Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskraft. Bindungswirkung. Feststellungsurteil. rechtskräftige Feststellung von Abschiebungshindernissen durch Gericht. zeitliche Grenze der Rechtskraft. Änderung der Sachlage. nachträglicher Wegfall der Gefährdungslage bei Abschiebungshindernis; neuerliche Feststellung durch Verwaltungsakt. „Widerruf” eines rechtskräftigen Feststellungsurteils durch Verwaltungsakt. Umdeutung im Revisionsverfahren. Abschiebungsandrohung nach Widerruf gem. § 73 AsylVfG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist nicht befugt, die vom Verwaltungsgericht rechtskräftig getroffene Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG zu widerrufen.

2. Der fehlerhafte Widerruf kann in einem solchen Fall – auch noch im Revisionsverfahren – in eine nach Änderung der Sachlage zulässige neuerliche Feststellung durch Verwaltungsakt, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht (mehr) vorliegen, umgedeutet werden.

3. Das Bundesamt ist zum Erlaß einer Abschiebungsandrohung im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren nach § 73 AsylVfG nicht zuständig.

 

Normenkette

AsylVfG §§ 34, 73; AuslG §§ 50, 53; VwGO § 121; VwVfG § 47

 

Verfahrensgang

Hamburgisches OVG (Entscheidung vom 22.01.1999; Aktenzeichen 1 Bf 122/98.A)

VG Hamburg (Entscheidung vom 08.01.1998; Aktenzeichen 16 A 1090/97)

 

Tenor

Das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Januar 1999 wird geändert und wie folgt neu gefaßt:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. Januar 1998 wird hinsichtlich der Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 6. März 1997 aufgehoben; die Klage wird insoweit abgewiesen. Im übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die 1975 geborene Klägerin ist togoische Staatsangehörige; sie kam 1992 nach Deutschland und beantragte Asyl. Nach der Rücknahme des Asylantrags stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) fest, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte der Klägerin die Abschiebung nach Togo an. Auf die hiergegen erhobene Klage entschied das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 29. April 1994, unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Togo werde „festgestellt, daß der Abschiebung der Klägerin nach Togo Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstehen”, im übrigen werde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, der Abschiebungsandrohung stehe ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG entgegen, weil jeder Togoer, der nach Togo abgeschoben werde, als potentieller Regimegegner betrachtet werde und die Klägerin deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Repressalien und sogar mit einer Gefährdung ihres Lebens rechnen müsse. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.

In einem später eingeleiteten Widerrufsverfahren entschied das Bundesamt durch Bescheid vom 6. März 1997, „die mit Urteil des Verwaltungsgerichts … getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 des Ausländergesetzes wird widerrufen” (Nr. 1 des Bescheids), und drohte der Klägerin die Abschiebung nach Togo an (Nr. 2). Zur Begründung führte es aus, die Feststellung von Abschiebungshindernissen sei gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Das sei hier der Fall, weil die vom Verwaltungsgericht festgestellten Gefahren nachträglich weggefallen seien. In ihr Heimatland zurückgeführte Staatsangehörige Togos müßten aufgrund der neuesten Erkenntnislage nicht mehr mit unmenschlicher Behandlung rechnen. Dem Widerruf stehe nicht entgegen, daß die Feststellung hier durch Urteil getroffen worden sei. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG zu erlassen, weil die Klägerin weder als Asylberechtigte anerkannt worden sei noch eine Aufenthaltsgenehmigung besitze.

Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Widerrufsbescheid aufgehoben. Diese Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufung der Beklagten und des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der angefochtene Bescheid des Bundesamts sei – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – rechtmäßig. Der Widerruf der Feststellung von Abschiebungshindernissen sei als Widerruf eines Verwaltungsaktes zu behandeln. Zwar seien die Verwaltungsgerichte nach der Änderung des § 113 Abs. 2 VwGO durch das 4. VwGO-Änderungsgesetz seit 1991 nicht mehr befugt, behördliche Feststellungen jeder Art durch eine andere Feststellung zu ersetzen. Die danach unzulässige verwaltungsgerichtliche Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG müsse jedoch als eine Abänderungsfeststellung im Sinne des § 113 Abs. 2 VwGO a.F. gedeutet werden, die den angefochtenen Verwaltungsakt als solchen bestehen lasse und ihn nur inhaltlich verändere. Ein derart gerichtlich geänderter Verwaltungsakt könne aber auch nach der Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils im üblichen Verfahren zur Änderung rechtskräftig bestätigter behördlicher Verwaltungsakte widerrufen werden. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils vom April 1994 stehe dem Widerruf nicht entgegen, weil sich nach Erlaß des Urteils die Sachlage geändert habe. Die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG lägen bei der Klägerin nicht mehr vor. Ernsthafte Gründe für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Klägerin bei ihrer Rückkehr nach Togo hätten weder im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung bestanden noch bestünden solche heute. Dies ergebe sich aus den Berichten des Auswärtigen Amtes über die Behandlung von Rückkehrern nach Togo seit Mitte 1996. Die Abschiebungsandrohung sei nach §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 Abs. 1 bis 3 AuslG rechtmäßig.

