Entscheidungsstichwort (Thema)

Iran. Abschiebungshindernis. Schutz der Familie. Abschiebung einzelner Familienmitglieder. Gefahrenprognose. Rückkehrhypothese. Zuständigkeitsabgrenzung Bundesamt/Ausländerbehörde. Abschiebungsandrohung, Erledigung durch Aufenthaltsgenehmigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines Kindes, dessen Eltern Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG genießen, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstehen, darf nicht unterstellt werden, daß das Kind zusammen mit seinen Eltern in den Heimatstaat zurückkehrt.

2. Würde die Abschiebung des erfolglos gebliebenen Asylbewerbers zur Trennung von seinen in der Bundesrepublik bleibeberechtigten Familienangehörigen führen, ist es allein Aufgabe der Ausländerbehörde zu prüfen, ob trennungsbedingte mittelbare Gefahren im Abschiebezielstaat Vollstreckungshindernisse begründen.

3. Eine asylverfahrensrechtliche Abschiebungsandrohung erledigt sich durch die Erteilung einer ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung.

 

Normenkette

GG Art. 6 Abs. 1; 2 AuslG § 53; EMRK Art. 8

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Beschluss vom 04.06.1998; Aktenzeichen 2 L 124/97)

VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 13.08.1997; Aktenzeichen 9 A 1041/97)

 

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit sind der Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Juni 1998 und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 13. August 1997 –jeweils mit Ausnahme der Kostenentscheidung –unwirksam.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der im Jahre 1988 geborene Kläger zu 1 und seine Schwester, die 1981 geborene Klägerin zu 2, sind iranische Staatsangehörige. Sie reisten im Oktober 1995 gemeinsam mit ihren Eltern in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte die Asylanträge der Kläger und ihrer Eltern ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 2) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (Nr. 3) nicht vorliegen und drohte ihnen die Abschiebung in den Iran an (Nr. 4).

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet festzustellen, daß hinsichtlich der Eltern der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich des Iran vorliegen, da ihnen wegen ihrer exilpolitischen Betätigung bei Rückkehr dorthin politische Verfolgung drohe. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

In dem nur zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und zur Abschiebungsandrohung zugelassenen Berufungsverfahren haben die Kläger geltend gemacht, im Iran drohten ihnen Eingriffe in ihr Privat- und Familienleben durch die iranischen Behörden, die vom Bundesamt als zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu berücksichtigen seien. So hätten sie die Entziehung des Sorgerechts der gesetzlichen Vertreter, den Ausschluß der Kommunikationsmöglichkeiten mit ihren Eltern, die Vereitelung von Besuchskontakten und die Ersetzung der Familienerziehung durch eine Heimerziehung im „fundamentalistischislamischen Sinne” zu befürchten. Außerdem haben die Kläger mitgeteilt, daß ihnen von der Ausländerbehörde bis zum 10. Februar 2000 befristete Aufenthaltsbefugnisse erteilt worden seien.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, soweit es um eine in der Bundesrepublik Deutschland bewirkte abschiebungsbedingte Trennung der Kläger von ihren Eltern gehe, sei die Beklagte für eine entsprechende Feststellung nicht zuständig, da es sich insoweit um inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse handele. Soweit sich die Kläger auf eine drohende Verletzung ihres Privatund Familienlebens im Iran beriefen, müsse ihr Aufenthalt dort in Gemeinschaft mit ihren Eltern unterstellt werden. Unter dieser Voraussetzung aber fehlten jegliche Anhaltspunkte für die von den Klägern befürchteten Eingriffe in die Familie.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger, das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, indem es seiner Gefährdungsprognose die Hypothese einer gemeinsamen Rückkehr mit ihren Eltern in den Iran zugrunde gelegt habe, obwohl diesen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt worden sei. Jedenfalls stehe die Erwägung des Berufungsgerichts, daß Art. 6 Abs. 1 GG eine Trennung der Kläger von ihren Eltern verhindere und deshalb entweder ihre Rückkehr in Gemeinschaft mit den Eltern oder ihr gemeinsamer Verbleib im Bundesgebiet zu unterstellen sei, in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, derzufolge Art. 6 Abs. 1 GG ein allein von der Ausländerbehörde zu beachtendes Vollstreckungshindernis begründe. Schließlich verletze der Beschluß des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör der Kläger, weil es die beantragten Beweise zur geltend gemachten Beeinträchtigung des Familienlebens durch die iranischen Behörden nicht erhoben habe. Zumindest hätte das Berufungsgericht bei unterstellter Rückkehr der Kläger mit ihren Eltern von deren Verfolgung durch den Heimatstaat ausgehen müssen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Kläger und die Beklagte haben in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit er hinsichtlich der gegen die Kläger gerichteten Abschiebungsandrohung noch anhängig war. Insoweit ist das Verfahren einzustellen und sind die Entscheidungen der Vorinstanzen für unwirksam zu erklären (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung).

