Entscheidungsstichwort (Thema)

vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts. unvorhergesehene Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters. Anforderungen an die Berufung des Vertreters in diesem Fall. Nachprüfbarkeit der vom ehrenamtlichen Richter geltend gemachten Kinderungsgründe durch das Gericht. Berücksichtigung lediglich der „zur Verfügung stehenden” Vertreter aus der Hilfsliste nach § 30 Abs. 2 VwGO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erklärt sich ein zur Mitwirkung berufener ehrenamtlicher Richter unter Angabe eines Grundes für unvorhergesehen verhindert, so ist eine förmliche Feststellung des Verhinderungsgrundes durch das Gericht grundsätzlich nicht geboten; etwas anderes kommt dann in Betracht, wenn Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Entscheidung des ehrenamtlichen Richters bestehen.

2. Die Geschäftsstelle darf sich bei unvorhergesehener Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters auch ohne konkreten Auftrag oder generelle Ermächtigung um die Heranziehung eines Vertreters nach der Kilfsliste bemühen. Sie entscheidet damit weder über die Notwendigkeit der Vertretung noch über die Besetzung der Richterbank.

3. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein Geschäftsverteilungsplan die Heranziehung nur solcher Vertreter vorsieht, die für die Sitzung „zur Verfügung stehen”. Es ist nicht notwendig, daß auch die Vertreter unvorhergesehen verhindert sind.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; VwGO § 133 Nr. 1, § 30 Abs. 2

 

Verfahrensgang

VG Hamburg (Urteil vom 10.11.1981; Aktenzeichen 15 VG A 742/80)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 10. November 1981 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Gründe

Die ohne Zulassung allein auf die unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 133 Nr. 1 VwGO) gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger meint zunächst, an der Entscheidung hätte der ursprünglich geladene ehrenamtliche Richter B. mitwirken müssen. Dieser habe zwar am Morgen des Verhandlungstages der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts mitgeteilt, daß er krank sei. Der Vorsitzende der erkennenden Kammer habe jedoch keine Feststellung über die Verhinderung B. getroffen; die Geschäftsstelle selbst habe diese Feststellung nicht treffen dürfen.

Die Rüge geht fehl. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Krankheit einen unvorhergesehenen Verhinderungsgrund darstellen kann, der nach § 30 Abs. 2 VwGO die Heranziehung eines Vertreters zur Sitzung des Verwaltungsgerichts erforderlich macht (Beschluß vom 19. Juni 1975 – BVerwG. 6 C 9.75 – Buchholz 310 § 30 VwGO Nr. 10). Eine förmliche Feststellung des Verhinderungsgrundes durch den Vorsitzenden ist bei ehrenamtlichen Richtern anders als bei Schöffen nach der in § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 4 sowie § 77 Abs. 3 Satz 2 GVG getroffenen Regelung grundsätzlich nicht geboten. Im Strafprozeß werden gemäß § 45 Abs. 1 und 2 und § 77 Abs. 1 GVG die Sitzungstage des Schöffengerichts bzw. der Strafkammer für das ganze Jahr im voraus festgestellt und die Reihenfolge, in der die Schöffen an den einzelnen Sitzungen teilnehmen, durch Auslösung bestimmt. Eine solche starre gesetzliche Regelung legt auch strengere Anforderungen an eine nachträgliche Änderung der einmal getroffenen Festlegung nahe. Sie ist jedoch dem Verwaltungsstreitverfahren fremd (Beschluß vom 10. September 1973 – BVerwG 6 CB 93.73 – DÖV 1974, 21; Urteil vom 12. Dezember 1973 – BVerwG 6 C 104.73 – BVerwGE 44, 215 [216]).

Erklärt sich der zunächst berufene ehrenamtliche Richter unter Angabe eines Grundes für verhindert, so braucht das Gericht nach ständiger Rechtsprechung den Hinderungsgrund nicht näher nachzuprüfen. Es darf vielmehr bei den auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richtern (vgl. § 45 DRiG) davon ausgehen und sich ohne weitere Ermittlungen darauf verlassen, daß sie sich ihrer richterlichen Pflicht nicht ohne triftigen Grund entziehen, sondern nach pflichtgemäßer Abwägung zu dem Ergebnis gelangt sind, verhindert zu sein (vgl. z.B. Urteil vom 12. Dezember 1973 – BVerwG 6 C 104.73 – a.a.O.). Nur wenn Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Entscheidung des ehrenamtlichen Richters vorliegen, kann Anlaß für das Gericht bestehen, den angegebenen Hinderungsgrund nachzuprüfen und gegebenenfalls auf einer Teilnahme des Richters an der Sitzung zu bestehen (Beschluß vom 30. August 1983 – BVerwG 9 C 281.82 – Buchholz 310 § 30 Nr. 17). Solche Anhaltspunkte sind im vorliegenden Fall weder vom Kläger vorgetragen worden noch ersichtlich.