Mit der Revision macht die Klägerin vor allem geltend, dem Widerruf stehe die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Feststellungsurteils vom April 1994 entgegen. Auch habe sich die tatsächliche Situation für Rückkehrer nach Togo insbesondere nach den letzten Präsidentschaftswahlen wieder erheblich verschlechtert.

Die Beklagte und der Beteiligte verteidigen das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist lediglich zum Teil begründet. Sie hat nur mit dem Begehren Erfolg, die Abschiebungsandrohung in Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Im übrigen – hinsichtlich des „Widerrufs” in Nr. 1 des Bescheids – erweist sich die Revision im Ergebnis als unbegründet (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Der Widerruf der verwaltungsgerichtlichen Feststellung ist rechtswidrig. Das Bundesamt ist nicht befugt, ein rechtskräftig gewordenes Feststellungsurteil in seinem Ausspruch zu ändern. Das ergibt sich bereits aus der äußeren Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils nach § 121 VwGO und entspricht im übrigen dem verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsprinzip. Eine Ermächtigung zum Widerruf läßt sich weder aus § 73 Abs. 3 AsylVfG noch aus § 113 Abs. 2 VwGO a.F. herleiten.

Daß mit der „Entscheidung” im Sinne von § 73 Abs. 3 AsylVfG über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 AuslG, welche „zurückzunehmen” oder „zu widerrufen” ist, nur ein Verwaltungsakt (vgl. § 35, §48 und § 49 VwVfG) und nicht ein Gerichtsurteil gemeint sein kann, folgt bereits aus der Überschrift des § 73 AsylVfG („Widerruf und Rücknahme”) und den entsprechend durchgängigen Formulierungen im Gesetzestext. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen; es meint jedoch, Gegenstand des Widerrufs im Bescheid des Bundesamts sei nicht das Feststellungsurteil, sondern ein durch dieses lediglich modifizierter Verwaltungsakt. Diese vom Berufungsgericht unter Rückgriff auf § 113 Abs. 2 VwGO a.F. vorgenommene Auslegung des Feststellungsurteils vom April 1994 widerspricht nicht nur – worauf die Revision zutreffend hinweist – dem im vorliegenden Ausgangsverfahren vom Verwaltungsgericht selbst mitgeteilten Verständnis seines früheren Urteils, sondern ist auch deswegen nicht tragfähig, weil sie sich auf eine Vorschrift stützt, die bereits zum 1. Januar 1991 außer Kraft getreten ist. Während nach § 113 Abs. 2 VwGO a.F. das Gericht an sich jede durch Verwaltungsakt getroffene Feststellung „durch eine andere ersetzen” konnte, ist dies nach der Neufassung des § 113 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur noch zulässig bei der Änderung eines Verwaltungsakts, der eine auf einen Geldbetrag „bezogene Feststellung” trifft. Daraus folgt, daß den Verwaltungsgerichten seither jegliche einen Verwaltungsakt modifizierende oder ersetzende Entscheidung, welche sich nicht auf eine Geldleistung bezieht, untersagt ist. Deshalb ist die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ausschließlich mit der Verpflichtungsklage zu erstreiten (vgl. Urteil vom 29. März 1996 – BVerwG 9 C 116.95 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 3 = DVBl 1996, 1257).

Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts spricht ferner, daß das Bundesamt tatsächlich nicht etwa seinen eigenen, gerichtlich nur veränderten Verwaltungsakt, sondern unmittelbar die rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Feststellung in dem Urteil vom 29. April 1994 beseitigen wollte. Das ergibt sich aus dem unmißverständlichen Tenor der Nr. 1 des angegriffenen Bescheids. Dort heißt es, daß „die mit Urteil des Verwaltungsgerichts … getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen … widerrufen” wird. Dieser Ausspruch kann nur als Widerruf der rechtskräftigen Feststellung im Urteil selbst gedeutet werden; als solcher ist er aber eindeutig rechtswidrig.