Gegenstand der Revision ist danach allein noch der Streit um die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Insoweit ist die Revision der Kläger unbegründet. Der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichts steht zwar mit seiner Begründung nicht in vollem Umfang in Einklang mit Bundesrecht; die Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), ohne daß es auf die geltend gemachten Verfahrensrügen ankommt.

Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob das Berufungsgericht die Berufung der Kläger mit der Begründung hätte zurückweisen können, ihrer Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG fehle wegen der den Klägern zwischenzeitlich von der Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltsbefugnisse das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschluß vom 11. November 1991 –BVerwG 4 B 190.91 –Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 237). Denn die Zurückweisung der Berufung erweist sich jedenfalls deshalb im Ergebnis als mit Bundesrecht vereinbar, weil den Klägern kein Anspruch auf Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung von Abschiebungshindernissen zusteht und die hierzu ergangene negative Feststellung in dem angefochtenen Bescheid sie auch nicht in ihren Rechten verletzt.

Allerdings hätte das Berufungsgericht bei der Gefahrenprognose nicht die Rückkehr der Kläger in den Abschiebezielstaat in Gemeinschaft mit ihren Eltern unterstellen dürfen. Die von den Klägern für den Fall ihrer alleinigen Rückkehr geltend gemachten trennungsbedingten Gefahren sind nicht vom Bundesamt im Rahmen der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG, sondern von der Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, ob der mit der Abschiebung der Kläger verbundenen Trennung von ihren Eltern Vollstreckungshindernisse entgegenstehen. Andere vom Bundesamt zu prüfende Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG sind von den Klägern nicht geltend gemacht und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht ersichtlich. Die Beklagte kann danach im Ergebnis nicht zur Feststellung von Abschiebungshindernissen verpflichtet werden.

Bei der dem Bundesamt obliegenden Entscheidung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstehen (§ 24 Abs. 2, § 31 Abs. 3 AsylVfG), hat das Bundesamt seiner Gefahrenprognose eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation zugrunde zu legen. Insoweit gelten im Rahmen der Gefahrenprognose des § 53 AuslG die Grundsätze, die der erkennende Senat zur asylrechtlichen Verfolgungsprognose entwickelt hat (vgl. Urteil vom 8. September 1992 –BVerwG 9 C 8.91 – BVerwGE 90, 364 ≪367≫), entsprechend. Das Berufungsgericht ist bei der auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) bezogenen Prüfung von der aus Rechtsgründen nicht zulässigen Hypothese ausgegangen, die Kläger würden zusammen mit ihren Eltern in den Iran zurückkehren. Einer solchen Annahme steht entgegen, daß den Eltern rechtskräftig Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt worden ist.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, worauf sich auch das Berufungsgericht beruft, bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen auszugehen, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt (Urteil des Senats vom 16. August 1993 – BVerwG 9 C 7.93 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 389 ≪391 ff≫; Urteil vom 8. September 1992 –BVerwG 9 C 8.91 –a.a.O., S. 368 ff. in Fortentwicklung des Urteils vom 6. März 1990 –BVerwG 9 C 14.89 –BVerwGE 85, 12). Nicht angenommen werden kann indessen eine gemeinsame Rückkehr mit Familienangehörigen, die –anders als in den bisher entschiedenen Fällen – aufgrund rechtskräftiger Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genießen. Es widerspräche dem damit zugleich verbindlich festgestellten Flüchtlingsstatus (§ 3, § 4 Satz 1 AsylVfG), auch bei einem solchen Sachverhalt die gemeinsame Rückkehr des erfolglosen Asylbewerbers mit seinen als politische Flüchtlinge anerkannten Angehörigen zu unterstellen. Dies wäre zudem wirklichkeitsfremd und stünde deshalb mit der Rechtsprechung zum Erfordernis einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im –hypothetischen – Rückkehrfall (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1992, a.a.O., S. 369; Urteil vom 16. August 1993, a.a.O., S. 392) nicht in Einklang.

