Entscheidungsstichwort (Thema)

Kirchenrecht. Rechtswegzuweisung an staatliche Verwaltungsgerichte. statusrechtliche Vorfrage bei Versorgungsstreit „verkappte Statusklage”

 

Leitsatz (amtlich)

Die kirchengesetzliche Zuweisung versorgungsrechtlicher Streitigkeiten an die staatlichen Verwaltungsgerichte begründet nicht deren Befugnis, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Dienstverhältnisses als Pastor oder Kirchenbeamter als Grundlage der geltend gemachten Versorgungsansprüche zu prüfen „verkappte Statusklage”).

 

Normenkette

GG Art. 140; WRV Art. 137; BRRG § 135

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 16.07.1992; Aktenzeichen 3 L 414/91)

VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 16.08.1991; Aktenzeichen 11 A 373/90)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 18.09.1998; Aktenzeichen 2 BvR 1476/94)

 

Tenor

Das Verfahren über die Revision des Klägers zu 4 wird eingestellt. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt insoweit der Kläger zu 4.

Die Revision der Kläger zu 1 bis 3 gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Juli 1992 wird zurückgewiesen. Insoweit tragen die Kläger zu 1 bis 3 die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger sind die Witwe und drei der vier Waisen des am 28. Juli 1980 verstorbenen ehemaligen Pastors G. B. Der Verstorbene war auf seinen Antrag vom 5. November 1979 durch Bescheid vom 8. November 1979 mit Wirkung vom 1. Januar 1980 entlassen worden.

Neben der durchgeführten Nachversicherung gewährte die Beklagte der Klägerin zu 1 zunächst ab 1. Mai 1982 eine widerrufliche monatliche Unterstützung von 1 000 DM. Auf den Antrag vom 26. Mai 1986, ihr Witwengeld zu bewilligen, wurde ihr gemäß einem Beschluß des Nordelbischen Kirchenamts mit Wirkung vom 26. Mai 1986 „der einer Pastorenwitwe vergleichbare Status zuerkannt”. Für die Zeit vom 1. Januar 1980 bis 25. Mai 1986 wurde die Gewährung von Witwenpension abgelehnt. Die Anträge der weiteren Kläger, ihnen Waisengeld zu bewilligen, lehnte die Beklagte durch weitere hier angefochtene Bescheide insgesamt ab.

Die Klagen hiergegen hat das Verwaltungsgericht nach Beweiserhebung über die Frage der Geschäftsunfähigkeit des Verstorbenen bei Einreichung des Entlassungsantrages abgewiesen, weil eine solche Geschäftsunfähigkeit nicht festzustellen sei. Die Berufungen der Kläger hat – nach Verbindung der beiden Verfahren – das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:

Der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht – dessen Prüfung in zweiter Instanz sich nicht nach § 17 a Abs. 5 GVG erübrige, weil dieser im Verhältnis zur kirchlichen Gerichtsbarkeit nicht anwendbar sei – sei zwar gegeben nach § 135 Satz 2 BRRG i.V.m. § 18 des Kirchenversorgungsgesetzes der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche – KVersG –, wonach für Ansprüche aus diesem Kirchengesetz der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten gegeben sei.

Versorgungsansprüche der Kläger bestünden indessen nicht, weil ihr verstorbener Ehemann und Vater im Zeitpunkt seines Todes nicht mehr im aktiven Dienstverhältnis als Pastor gestanden bzw. seinerseits Anspruch auf Ruhegehalt besessen habe, sondern vorher durch die Beklagte entlassen worden sei. Mit der Entlassung seien auch die versorgungsrechtlichen Ansprüche der Familienangehörigen entfallen. Die staatlichen Verwaltungsgerichte hätten von der Wirksamkeit der Entlassung auszugehen. Aus der Ämterautonomie der Kirchen folge die Unzulässigkeit der Nachprüfung oder Feststellung, ob jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt (noch) Seelsorger gewesen sei. Die an sich gegebene verwaltungsgerichtliche Kontrolle hinsichtlich der vorsorgungsrechtlichen Ansprüche erstrecke sich nicht auf die Vorfrage, ob die Beendigung des kirchlichen Dienstverhältnisses rechtmäßig bzw. rechtswirksam gewesen sei. Andernfalls könnte durch sog. „verkappte Statusklagen” im Ergebnis die Zuständigkeit des Kirchengerichts in Statusangelegenheiten kirchlicher Bediensteter unterlaufen werden.

