Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisanträge, Ablehnung formeller –. Beweisaufnahme, Unmittelbarkeit, Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Ernennung, Rücknahme einer –. Kenntnis des Rücknahmegrundes. Begriff der arglistigen Täuschung, Kausalität. Personalrat, keine Beteiligung bei Rücknahme einer Ernennung

 

Leitsatz (amtlich)

Rücknahme einer Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit wegen arglistiger Täuschung

 

Normenkette

VwGO §§ 86, 96, 139 Abs. 2 S. 2; HBG § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2; HPVG § 64

 

Verfahrensgang

Hessischer VGH (Urteil vom 01.06.1983; Aktenzeichen I OE 60/81)

VG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 22.07.1981; Aktenzeichen III/V E 259/77)

 

Tenor

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs von 1. Juni 1983 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Der Minister für Justiz ernannte den Kläger an 15. Dezember 1970 unter Berufung in das Richterverhältnis auf Probe zum Richter auf Probe und bestellte ihn zugleich zum Hilfsstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht.

Der Leiter der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht gab wiederholt Dienstleistungszeugnisse über den Kläger ab. Ebenso wie im Dienstleistungsbericht vom Oktober 1971 bewertete er im Dienstleistungsbericht vom Mai 1972 Befähigung und Persönlichkeit des Klägers positiv. Er schränkte jedoch diese Berichte dahin ein, daß der Kläger es immer noch nicht verstanden habe, seine Arbeitskraft gleichmäßig allen Verfahren seines Dezernats zu widmen. Hinweise, sich unter Zurückstellung der eigenen Ermittlungstätigkeit mit besonderem Nachdruck der hohen Zahl noch nicht abgeschlossener Verfahren zu widmen, hätten nur bis November 1971 einen in der Statistik sichtbaren Niederschlag gefunden. Seit diesem Zeitpunkt sei die Zahl der offenen Verfahren und Sechsmonatsreste wieder angestiegen. Im September 1972 berichtete der Leiter der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht dem Minister der Justiz, daß der Umfang des Arbeitsergebnisses des Klägers noch immer nicht befriedige. Er habe ihn erneut darauf hingewiesen, daß auch bei Berücksichtigung der günstigen Wertungen das Leistungsbild stets dadurch negativ beeinträchtigt werde, daß die Zahl der Verfahrensabschlüsse zu gering sei und daß seine Weiterbeschäftigung in Frage gestellt sein werde, wenn die bestehenden Schwierigkeiten nicht vollends behoben werden könnten.

Das Dienstleistungszeugnis vom September 1973 stellt bei dem Kläger seit den letzten Dienstleistungszeugnis vom April 1973 eine bemerkenswerte rückläufige Tendenz in der Zahl der offenen Verfahren und der Sechsmonatsreste fest. Der Abteilungsleiter des Klägers äußerte in März 1974, daß sich die Beobachtungen über Arbeitsweise und Arbeitsergebnis des Klägers im Berichtszeitraum erfreulicherweise bestätigt hätten. Er befürwortete nunmehr uneingeschränkt die Berufung des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. In dem Dienstleistungsbericht vom März 1974 stellte der Leiter der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht unter Bezugnahme auf diese Äußerung fest, daß die Arbeitsweise des Klägers nunmehr seine Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit rechtfertige. Der Ministerpräsident ernannte den Kläger daraufhin im Juni 1974 unter Berufung in des Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Staatsanwalt. Der Minister der Justiz übertrug ihm das Amt eines Staatsanwalts bei einer Staatsanwaltschaft bei einem Landgericht und entließ ihn mit seinem Einverständnis aus dem Richterverhältnis auf Probe.