Sollte das Berufungsgericht bei seiner Gefahrenprognose von einer späteren Rückkehr der Kläger mit ihren dann nicht mehr politisch verfolgten Eltern ausgegangen sein, stünde auch dies in Widerspruch zu der gebotenen realitätsgerechten Sichtweise. Denn die Gefahrenprognose bei unterstellter Rückkehr der Kläger ist auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts gegebenen Umstände und unter Berücksichtigung absehbarer Entwicklungen zu erstellen. Anhaltspunkte, die das Berufungsgericht etwa zu der Annahme hätten veranlassen können, der Flüchtlingsstatus der Eltern der Kläger werde in absehbarer Zeit entfallen, lassen sich dem Beschluß des Berufungsgerichts nicht entnehmen.

Die danach in der Begründung rechtsfehlerhafte Verneinung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG durch das Berufungsgericht stellt sich jedoch im Ergebnis als richtig dar. Nach den von der Revision insoweit nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat verbindlichen (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen des Berufungsgerichts kommen für die Kläger im Rahmen des geltend gemachten Anspruchs auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nur solche Gefahren in Betracht, die sich aus dem befürchteten Eingriff des Zielstaats der Abschiebung in das Privat- und Familienleben ergeben könnten (BA S. 3). Zudem kann es aus den genannten Gründen insoweit nur um Gefahren gehen, die den Klägern bei Rückkehr in den Iran ohne ihre Eltern drohen. Diese wären indes, auch soweit sie –wie von den Klägern geltend gemacht – im Zielstaat der Abschiebung zu befürchten wären, lediglich weitere Folgen des Eingriffs, gegen den sich die Kläger in erster Linie wenden, nämlich von ihren Eltern getrennt zu werden. Ob die mit einer Durchführung der Abschiebung einhergehende Trennung der Kläger von ihren Eltern zulässig ist, ist aber ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Prüfung etwaiger Vollstreckungshindernisse zu entscheiden, die hierbei auch die weiteren Folgen der Trennung zu berücksichtigen hat.

In der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist geklärt, daß bei der Beendigung des Aufenthalts erfolgloser Asylbewerber das Bundesamt auf die Prüfung und Feststellung von sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG beschränkt ist, die sich der Sache nach aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und damit in Gefahren begründet sind, die im Zielstaat der Abschiebung drohen (Urteile vom 11. November 1997 –BVerwG 9 C 13.96 –BVerwGE 105, 322 ≪327≫, vom 25. November 1997 –BVerwG 9 C 58.96 – BVerwGE 105, 383 ≪384 f.≫ und vom 27. April 1998 –BVerwG 9 C 13.97 –NVwZ 1998, 973 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12). Nur insoweit kann das Bundesamt im verwaltungsgerichtlichen Asylrechtsstreit zur Feststellung von Abschiebungshindernissen verpflichtet werden. Die Ausländerbehörde bleibt demgegenüber für die Durchführung der Abschiebung und dabei auch für die Entscheidung über alle inlandsbezogenen und sonstigen tatsächlichen Vollstreckungshindernisse zuständig (Urteile vom 11. November 1997, a.a.O., S. 327 und vom 25. November 1997, a.a.O., S. 385). Zu den ausschließlich von der Ausländerbehörde nach § 55 AuslG zu prüfenden Vollstreckungshindernissen zählen beispielsweise fehlende Ausweise oder Ersatzpapiere, krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit, ferner die Nichterreichbarkeit des Zielstaats aus tatsächlichen Gründen –wie fehlende Verkehrsverbindungen infolge von Naturkatastrophen, Krieg oder wegen völkerrechtlicher Sanktionen sowie unzumutbare Gefährdungen auf dem Weg dorthin (Urteil des Senats vom 15. April 1997 –BVerwG 9 C 38.96 –BVerwGE 104, 265 ≪278≫).