Bei den Klagen der Kläger zu 2 bis 4 gehe es auch hinsichtlich der Ansprüche seit dem Zeitpunkt, zu dem der Klägerin zu 1 von der Beklagten – wie sie es ausdrücke – „durch Gnadenentscheidung” der einer Pastorenwitwe ähnliche Status zuerkannt worden sei, zunächst um eine Vorfrage, die nicht der Kontrolle durch die staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliege, nämlich um die Frage, ob die Kläger zu 2 bis 4 einen Anspruch auf eine entsprechende „Gnadenentscheidung” hätten. Insoweit sei die kirchengerichtliche Zuständigkeit gegeben, da es sich jedenfalls um eine statusähnliche Frage mit noch ausgeprägteren kirchenspezifischen Bezügen handele.

Gegen dieses Urteil haben zunächst alle vier Kläger die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Der Kläger zu 4 hat seine Revision zurückgenommen, während die Kläger zu 1 bis 3 sinngemäß ihre bisherigen Klagebegehren weiterverfolgen. Sie rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Soweit der Kläger zu 4 seine Revision zurückgenommen hat, ist das Revisionsverfahren auf seine Kosten einzustellen (§§ 141, 125 Abs. 1, § 92 Abs. 2, § 155 Abs. 2 VwGO). Die Revision der Kläger zu 1 bis 3 ist unbegründet.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den staatlichen Verwaltungsgerichten für die geltend gemachten Versorgungsansprüche bejaht. Bei Streitigkeiten in innerkirchlichen Angelegenheiten, zu denen auch die Dienstverhältnisse der Seelsorger rechnen, ist infolge des den Kirchen verfassungskräftig gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV) der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht gegeben. Nach § 135 Satz 2 BRRG ist es jedoch den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften überlassen, nicht nur die Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger dem Beamtenrechtsrahmengesetz entsprechend zu regeln, sondern auch die Vorschriften dieses Gesetzes über den Verwaltungsrechtsweg für Klagen aus dem Beamtenverhältnis (§§ 126, 127 BRRG) für anwendbar zu erklären (vgl. dazu Urteil vom 25. November 1982 – BVerwG 2 C 21.78 – BVerwGE 66, 241 ≪242, 247≫ = Buchholz 230 § 135 Nr. 4 m.w.N.). Eine solche kirchenrechtliche Rechtswegzuweisung an die staatlichen Verwaltungsgerichte liegt hier mit § 18 des Kirchengesetzes über die Versorgung der Pastoren und Kirchenbeamten in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche (Kirchenversorgungsgesetz – KVersG) vom 14. Januar 1984 (Kirchliches GVOBl S. 45, mit insoweit nicht einschlägiger späterer Änderung) vor, wonach für Ansprüche aus diesem Kirchengesetz der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten gegeben ist; diese Rechtswegzuweisung wird als solche durch die Zuständigkeit des Kirchengerichtes nach § 3 Abs. 1 des Kirchengesetzes über ein Kirchengericht der evangelisch-lutherischen Kirchen in Schleswig-Holstein und Hamburg vom 10. November 1972 – KGG – (Kirchliches GVOBl 1974 S. 63) i.V.m. § 47 des Einführungsgesetzes zur Verfassung der Beklagten vom 12. Juni 1976 (Kirchliches GVOBl S. 179) nicht berührt, wie in § 5 KGG klargestellt ist.

2. Gleichfalls zutreffend hat das Berufungsgericht es einerseits als materiellrechtliche Voraussetzung der geltend gemachten Versorgungsansprüche angesehen, daß das Dienstverhältnis des Ehemannes bzw. Vaters der Kläger als Pfarrer im Zeitpunkt seines Todes noch bestand (§§ 1, 2 Abs. 1 KVersG i.V.m. §§ 19, 23 BeamtVG, § 97 Abs. 2 des Pfarrergesetzes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in der damals maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 1. November 1978 ≪ABl EKD 1979 S. 87≫), und sich andererseits gehindert gesehen, diese Voraussetzung aufgrund eigener Prüfung zu bejahen, solange sie von der Kirche verneint wird und deren Standpunkt nicht durch Entscheidung des zuständigen Kirchengerichts verbindlich korrigiert ist.

