Gesetzestext

 

1Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. 2Die Anfechtung ist ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.

A. Allgemeines

I. Unterschied zu § 2078 Abs. 2 BGB

 

Rz. 1

§ 2079 BGB stellt einen Spezialfall des Motivirrtums i.S.v. § 2078 Abs. 2 BGB dar.[1] Eine Anfechtung kann aufgrund der Tatsache, dass beiden Vorschriften verschiedene Tatbestände zugrunde liegen, auch auf beide gestützt werden. Für den Fall, dass eine Verfügung gem. § 2079 BGB angefochten werden kann, sind häufig auch die Voraussetzungen des § 2078 Abs. 2 BGB erfüllt. § 2078 Abs. 2 BGB ist von Bedeutung, wenn eine pflichtteilsberechtigte Person nicht übergangen, sondern aufgrund eines Irrtums bewusst enterbt worden ist. Es ist irrelevant, ob sich die übergangene Person auf § 2079 BGB oder § 2078 BGB beruft oder auch die Tatsache, dass von einer Norm zur anderen übergegangen wird. Wird jedoch i.R.d. Anfechtung ein Irrtum geltend gemacht, der mit einer Übergehung nichts zu tun hat, bedarf es einer neuen Anfechtungserklärung. Daraus folgt, dass eine Anfechtung nach § 2079 BGB nicht ohne weiteres eine Anfechtung nach § 2078 BGB mit einschließt.[2] Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich im Wesentlichen um denselben Sachverhalt handelt.[3]

 

Rz. 2

Unstr. wird jedoch bei § 2079 BGB nicht vorausgesetzt, dass sich der Erblasser Gedanken über ein etwaiges Pflichtteilsrecht gemacht hat. Er muss weder eine Vorstellung hinsichtlich des gegenwärtigen noch bezüglich eines etwaigen zukünftigen Pflichtteilsrechts gehabt haben.[4]

 

Rz. 3

Im Unterschied zu § 2078 Abs. 2 BGB, bei welchem die Erheblichkeit des Irrtums bzw. der fehlenden Vorstellungen des Erblassers für die von ihm errichtete letztwillige Verfügung von Todes wegen konkret festgestellt werden muss, stellt die Anfechtbarkeit i.S.v. § 2079 BGB den Regelfall dar. Nach § 2079 BGB wird allein aus der Unkenntnis eines etwaigen Pflichtteilsrechts und der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gefolgert, dass die errichtete Verfügung keine tragfähige Motivation besitzt. Nach der Vorschrift des S. 2 entfällt eine Anfechtbarkeit nur ausnahmsweise, nämlich dann, wenn der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.[5]

[1] BGH FamRZ 1960, 289.
[2] RG JW 1911, 656; OLG Kiel HEZ 2, 329, 337.
[3] OLG Köln NJW 1956, 1522.
[4] MüKo/Leipold, § 2079 Rn 1.
[5] MüKo/Leipold, § 2079 Rn 1; Staudinger/Otte, § 2079 Rn 1.

II. Normzweck

 

Rz. 4

Sinn und Zweck der Regelung des § 2079 BGB ist darin zu sehen, die Rechtsposition des Pflichtteilsberechtigten, nämlich sein gesetzliches Erbrecht zu schützen.[6] Das gesetzliche Erbrecht soll geschützt werden, nicht hingegen das Pflichtteilsrecht. Dieses verbleibt ihm ohnehin. Im Falle des § 2079 BGB ist grds. nur der Pflichtteilsberechtigte zur Anfechtung berechtigt. Dies bedeutet, dass eine Verfügung nicht allein deshalb beseitigt werden kann, weil der Wille des Erblassers fehlerhaft gebildet war, sondern deshalb, weil der Erblasser durch Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten in dessen Rechtsposition eingegriffen hat.[7]

[6] OLG Köln NJW 1956, 1522; OLG Hamm ZEV 1994, 168, 169.
[7] MüKo/Leipold, § 2079 Rn 2.

III. Anfechtung eines Erbvertrages bzw. eines gemeinschaftlichen Testaments durch den Erblasser

 

Rz. 5

Gem. § 2281 Abs. 1 BGB steht eine Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung bzw. in analoger Anwendung eine Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament dem Erblasser selbst zu. Sinn und Zweck der Regelung ist die Wiederherstellung der Testierfreiheit.[8] Mittelbar dient diese Anfechtung aber auch dem Schutz der pflichtteilsberechtigen Person.[9] Dadurch, dass der Erblasser die Verfügungen anficht, hat er die Möglichkeit, den Pflichtteilsberechtigten ebenfalls zu bedenken. Zum einen wird durch die Anfechtung die Bindung beseitigt, gleichzeitig erlangt der Erblasser auch seine volle Willensfreiheit zurück.[10] Im Falle, dass der Erblasser eine neue Verfügung errichtet und den Pflichtteilsberechtigten erneut nicht bedenkt, ist eine Anfechtung nach § 2079 BGB dennoch wirksam.[11]

[8] MüKo/Leipold, § 2079 Rn 3 m.w.N.
[9] Kanzleiter, DNotZ 2016, 745.
[10] MüKo/Leipold, § 2079 Rn 3.
[11] BGH LM § 2079 Nr. 2 = NJW 1970, 279.

B. Tatbestand

 

Rz. 6

Für den Fall, dass der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigen übergangen hat, der ihm entweder nicht bekannt war oder der erst nach Testamentserrichtung geboren worden ist, kommt eine Anfechtung nach § 2079 BGB in Betracht.

I. Vorhandener Pflichtteilsberechtigter

 

Rz. 7

Als Pflichtteilsberechtigte kommen die Abkömmlinge, der Ehegatte und die Eltern des Erblassers in Frage (§ 2303 BGB), desgleichen der eingetragene Lebenspartner (§ 10 Abs. 6 LPartG). Einer oder mehrere Pflichtteilsberechtigte müssen im Zeitpunkt des Erbfalls als Pflichtteilsberechtigte vorhanden sein. Maßgebend ist der Zeitpunkt des Erbfalls, nicht der Zeitpunk...

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