Für den Fall der Abschiebung in den Iran befürchten die Kläger neben der Trennung von ihren Eltern in Deutschland zusätzliche Eingriffe durch staatliche Behörden ihres Heimatlandes in ihr Familienleben, sei es durch die Unterbindung von Kontaktmöglichkeiten zu ihren im Bundesgebiet verbliebenen Eltern oder durch Eingriffe in die durch die Familie geprägte Erziehung. Ob es überhaupt zu der Trennung der Kläger von den im Bundesgebiet bleibeberechtigten Eltern durch die Abschiebung in den Iran kommen wird, hängt nach den genannten Grundsätzen indes von der Entscheidung der Ausländerbehörde ab. Sie allein, nicht das Bundesamt, hat darüber zu befinden, ob die Abschiebung der Kläger ohne ihre Eltern mit dem in Art. 6 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie und des Erziehungsrechts der Eltern vereinbar ist (BVerwG, Urteil vom 11. November 1997, a.a.O., S. 326 f.).

Der Schutz der Familie, in den durch die Abschiebung einzelner Familienmitglieder eingegriffen wird, kann ein von der Ausländerbehörde zu beachtendes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (§ 55 Abs. 2 AuslG) begründen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluß vom 1. August 1996 – 2 BvR 1119/96 – InfAuslR 1996, 341; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 –BVerwG 1 C 19.96 – BVerwGE 106, 13 ≪17 ff.≫; Urteil vom 27. Januar 1998 – BVerwG 1 C 28.96 – NVwZ 1998, 745 ≪747≫). Wie gewichtig der aus Art. 6 GG folgende Schutz der Familie jeweils ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen –ob es sich etwa um eine familiäre Lebensgemeinschaft oder eine bloße Begegnungsgemeinschaft handelt (vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 18. April 1989 –2 BvR 1169/84 –BVerfGE 80, 81 ≪90 ff.≫; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997, a.a.O.) –, dem Alter der Kinder oder auch der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder. Hierbei errichtet Art. 6 Abs. 1, 2 GG keine absolute Sperre gegen die alleinige Abschiebung von Kindern in ihr Heimatland, wird jedoch –jedenfalls bei minderjährigen Kindern –in aller Regel einer Trennung von ihren im Bundesgebiet bleibeberechtigten Eltern entgegenstehen (BVerwG, Urteil vom 8. September 1992, a.a.O., S. 370; Urteil vom 16. August 1993, a.a.O., S. 392 f.; Urteil vom 5. Juli 1994 –BVerwG 9 C 1.94 –Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 173, S. 20).

Um das Gewicht des abschiebebedingten Eingriffs in den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Familie richtig bewerten zu können, müssen neben der unmittelbaren Trennungswirkung im Inland auch –sofern hierzu Veranlassung besteht –die mittelbaren nachteiligen Folgen in den Blick genommen werden, die den Kindern wegen der Trennung von ihren Eltern im Zielstaat der Abschiebung drohen können. Dies sind zum einen Gefahren, die entstehen können, falls die Kinder im Zielstaat ohne Beistand wären und deshalb alsbald in eine existenzielle Notlage geraten könnten. Zu den trennungsbedingten Gefahren im Zielstaat zählen darüber hinaus auch etwaige Maßnahmen dieses Staates, die –wie dies hier von den Klägern befürchtet wird –etwa durch Unterbindung der Kontaktmöglichkeiten mit den im Bundesgebiet verbliebenen Eltern oder durch eine gezielte „Umerziehung” der Kinder das Gewicht des durch die Trennung verursachten Eingriffs in Art. 6 GG verstärken. Obwohl es sich insoweit um im Zielstaat auftretende Folgen der Abschiebung handelt, sind sie gleichwohl von der Ausländerbehörde zu ermitteln und zu berücksichtigen. Denn diese Umstände fließen, soweit sie durch die Trennung der Kinder von ihren Eltern bedingt sind, zunächst und vorrangig in die der Ausländerbehörde vorbehaltene Entscheidung über die aufenthaltsrechtliche Behandlung der Kinder und einen etwaigen Vollzug der Abschiebung ein (vgl. Urteile vom 18. November 1997 –BVerwG 1 C 22.96 –Buchholz 402.240 § 20 AuslG 1990 Nr. 4 S. 19 f. und vom 28. Januar 1997 –BVerwG 1 C 17.94 –Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10, S. 47). Damit wird nicht der Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1, 2 GG ins Ausland erstreckt, sondern lediglich das Gewicht des innerstaatlichen Eingriffs in den Schutzbereich dieses Grundrechts umfassend bewertet. Denn für die Beurteilung, was nach der Abschiebung der Kinder an familiärer Lebensgemeinschaft mit den Eltern im Bundesgebiet verbleibt und welche Folgen die Herauslösung der Kinder aus der Familie hat, sind notwendig die mittelbar im Ausland drohenden trennungsbedingten Folgen mitzubedenken. Nichts anderes könnte im übrigen für die Bewertung der Trennung der Kinder von ihren Eltern am Maßstab des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl II 1952 S. 686, 953/1954 S. 14) – EMRK gelten; ob sich erfolglose Asylbewerber allgemein oder jedenfalls dann, wenn sie Kinder anerkannter politischer Flüchtlinge sind, auf diese Bestimmung berufen können, bedarf daher keiner weiteren Prüfung und Entscheidung. Denn Art. 8 EMRK vermittelt, soweit sich – wie hier bei dem Eltern-Kind-Verhältnis – sein Anwendungsbereich mit dem des Art. 6 GG deckt, keinen weitergehenden Schutz als das Grundrecht (Urteil vom 27. Januar 1998, a.a.O., S. 748; Urteil vom 29. September 1998 – BVerwG 1 C 8.96 – NVwZ 1999, 303 ≪304≫).