Ob die Nr. 1 des Bundesamtsbescheids wegen dieses Übergriffs in die rechtsprechende Gewalt offensichtlich an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und deshalb im Sinne von § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig ist, läßt der Senat offen. Die Revision kann nämlich unabhängig davon, ob der Bescheid insoweit ursprünglich nur rechtswidrig oder gar nichtig gewesen ist, gleichwohl im Ergebnis keinen Erfolg haben. Die fehlerhafte („Widerrufs-”)Entscheidung in Nr. 1 des Bundesamtsbescheids kann in eine nach Änderung der Sachlage zulässige (neuerliche) Feststellung durch Verwaltungsakt, daß für die Klägerin Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos nicht – mehr – vorliegen, umgedeutet werden.

Ein fehlerhafter – rechtswidriger oder nichtiger – Verwaltungsakt kann gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlaß erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter diesen Voraussetzungen auch die Verwaltungsgerichte im Gerichtsverfahren ermächtigt, fehlerhafte Verwaltungsakte umzudeuten (vgl. zuletzt Urteil vom 24. November 1998 – BVerwG 9 C 53.97 – BVerwGE 108, 30 ≪35≫ unter Hinweis auf BVerwGE 80, 96; ferner BVerwG, Beschluß vom 5. Februar 1993 – BVerwG 7 B 107.92 – Buchholz 316 § 45 VwVfG Nr. 23 = NVwZ 1993, 976; Beschluß vom 30. Januar 1992 – BVerwG 2 CB 15.90 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 56; Beschluß vom 1. Juli 1983 – BVerwG 2 B 176.81 – Buchholz 316 § 47 VwVfG Nr. 4 = NVwZ 1984, 645 und Urteil vom 10. Juni 1981 – BVerwG 8 C 15.81 – BVerwGE 62, 300, 306). Dies gilt auch im Revisionsverfahren, sofern die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) ausreichen, den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör gewährt worden ist und sie in ihrer Rechtsverteidigung hierdurch nicht beeinträchtigt sind. Alle diese Voraussetzungen liegen – wie mit den Beteiligten in der Revisionsverhandlung ausführlich erörtert – hier vor.

Die neuerliche Entscheidung zu § 53 AuslG ist auf das gleiche Ziel wie der fehlerhaft verfügte Widerruf, nämlich darauf gerichtet, mit Bindungswirkung für die zur Durchführung der Abschiebung berufene Ausländerbehörde festzustellen, daß einer etwa notwendig werdenden Vollstreckung der Ausreisepflicht keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG (mehr) entgegenstehen. Einen Verwaltungsakt dieses Inhalts hätte das Bundesamt in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig erlassen können; insbesondere war es hierfür in gleicher Weise sachlich zuständig wie es für den Widerruf seiner eigenen positiven Feststellung, die es aufgrund eines Verpflichtungsurteils des Verwaltungsgerichts hätte treffen müssen, bei Wegfall der Gefährdungslage nach § 73 Abs. 3 AsylVfG zuständig gewesen wäre. Der Umstand, daß wegen der inkorrekten, aber rechtskräftig gewordenen Feststellungsentscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. April 1994 ein Widerruf nicht möglich ist, sondern in anderer Weise über das Fortbestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG zu entscheiden ist, läßt die Zuständigkeit des Bundesamts nicht entfallen. Sie ergibt sich vielmehr für den vorliegenden Sonderfall aus einer entsprechenden Anwendung der in § 73 Abs. 3 AsylVfG enthaltenen gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung.