Während eines längeren Urlaubs des Klägers entdeckte der Abteilungsleiter am 21. Mai 1976 auf der Suche nach einem bestimmten Aktenvorgang im Dienstzimmer des Klägers in Schrank hinter der Robe zwei Stapel mit insgesamt 37 zumeist nach unerledigten Akten. Nach Rückkehr des Klägers aus dem Urlaub wurden bei einer Nachschau in seiner Wohnung am 7. Juli 1976 135 unerledigte Akten und etwa 1 100 Blatt unerledigte und nicht zu den Akten genommene Posteingänge gefunden. Bei Durchsicht der wiener in den Geschäftsgang gegebenen Ermittlungsakten kam bei den Dienstvorgesetzten der Verdacht auf, daß der Kläger die Erledigung von Ermittlungsverfahren vorgetäuscht habe, um vor der Ernennung auf Lebenszeit ein besseres Arbeitsergebnis vorweisen zu können.

Nach Anhörung des Klägers nahm der Minister der Justiz durch Erlaß vom 7. Januar 1977 die Ernennung des Klägers zum Staatsanwalt auf Lebenszeit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen BeamtengesetzesHBG – mit der Begründung zurück, daß diese Ernennung durch arglistige Täuschung herbeigeführt worden sei. Dem Kläger sei wiederholt mit aller Deutlichkeit erklärt worden, daß eine Ernennung zum Staatsanwalt auf Lebenszeit nicht in Betracht komme, wenn seine schleppende Arbeitsweise weiterhin zu beanstanden sei und sich die Zahl seiner Erledigungen nicht merklich vergrößere. Er habe eine größere Zahl von Erledigungen angegeben als er tatsächlich erledigt habe. Ohne die Täuschung wäre diese Ernennung unterblieben.

Der Kläger hat nach erfolglosem Widerspruch Klage in Verwaltungsstreitverfahren erhoben mit dem Antrag,

den Erlaß des Hessischen Ministers der Justiz vom 7. Januar 1977 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1977 aufzuheben.

Das Verwaltungsgericht hat nach Beweiserhebung die Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:

Die Rücknahme der Ernennung habe nicht der Beteiligung des Staatsanwaltsrats bedurft. Die Frist zur Rücknahme der Ernennung gemäß § 15 Abs. 2 HBG sei gewahrt. Die vom Verwaltungsgericht festgestellten 25 Fälle, in denen der Kläger vor seiner Ernennung unrichtige Elrledigungseintragungen in der Js-Kartei veranlaßt habe, stellten eine arglistige Täuschung der an der Ernennung beteiligten Beamten, dar. Sie reichten nach Anzahl, Bedeutung und Zeitpunkt der Täuschungshandlung aus, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Nr. 1 HBG als erfüllt anzusehen. Es komme deshalb nicht darauf an, ob sie in weiteren 10 Fällen, wie der Beklagte meine, ebenfalls erfüllt seien.

Die Täuschungshandlungen seien für die Ernennung des Klägers zum Staatsanwalt im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ursächlich gewesen, weil sie nicht nur in 18 Fällen bis zu seiner Ernennung verhinderten, daß diese in die Sechsmonatsresteliste gekommen seien, sondern auch die Zahl der offenen Verfahren allgemein verändert hätten. Die an der Ernennung des Klägers beteiligten Beamten hätten bei Kenntnis der wahren Sachlage die Ernennung nicht herbeigeführt. Dies ergebe sich aus den Dienstleistungsberichten sowie aus dem Vermerk vom 5. Juli 1977 in den Akten des Ministers der Justiz, betreffend die Rücknahme der Ernennung, sowie aus dem Widerspruchsbescheid. In dem Vermerk sei festgehalten, daß der Leitende Oberstaatsanwalt den Kläger auch dann nicht zur Ernennung vorgeschlagen und ihm die Ernennungsurkunde ausgehändigt hätte, wenn die Zahl der als erledigt vorgetäuschter. Verfahren weniger als 22 betragen hätte. Der Widerspruchsbescheid sei vom Staatssekretär unterschrieben und vom Minister vor Abgang gebilligt worden. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag zu 4) sei danach unerheblich, weil die für die Ernennung maßgeblichen Personen ihre Auffassung zur Kausalitätsfrage bereits im Widerspruchsverfahren eindeutig – und für den Senat überzeugend – zum Ausdruck gebracht hätten.