Entgegen der Auffassung der Revision widerspricht die Einbeziehung der im Ausland mittelbar auftretenden trennungsbedingten Gefahren in die Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde nicht der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats zur Zuständigkeitsaufteilung zwischen Ausländerbehörde und Bundesamt im Asylverfahren. Diese Rechtsprechung trägt dem gesetzgeberischen Ziel Rechnung, die besondere Sachkunde des Bundesamts bei auslandsbezogenen Sachverhalten zu nutzen, trotz der Kompetenzaufteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde Doppelprüfungen zu vermeiden und so gleichzeitig das Asylverfahren zu straffen und zu beschleunigen (vgl. hierzu im einzelnen Urteil des Senats vom 11. November 1997, a.a.O., S. 326 f.). Hätte das Bundesamt die mittelbaren, trennungsbedingten Folgen im Zielstaat zu ermitteln und zu bewerten, käme es zu einer unerwünschten Doppelprüfung durch die Ausländerbehörde, die im Rahmen der ihr in jedem Fall obliegenden Entscheidung über die Zulässigkeit der Trennung der Familie im Inland durch die Abschiebung einzelner Familienmitglieder –wie ausgeführt –noch einmal dieselben Umstände prüfen und bewerten müßte. Zudem wären das Bundesamt und im Asylrechtsstreit die Verwaltungsgerichte dann verpflichtet, zu einem Zeitpunkt möglicherweise aufwendige Ermittlungen über die trennungsbedingten Folgen im Zielstaat durchzuführen, zu dem regelmäßig noch nicht absehbar sein wird, ob und, wenn ja, wann die Ausländerbehörde ausnahmsweise eine Trennung der Familie durch den Vollzug der Abschiebung herbeiführen wird. Dem ist ein Verständnis der Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde vorzuziehen, das solche dem Gesetzeszweck zuwiderlaufende Konsequenzen vermeidet, selbst wenn dadurch die besondere Sachkunde des Bundesamts für diese Sachverhalte nicht mehr zuständigkeitsbegründend wirkt, sondern nur –wie auch sonst –von der Ausländerbehörde im Wege der Amtshilfe herangezogen werden kann.

Danach hat das Berufungsgericht die Klagabweisung durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht bestätigt. Der Bescheid des Bundesamts ist insgesamt bestandskräftig. Rechtserhebliche Nachteile folgen für die Kläger hieraus auch insoweit nicht, als es bei der (negativen) Feststellung des Bundesamtes verbleibt, daß keine Abschiebungshindernisse bestehen. Denn diese Feststellung bezieht sich nach der vorstehend dargelegten Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde nicht auf mittelbare, im Heimatstaat der Kläger etwa auftretende trennungsbedingte Gefahren. Über solche wird daher zu gegebener Zeit die Ausländerbehörde –insoweit ohne Bindung durch die Feststellung des Bundesamts –zu entscheiden haben, falls erneut eine Ausreisepflicht der Kläger entsteht und durchgesetzt werden soll.