Auch die weiteren Voraussetzungen für den Erlaß einer neuen negativen Feststellungsentscheidung nach § 53 AuslG infolge einer Änderung der Sachlage liegen vor. Das ergibt sich zunächst hinsichtlich der Änderung der Gefährdungslage für togoische Asylbewerber in der Zeit zwischen April 1994 und der Entscheidung des Berufungsgerichts im Januar 1999 aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts. Danach muß die Klägerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland heute nicht mehr mit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK rechnen, außerdem auch nicht mit sonstigen konkreten Leibes- oder Lebensgefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Dies hat das Oberverwaltungsgericht vor allem aus Berichten über die Rückführung von etwa 35 000 Flüchtlingen aus den Nachbarstaaten Togos zwischen Ende 1995 und Mitte 1996 sowie von weiteren 120 Togoern geschlossen, die allein im Jahre 1995 aus Deutschland abgeschoben worden sind (vgl. im einzelnen Berufungsurteil S. 11 ff.). Dabei hat sich das Berufungsgericht auch mit der neuesten – nach Auffassung der Klägerin wieder verschlechterten – Menschenrechtslage in Togo seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 1998 befaßt (vgl. UA S. 17). Soweit sich die Revision gegen die tatrichterliche Bewertung wendet, kann sie damit im Revisionsverfahren schon mangels Erhebung einer Verfahrensrüge, die sie unabhängig von der Umdeutung hätte anbringen müssen, nicht gehört werden. Im übrigen ist auch nach dem Vortrag im Revisionsverfahren nicht erkennbar, weshalb das Berufungsgericht seine tatrichterliche Einschätzung fehlerhaft gebildet haben sollte. Fehlt es danach aber heute – im Gegensatz zur Lage im April 1994 – an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, daß die Klägerin bei ihrer Rückkehr nach Togo wegen ihres Asylantrags, ihres langen Auslandsaufenthalts oder aus sonstigen Gründen mit menschenrechtswidriger Behandlung oder einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit rechnen muß, ist die negative Feststellung, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG für die Klägerin hinsichtlich Togos nicht bestehen, materiell rechtmäßig.

Dem Erlaß eines entsprechenden negativen Feststellungsbescheids des Bundesamts gemäß § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG – und einer entsprechenden Umdeutung nach § 47 VwVfG – steht schließlich auch nicht entgegen, daß das Feststellungsurteil des Verwaltungsgerichts vom 29. April 1994 rechtskräftig geworden ist. Allerdings hindert die zugunsten der Klägerin ergangene rechtskräftige Feststellung des entgegengesetzen Inhalts, daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos für sie besteht, grundsätzlich jede erneute und erst recht jede abweichende Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung. Das ergibt sich aus der materiellen Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 29. April 1994 (§ 121 VwGO; vgl. zur Rechtskraftwirkung stattgebender Feststellungsurteile Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn. 88 ff.). Jedoch stehen alle rechtskräftigen Urteile unter einem Geltungsvorbehalt des Fortbestehens der zugrunde gelegten Sach- und Rechtslage. Ändert sich – wie es hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Fall ist – in der Zeit nach Erlaß des rechtskräftigen Urteils die Sachlage, so darf über das Rechtsverhältnis erneut entschieden werden; die Rechtskraft des Urteils steht dann einer erneuten – gleichen oder abweichenden – Sachentscheidung auf der Grundlage der veränderten Sachlage nicht entgegen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa das bereits zitierte Urteil des Senats vom 24. November 1998 – BVerwG 9 C 53.97 – a.a.O.; Urteil vom 26. Juli 1996 – BVerwG 8 C 18.95 – Buchholz 448.0 § 5 WPflG Nr. 23; Beschluß vom 10. Mai 1995 – BVerwG 8 B 32.95 – Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 71; Beschluß vom 3. November 1993 – BVerwG 4 NB 33.93 – Buchholz 310 § 121 Nr. 66 = NVwZ-RR 1994, 236; Urteil vom 8. Dezember 1992 – BVerwG 1 C 12.92 – BVerwGE 91, 256 ≪258≫; ferner etwa Clausing a.a.O. § 121 VwGO Rn. 71 ff.; jeweils m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Kammer-Beschluß vom 17. November 1998 – 1 BvL 10.98 – NJW 1999, 2581). Ändert sich die entscheidungserhebliche Sachlage nach Eintritt der Rechtskraft, ist mit anderen Worten eine neue Entscheidung in der Sache und ein Rechtsstreit hierüber weder unzulässig noch präjudiziert.