Fehl geht auch die Rüge, die Geschäftsstelle habe nicht ohne konkreten Auftrag oder generelle Ermächtigung des Vorsitzenden einen Vertreter laden dürfen. Es ist zwar richtig, daß die Entscheidung über die Notwendigkeit der Vertretung eines ehrenamtlichen Richters nicht von der Geschäftsstelle zu treffen ist (Beschluß vom 10. September 1973 – BVerwG 6 CB 93.73 – a.a.O.; Urteil vom 12. Dezember 1973 – BVerwG 6 C 104.73 – a.a.O.). Eine solche Entscheidung wird aber nicht getroffen, wenn die Geschäftsstelle sich – wie hier – bei einer unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung bekanntgewordenen unvorhergesehenen Verhinderung sofort um die Heranziehung eines Vertreters bemüht. Diese Bemühungen dienen nur dazu, durch vorsorgliche Maßnahmen sicherzustellen, daß die durch den Ausfall entstandene Lücke schnell und rechtzeitig ausgefüllt und damit eine Vertagung der Verhandlung oder eine Verzögerung ihres Beginns vermieden wird. Die alleinige Befugnis des Gerichts, bei gegebenem Anlaß über das Vorliegen eines unvorhergesehenen Verhinderungsgrundes zu entscheiden, bleibt davon unberührt.

Mit der vorsorglichen Heranziehung eines Vertreters hat die Geschäftsstelle auch keine Entscheidung über die Besetzung der Richterbank getroffen. Die Berufung des Vertreters bei unvorhergesehener Verhinderung ist vielmehr anhand einer Hilfsliste aus ehrenamtlichen Richtern erfolgt, die nach § 30 Abs. 2 VwGO für diesen Fall aufgestellt werden durfte und hier durch das Präsidium des Verwaltungsgerichts im Geschäftsverteilungsplan vorab für das laufende Jahr aufgestellt worden ist. Eine Manipulierung der Richterbank durch willkürliche Entscheidung der Geschäftsstelle war durch diese Verfahrensweise ausgeschlossen, ohne daß es auf das Vorliegen eines konkreten Auftrages oder einer generellen Ermächtigung der Geschäftsstelle durch den Vorsitzenden der erkennenden Kammer ankommt. Im übrigen lag nach der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden eine generelle Ermächtigung der Geschäftsstelle vor, im Falle einer durch Krankheit unvorhergesehenen Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters einen Vertreter nach der Hilfsliste heranzuziehen.

Schließlich führt auch der Vortrag des Klägers, vor dem an der vorinstanzlichen Entscheidung mitwirkenden Vertreter L. seien nach der im Geschäftsverteilungsplan getroffenen Vertretungsregelung 15 andere ehrenamtliche Richter berufen, für die Geschäftsstelle erreichbar und an der Mitwirkung nicht verhindert gewesen, nicht zum Erfolg der Revision. Der Geschäftsverteilungsplan 1981 sah insoweit vor, daß bei unvorhergesehener Verhinderung der nächste erreichbare noch nicht geladene Richter aus der Hilfsliste der Kammer, wann aus dieser Hilfsliste kein ehrenamtlicher Richter zur Verfügung stand, aus der Hilfsliste der in der Zahlenreihe folgenden Kammer heranzuziehen war. Zwar waren aus der Hilfsliste der erkennenden 15. Kammer zehn, aus der Hilfsliste der 16. Kammer fünf andere Vertreter vor dem ehren amtlichen Richter L. zur Mitwirkung berufen. Diese waren aber nach handschriftlichen Eintragungen in die für jeden ehrenamtlichen Richter geführten Ladungsbögen mit Ausnahme des ehrenamtlichen Richters A. entweder „nicht erreichbar” oder „nicht abkömmlich”.

Nach der im Geschäftsverteilungsplan getroffenen Regelung schieden die nicht erreichbaren ehrenamtlichen Richter ohne weiteres aus; auch unabhängig von dieser Regelung wären sie aufgrund dieses Umstandes als verhindert anzusehen gewesen (so auch die für Hilfsschöffen getroffene Regelung des § 54 Abs. 2 Satz 1 GVG; vgl. auch Beschluß vom 22. November 1979 – BVerwG 6 CB 56.79 – DÖV 1980, 766 [767]).