Die kirchengesetzliche Zuweisung der Versorgungsstreitigkeit an die staatlichen Verwaltungsgerichte durch § 18 KVersG umfaßt nicht die Zuweisung der Befugnis, den Rechtsstandpunkt der Kirche hinsichtlich des Bestehens, der Veränderung oder der Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses zu korrigieren, auch nicht durch die Prüfung und Entscheidung als Vorfrage. Vielmehr ist eine Korrektur dieses Rechtsstandpunktes allein dem Kirchengericht gemäß § 3 KGG vorbehalten. Hat der kirchliche Gesetzgeber, wie hier, von der verfassungskräftig gewährleisteten kirchlichen Ämterautonomie (vgl. BVerwGE 25, 226; 66, 241 ≪243 f.≫; jeweils m.w.N.) auch dadurch Gebrauch gemacht, daß er Streitigkeiten über das Bestehen, die Veränderung oder Beendigung eines kirchlichen Amts- oder Dienstverhältnisses einem Kirchengericht zugewiesen hat, so spricht das gegen die Annahme, er habe diese kirchengerichtliche Zuständigkeit durch eine Befugnis des staatlichen Verwaltungsgerichts, über die Statusfrage als Vorfrage einer versorgungsrechtlichen Streitigkeit zu entscheiden (sog. „verkappte Statusklage”), wieder einschränken wollen. Vielmehr hebt auch § 5 KGG die Zuständigkeit des Kirchengerichts für Entscheidungen auf dem Gebiet des kirchlichen Dienstrechts als „unbeschadet” durch die anderweitigen Rechtswegregelungen für vermögensrechtliche Ansprüche hervor. Das gilt sowohl für die Aufhebung oder Änderung eines wirksam ergangenen kirchlichen Verwaltungsakts über die Begründung, Änderung oder Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses als auch für die Feststellung, daß ein von der Kirche als wirksam angesehener derartiger Verwaltungsakt nicht wirksam ergangen sei. Soweit abweichende Schlüsse daraus gezogen werden könnten, daß der Senat im Urteil vom 27. Oktober 1966 – BVerwG 2 C 98.64 – (Buchholz 230 § 135 Nr. 1 ≪S. 8 ff.≫, insoweit in BVerwGE 25, 226 nicht abgedruckt) den damaligen Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung aufgrund einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge hinsichtlich der statusrechtlichen Vorfrage an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat, wird daran nicht festgehalten.

Der von den Klägern angeführte § 17 a Abs. 5 GVG, wonach nach einer Entscheidung in der Hauptsache das Rechtsmittelgericht nicht mehr über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges entscheidet, kommt für den hier erörterten Umfang der Prüfungsbefugnis schon deshalb nicht in Betracht, weil der Rechtsweg als solcher für die erhobenen Versorgungsansprüche nicht in Frage steht. Im übrigen betrifft die Vorschrift, wie vom Berufungsgericht zutreffend dargelegt, das Verhältnis der verschiedenen staatlichen (fachgerichtlichen) Rechtswege untereinander, dagegen nicht das Verhältnis der staatlichen Gerichtsbarkeit insgesamt zu den von einer Kirche im Rahmen ihrer Selbstbestimmung (Art. 140 GG, Art. 137 WRV) errichteten Kirchengerichten.

3. Soweit die Kläger zu 2 und 3 ihren Anspruch auf Waisengeld für die Zeit ab 26. Mai 1986 auch auf den Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung mit der Klägerin zu 1, ihrer Mutter, stützen, ist allerdings sachlich zu prüfen, ob sich ein solcher Anspruch aus dem – wie hier zugrundezulegen – bereits beendet gewesenen Dienstverhältnis ihres verstorbenen Vaters ergibt. Daß die kirchenrechtliche Zuweisung zu den staatlichen Verwaltungsgerichten den geltend gemachten vermögensrechtlichen Anspruch auch insoweit umfaßt, wird jedenfalls durch § 5 KGG deutlich, wonach das Kirchengericht nicht über vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnis der Inhaber kirchlicher Amts- und Dienststellungen entscheidet; eine Unterscheidung zwischen früheren und noch bestehenden Dienstverhältnissen trifft die Vorschrift nicht. Indessen enthält weder das Kirchenversorgungsgesetz noch das darin in Bezug genommene Beamtenversorgungsgesetz eine Grundlage für einen solchen Anspruch. Andere Anspruchsgrundlagen innerhalb des zur Nachprüfung der staatlichen Verwaltungsgerichte stehenden kirchlichen Rechts sind nicht ersichtlich.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Lemhöfer, Dr. Müller, Dr. Maiwald, Dr. Vogelgesang, Dr. Haas

 

Fundstellen

BVerwGE, 379

BVerwGE: ja

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