In welchem Verfahren die neue Sachentscheidung zu ergehen hat, ist gesetzlich nicht besonders geregelt. Die Verwaltungsgerichtsordnung hält hierfür kein besonderes Verfahren bereit; insbesondere sind die zur Durchbrechung der Rechtskraft vorgesehenen Klagemöglichkeiten – einschließlich der vom Verwaltungsgericht angeführten Abänderungsklage bei zukünftig wiederkehrenden Leistungen im Sinne des insofern auch im Verwaltungsprozeß nach § 173 VwGO entsprechend anwendbaren § 323 ZPO – dafür nicht geschaffen und wegen ihrer Besonderheiten unanwendbar. Es liegt daher nahe, daß in Fällen wie dem vorliegenden über die nach Änderung der Sachlage erforderliche Maßnahme zunächst (wieder) im Verwaltungswege durch Verwaltungsakt entschieden wird. Dagegen bestehen auch mit Rücksicht auf den Rechtsschutz keine Bedenken. Der Betroffene kann mit den üblichen Mitteln des Hauptsache- und Eilrechtsschutzes gegen den neuen Verwaltungsakt vorgehen. Effektiver Rechtsschutz ist auch dann umfassend gewährleistet, wenn die Verwaltung etwa zu Unrecht eine Änderung der Sachlage unterstellen oder sonst die Rechtskraft der früheren verwaltungsgerichtlichen Entscheidung mißachten sollte.

Da sich im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Tatsachenlage, wie ausgeführt, seit Erlaß des rechtskräftigen Urteils im April 1994 entscheidungserheblich verändert hat, war eine neue Entscheidung des Bundesamts grundsätzlich zulässig. Die fehlerhafte Widerrufsentscheidung in Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts kann daher in eine neuerliche negative Feststellung nach § 53 AuslG aufgrund der geänderten Sachlage umgedeutet werden. Damit erweist sich das Berufungsurteil insoweit im Ergebnis als richtig und die Revision als unbegründet.

Hingegen kann die Abschiebungsandrohung in Nr. 2 des Bescheids keinen Bestand haben. Die vom Bundesamt in dem angegriffenen Bescheid und vom Berufungsgericht als Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung angegebene Bestimmung des § 34 Abs. 1 AsylVfG ermächtigt das Bundesamt zu Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung lediglich nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens (vgl. auch die amtliche Überschrift des Zweiten Abschnitts des AsylVfG). Im vorliegenden Sonderfall wäre das Bundesamt zum Erlaß einer Abschiebungsandrohung daher nur zuständig gewesen, wenn es hierzu nach § 73 Abs. 3 AsylVfG auch im Falle des Widerrufs einer eigenen positiven Feststellung bei Wegfall der Gefährdungslage befugt gewesen wäre. Im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren gemäß § 73 AsylVfG (geregelt im Sechsten Abschnitt des AsylVfG) ist § 34 Abs. 1 AsylVfG indessen weder aufgrund einer Verweisung noch analog anwendbar. Da § 73 AsylVfG auf diese Bestimmungen nicht Bezug nimmt, müßte eine planwidrige Regelungslücke vorliegen. Dafür ist – auch nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. die Begründung zu § 71 des Regierungsentwurfs in BTDrucks 12/2062 S. 39) – nichts ersichtlich. Im übrigen spricht eher gegen eine Zuständigkeit des Bundesamts zum Erlaß aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei Widerruf oder Rücknahme von Anerkennungs- und Abschiebungsschutzentscheidungen, daß der Aufenthalt inzwischen häufig ausländerrechtlich genehmigt ist (vgl. § 5 AuslG). Der Ausländer besitzt nämlich bei vorausgegangener Asylanerkennung nach § 68 Abs. 1 AsylVfG stets, nach § 70 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig, bei Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG zwar nicht automatisch, aber nach längerem Aufenthalt faktisch nicht selten eine Aufenthaltsgenehmigung. Bei bestehender Aufenthaltsgenehmigung ist das Bundesamt auch nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht ermächtigt, die Abschiebungsandrohung zu erlassen, vielmehr bleibt es bei der allgemeinen Zuständigkeit der Ausländerbehörde nach § 50 Abs. 1 AuslG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Interesse der Klägerin an der Aufhebung der Abschiebungsandrohung bewertet der Senat für die vorliegende besondere Fallkonstellation gegenüber der erstrebten Abschiebungsschutzentscheidung nach § 53 AuslG – unabhängig von der gesetzlichen Streitwertbemessung nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG – mit einem Drittel. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Seebass, Hund, Richter, Beck, Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger ist wegen Urlaubs an der Beifügung seiner Unterschrift verhindert. Seebass

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 23.11.1999 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BVerwGE, 111

NVwZ 2000, 575

DÖV 2000, 610

InfAuslR 2000, 125

ZAR 2000, 87

AuAS 2000, 104

BayVBl. 2001, 56

DVBl. 2000, 1525

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