Auch die Nichtberücksichtigung der übrigen vorrangig berufenen Vertreter stand im Einklang mit der im Geschäftsverteilungsplan getroffenen Regelung: Danach waren als Vertreter nur die ehrenamtlichen Richter aus der Hilfsliste heranzuziehen, die „zur Verfügung” standen. Einer derartigen ohne Rücksicht auf den konkreten Verhinderungsgrund getroffenen Regelung über die Auswahl des Vertreters aus der Hilfsliste stehen weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 30 Abs. 2 VwGO entgegen. § 30 Abs. 2 VwGO schreibt nicht vor, daß die Reihenfolge der Vertreter ebenfalls nur bei unvorhergesehener Verhinderung durchbrochen werden darf. Mit der Festlegung der Reihenfolge sollen lediglich sachfremde Einflüsse auf die Besetzung der Richterbank ausgeschlossen werden. Es geht nicht um die Frage, ob das Fernbleiben des Vertreters zu entschuldigen ist oder eine Pflichtwidrigkeit mit den sich möglicherweise daraus ergebenden Folgen nach § 33 Abs. 1 VwGO darstellt. Die Rechtsprechung hat ein Abweichen von der Reihenfolge der Hilfsliste für gerechtfertigt gehalten, wenn auf diese Weise eine Vertagung der Verhandlung oder eine erhebliche Verzögerung ihres Beginns vermieden werden kann (BSG NJW 1968, 1446). Nur unter diesen Voraussetzungen ist nach der im übrigen strengeren Regelung im Strafprozeß ein Hilfsschöffe als erreichbar anzusehen und damit zur Mitwirkung berufen (§ 54 Abs. 2 Satz 3 GVG). Um so mehr erscheint es zulässig, diejenigen ehrenamtlichen Richter aus der Hilfsliste unberücksichtigt zu lassen, die wegen erklärter Unabkömmlichkeit nicht zur Verfügung stehen.

Es ist auch nicht zu beanstanden, daß in den Ladungsbögen schon aus Gründen der Zeitnot nur schlagwortartig die Verhinderung ohne Angabe näherer Einzelheiten vermerkt worden ist. Zwar ergibt sich aus dem Vermerk „nicht abkömmlich” noch nicht der von dem jeweiligen ehrenamtlichen Richter angegebene konkrete Hinderungsgrund. Es mag zweckmäßig sein, diesen aktenkundig zu machen, um eine unzutreffende Wertung der Tatsachen auszuschließen. Jedoch besteht eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung, wonach der Hinderungsgrund schriftlich festgehalten werden muß, für das Verwaltungsstreitverfahren nicht (Beschluß vom 23. Oktober 1980 – BVerwG 2 C 5.80 – DVBl. 1981, 493; Beschluß vom 25. September 1981 – BVerwG 9 C 217.80 – Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 33; insoweit anders § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG). Es ist ferner zu berücksichtigen, daß naturgemäß viele ehrenamtliche Richter einer erst am Verhandlungstag erfolgten Heranziehung wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht Folge leisten können und deshalb eine Vermietung dafür spricht, daß sie tatsächlich nicht abkömmlich sind. Anhaltspunkte dafür, daß die Eintragungen in die Ladungsbögen unrichtig waren und daher Anlaß zu einer Prüfung bestand, ob ein anderer Vertreter vor dem ehrenamtlichen Richter L. zur Verfügung stand, sind nicht ersichtlich.

Bezüglich der Heranziehung des vorrangig berufenen ehrenamtlichen Richters A. ist ein Vermerk in dessen Ladungsbogen offensichtlich nur vergessen worden. Die Geschäftsstelle hatte auch diesen Richter zur Teilnahme aufgefordert, die er mit Rücksicht auf geschäftliche Verpflichtungen jedoch absagen mußte. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden und glaubhaften Erklärungen der Leiterin der Geschäftsstelle und des ehrenamtlichen Richters. Für das ordnungsgemäße Vorgehen spricht auch, daß die Geschäftsstelle alle übrigen in Betracht kommenden vor und nach A. berufenen ehrenamtlichen Richter angesprochen und dies in den Ladungsbögen vermerkt hatte.

Aufgrund erklärten Einverständnisses kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Korbmacher, Dr. Paul, Sträter, Dr. Kemper, Dr. Bender

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1530538

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