Nach allem kann auch die Verfahrensrüge der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Mit ihr beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht die von den Klägern beantragte Beweisaufnahme nicht durchgeführt hat. Selbst wenn das Berufungsgericht nach seiner insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Sichtweise zu den von den Klägern beantragten Beweisaufnahmen oder zu einer entsprechenden weiteren Sachverhaltsaufklärung verpflichtet gewesen wäre, erwiese sich die Zurückweisung der Berufung im Ergebnis dennoch als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn die Beweisanträge der Kläger zielten überwiegend auf die Klärung trennungsbedingter Gefahren im Iran, über die vom Bundesamt nicht zu entscheiden ist. Soweit die Kläger mit einem Teil der Beweisanträge – was nicht eindeutig ist –Eingriffe des Iran in das Familienleben für den Fall ihrer Rückkehr mit den Eltern unter Beweis gestellt haben sollten, käme es auch darauf nicht an. Denn bei der gebotenen Gefahrenprognose, ob Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG vorliegen, ist –wie ausgeführt –von einer Rückkehr der Kläger ohne ihre Eltern in den Iran auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, hinsichtlich des erledigten Teils der Klage auf § 161 Abs. 2 VwGO. Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen, wobei der bisherige Sachund Streitstand zu berücksichtigen ist. Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist hier dadurch eingetreten, daß die Ausländerbehörde den Klägern während des Berufungsverfahrens befristete Aufenthaltsbefugnisse erteilt hat. Dies hat zur Erledigung der Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts geführt (vgl. zum alten Recht: BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1979 –BVerwG 1 C 63.77 – Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 17). Denn durch die Gewährung des mit der befristeten Aufenthaltsbefugnis verbundenen ausländerrechtlichen Bleiberechts ist die Ausreisepflicht der Kläger entfallen, deren Vollstreckung die Abschiebungsandrohung vorbereiten sollte. Dies gilt unabhängig davon – und bedarf deshalb auch keiner Entscheidung –, ob die Ausreisepflicht der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses während des Berufungsverfahrens nur „latent” (vgl. § 38 Abs. 1, § 75, § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG) oder möglicherweise im Hinblick auf den bereits erfolgten Abschluß des Verfahrens, soweit es das Asylbegehren und den Antrag zu § 51 Abs. 1 AuslG betraf, bereits aktuell bestanden hat. In jedem Fall ist mit der Ausreisepflicht auch die Grundlage der Abschiebungsandrohung entfallen. Die auf die ursprüngliche Ausreisepflicht zielende und mit ihrem Wegfall erledigte Abschiebungsandrohung kann für eine neu entstehende Ausreisepflicht grundsätzlich nicht erneut als Vollstreckungsmaßnahme genutzt werden (für den Sonderfall der kurzfristigen Gestattungswirkung eines Asylgesuchs vgl. Beschluß vom 3. Dezember 1997 –BVerwG 1 B 219.97 –Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 11). Da die Beklagte dieses erledigende Ereignis nicht durch eigene Willensentschließung herbeigeführt hat, erscheint es dem Senat billig, für die Kostenverteilung dem voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses maßgebliche Bedeutung beizumessen und die Kosten des Rechtsstreits insoweit den Klägern aufzuerlegen. Denn vor Eintritt des erledigenden Ereignisses wäre die Klage gegen die Abschiebungsandrohung abzuweisen, mithin die Revision auch insoweit zurückzuweisen gewesen, weil der Abschiebungsandrohung keine vom Bundesamt zu prüfenden zwingenden Abschiebungshindernisse entgegenstanden. Danach kann es bei dem Kostenausspruch erster und zweiter Instanz verbleiben.

Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 Satz 1 AsylVfG.

 

Unterschriften

Seebass, Hund, Richter Beck, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

BVerwGE

BVerwGE, 305

FamRZ 2000, 480

NVwZ 2000, 25

DÖV 2000, 609

InfAuslR 2000, 93

ZAR 2000, 86

AuAS 2000, 60

DVBl. 2000, 419

VA 2000, 37

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