbesondere für die Annahme und Ausschlagung von Bedeutung ist, vgl. Ausführungen zu § 2094 BGB) teilweise durchbrochen, um eine ungerechtfertigte Benachteiligung sowohl des Anwachsungsberechtigten als auch der durch Vermächtnis, Auflage oder Ausgleichung Begünstigten zu verhindern. § 2095 BGB entspricht der Regelung des § 1935 BGB für die Erhöhung des gesetzlichen Erbteils. Die Aufzählung der Beschwerungen ist dabei abschließend.[1]

 

Rz. 2

Die Regelung soll zum einen verhindern, dass der durch die Anwachsung begünstigte Erbe dadurch benachteiligt wird, dass der angewachsene Erbteil über seinen Wert hinaus mit Vermächtnissen oder Auflagen beschwert ist, die gem. §§ 2161, 2162 BGB auch nach dem Wegfall des damit Beschwerten bestehen bleiben.[2] Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Erbteils wären diese Belastungen dann nämlich auch aus dem ursprünglichen Erbteil zu erfüllen, was im Ergebnis dazu führte, dass der Erbe letztlich weniger erhielte als ohne die Anwachsung. Entsprechendes gilt, wenn der ursprüngliche Erbteil mit Vermächtnissen und Auflagen überschwert ist und der Erbe dann trotzdem aus dem angewachsenen Erbteil erfüllen müsste.

 

Rz. 3

Umgekehrt kommt die Regelung aber auch den Vermächtnisnehmern und Auflagebegünstigten zugute, sofern diese Vermächtnisse und Auflagen sich aus dem geringer beschwerten Erbteil ergeben. Auch wenn der ursprüngliche Erbteil überschwert ist, kann der Erbe in diesem Fall nicht die Einrede der Überschwerung des Nachlasses im Hinblick auf den angewachsenen Erbteil erheben und umgekehrt.[3] Entsprechendes gilt gem. § 2095 Hs. 2 BGB im Falle der Ausgleichungspflicht des § 2052 BGB, die gem. § 2051 Abs. 1 BGB bei Wegfall eines ausgleichungspflichtigen Miterben auf den Anwachsungsberechtigten übergehen kann. Hier sorgt § 2095 BGB i.V.m. § 2056 BGB dafür, dass die Ausgleichungspflicht nicht von dem einen auf den anderen Erbteil übergreift.[4] Dies hat zur Folge, dass es bei einer Überschwerung entweder des ursprünglichen oder des angewachsenen Erbteils mit einer Ausgleichungspflicht nicht zu einer Belastung des nicht beschwerten Erbteils kommt.[5]

 

Beispiel

Erblasser E hinterlässt seine Ehefrau F sowie seine Töchter T 1, T 2 und T 3 (jeweils ohne Abkömmlinge). Er verfügt letztwillig, dass seine drei Töchter Miterben zu je ⅓ werden sollen, während F notariell auf den Pflichtteil verzichtet. Der Nachlass beträgt 400.000 EUR. T 1 hat bereits einen ausgleichungspflichtigen Vorempfang i.H.v. 300.000 EUR erhalten, T 2 einen ausgleichungspflichtigen Vorempfang i.H.v. 50.000 EUR. T 1 verstirbt vor Eintritt des Erbfalls.

Zunächst wächst der Erbteil der T 1 der T 2 und der T 3 zu je 1/6 an (§ 2094 BGB).

Der fiktive Ausgleichungsnachlass beträgt 400.000 EUR + 300.000 EUR + 50.000 EUR = 750.000 EUR. Mithin standen den Töchtern T 1, T 2 und T 3 jeweils zu:

750.000 EUR : 3 = 250.000 EUR.

Hätte T 1 im Zeitpunkt des Erbfalls noch gelebt, hätte sie sich hierauf 300.000 EUR anrechnen lassen müssen. Ihr Anteil hätte somit gem. § 2056 null betragen und sie wäre aus der Ausgleichung ausgeschieden. Das Gleiche gilt jetzt für den T 2 und T 3 angewachsenen Erbteil von je 1/6. Die Ausgleichungspflicht hinsichtlich des angewachsenen Erbteils der T 1 greift nicht etwa auf die "originären" Erbteile von T 2 und T 3 über.

Somit ist zwischen T 2 und T 3 ein neuer Ausgleichsnachlass zu bilden: Dieser beträgt 400.000 EUR + 50.000 EUR = 450.000 EUR. Mithin stehen T 2 und T 3 jeweils zu:

450.000 EUR : 2 = 225.000 EUR

T 2 muss sich hierauf ihren Vorempfang i.H.v. 50.000 EUR anrechnen lassen, so dass sie aus dem Nachlass noch 175.000 EUR erhält.

T 3 erhält 225.000 EUR.

[1] Staudinger/Otte, § 2095 Rn 4.
[2] Staudinger/Otte, § 2095 Rn 1.
[3] Staudinger/Otte, § 2095 Rn 1.
[4] Soergel/Loritz, § 2095 Rn 2; MüKo/Rudy, § 2095 Rn 4.
[5] Staudinger/Otte, § 2095 Rn 3.

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