Zwischen den Täuschungshandlungen des Klägers und der Irrtumserregung bei den an seiner Ernennung beteiligten Beamten bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang. Der Kläger habe zwar auf die Geschäftsstellenbediensteten eingewirkt und sie veranlaßt, in die Js-Karteikarten die Erledigung von Ermittlungsverfahren einzutragen, die tatsächlich nicht erledigt gewesen seien. Diese Täuschungshandlungen seien jedoch gezielt gegenüber den an der Ernennung des Klägers beteiligten Beamten erfolgt.

Die Leistungen des Klägers seien gemessen am Durchschnitt offenkundig mangelhaft gewesen. Selbst wenn von anderen Dezernenten nicht immer sachgerechte Erledigungen angezeigt worden sein sollten, so rechtfertige dieser Umstand nicht, daß der Kläger in Fällen Erledigungen vorgetäuscht habe, in denen noch nicht einmal in diesem formalen Sinn eine Erledigung vorgelegen habe. Er habe genau gewußt, daß die von ihm in 25 Fällen praktizierte Art der „Erledigung” von den an seiner Ernennung beteiligten Personen nicht anerkannt worden wäre. Nur dadurch, daß diesen die Unrichtigkeit der Eintragung unbekannt gewesen sei, seien sie davon ausgegangen, der Kläger erfülle nunmehr auch rein zahlenmäßig die an eine Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zu stellenden Anforderungen.

Das Berufungsgericht sei nach dem vorliegenden Beweisergebnis davon überzeugt, daß der Kläger keinen der maßgeblichen 25 Fälle im Zeitpunkt des Erledigungseintrags einer Erledigung zugeführt habe. Bezüglich des angeblichen Abhandenkommens von Abschlußverfügungen sei dem Kläger u.a. entgegenzuhalten, daß er in keinem Falle einen Aktenvermerk gefertigt habe, obwohl er dies unstreitig in zahlreichen Fällen getan habe, in denen er den Kanzleien und Geschäftsstellen habe Unkorrektheiten nachweisen wollen. Es habe keine Veranlassung bestanden, den weiteren Beweisanträgen des Klägers nachzugehen.

Der Kläger hat die vom erkennenden Senat wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassene Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 1983 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. Juli 1981 sowie den Erlaß des Hessischen Ministers der Justiz vom 7. Januar 1977 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1977 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger hat nicht nur Verfahrensrügen erboben, sendern auch Verletzung materiellen Rechts gerügt. Diese Rüge genügt entgegen der Auffassung des Beklagten in der Revisionserwiderung den formellen Anforderungen des § 139 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Er hat mit näheren Ausführungen geltend gemacht, daß das Berufungsgericht bei der Beweiswürdigung Erfahrungssätze und Denkgesetze verletzt habe. Damit hat er eine Rüge der Verletzung sachlichen Rechts erhoben (vgl. Beschlüsse vom 7. Januar 1974 – BVerwG 2 B 58.73 – [Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 117] und vom 2. September 1977 – BVerwG 7 B 15.76 – [Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 35] jeweils m.w.Nachw.). Ferner hat er unter Heranziehung von § 14 Abs. 1 Nr. 1 und § 15 Abs. 2 Satz 1 des Hessischen BeamtengesetzesHBG – dem sachlichen Recht zuzuordnende Rechtsausführungen gemacht. Die Revision konnte diese Rüge auf Grund der Zulassung durch den Senat erheben, weil hierdurch das Rechtsmittel in vollem Umfange, also ohne Beschränkung auf den zur Zulassung führenden Grund freigegeben wurde (vgl. u.a. BVerwGE 14, 342 [344]; Urteil vom 17. März 1977 – BVerwG 7 CB 47.76 – [Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 50]). Das angefochtene Urteil ist hiernach unter allen materiellrechtlichen Gesichtspunkten nachzuprüfen (§ 137 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung sind die Regelungen des § 14 Abs. 1 Nr. 1 und des § 15 Abs. 2 HBG in der mit der früheren Fassung übereinstimmenden Fassung vom 14. Dezember 1976 (GVBl. 1977 I. S. 42). Hiernach ist eine Ernennung zurückzunehmen, wenn sie u.a. durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 HBG muß in den Fällen des § 14 die Ernennung innerhalb einer Frist von sechs Monaten zurückgenommen werden, nachdem die oberste Dienstbehörde von der Ernennung und dem Grund zur Rücknahme Kenntnis erlangt hat.

Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Frist des § 15 Abs. 2 Satz 1 HBG für die Rücknahme der Ernennung gewahrt ist. Maßgebend für den Beginn der Frist ist die sichere Kenntnis der Voraussetzungen einer Rücknahme, bei einer Rücknahme wegen arglistiger Täuschung gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 HBG wie im vorliegenden Falle also die sichere Kenntnis von allen objektiven und subjektiven Tatumständen der Arglistigkeit der Täuschung. Selbst schuldhafte Unkenntnis steht der Kenntnis nicht gleich. Vermutungen oder ein Verdacht genügen nicht (vgl. BVerwGE 13, 156 [161]; 16, 340 [342]; 17, 1 [2]; Beschluß vom 16. Oktober 1979 – BVerwG 2 B 61.79 – [Buchholz 237.1 Art. 15 BayBG Nr. 3] zu entsprechenden Regelungen des Bundes und der Länder; Fürst, GKÖD I, K § 13 Rz 11). Nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen, das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) führten die Ermittlungen des Beklagten erst weniger als sechs Monate vor den Zugang des Erlasses über die Rücknahme der Ernennung zu einer, den Verdacht bestätigenden Ergebnis.

Einer Beteiligung des Staatsanwaltsrats an der Rücknahme der Ernennung bedurfte es nicht. Das Hessische Personalvertretungsgesetz – HPVG – in der hier anzuwendenden Fassung vom 19. Februar 1970 (GVBl. I S. 162), das gemäß §§ 78 a Abs. 3, 25 Abs. 2 des Hessischen Richtergesetzes von 19. Oktober 1962 (GVBl. I S. 455) – HRiG –, u.a. geändert durch das Gesetz über die Personalvertretung der Staatsanwälte vom 17. März 1970 (GVBl. I S. 278), für den Staatsanwaltsrat entsprechend gilt, enthält eine zwingende und erschöpfende Aufzählung der Zuständigkeiten des Personalrats – hier des Staatsanwaltsrats – in Personalangelegenheiten (vgl. BVerwGE 6, 220 [222]; Fürst, GKÖD V, K § 76 Rz 4). Danach beschränkt sich die Mitbestimmung u.a. auf die Einstellung, Anstellung, Beförderung und Entlassung nach Maßgabe des § 64 Abs. 1 Nr. 1 a und e HPVG. Die an enge, gesetzlich abschließend geregelte Voraussetzungen geknüpfte Rücknahme einer Ernennung ist im Gesetz nicht aufgeführt und unterliegt mithin nicht der Mitbestimmung (Fürst, GKÖD V, K § 76 Rz 8).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Frage, ob er bei einer Rücknahme der Ernennung zum Staatsanwalt unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit gemäß § 12 Abs. 2 des Deutschen RichtergesetzesDRiG – erneut zum Staatsanwalt in Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ernannt werden müßte, nicht entscheidungserheblich. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die (rückwirkende) Rücknahme der früheren Ernennung, nicht ein etwaiger Anspruch auf eine zukünftige neue Ernennung. – Im übrigen hat das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt, daß der bei der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit noch nicht verstrichene Zeitraum von fünf Jahren seit der Berufung in das Richterverhältnis auf Probe jedenfalls erst nach rechtskräftiger Entscheidung über die Rücknahme wieder laufen könnte (vgl. auch BVerwGE 10, 75 [80]; 26, 228 [231 f.]; 41, 75 [78 ff.]; Fürst, GKÖD I, K § 9 Rz 17; Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, BayBG –, Art. 11 Erl. 7). Eine Erörterung, welche Bedeutung der Entlassung des Klägers mit dessen Einverständnis aus dem Richterverhältnis auf Probe durch Erlaß vom 14. Juni 1974 zukommt, erübrigt sich.

Eine arglistige Täuschung gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 HBG und den entsprechenden Vorschriften des Bundes und der Länder liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn der Ernennende durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewußt war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, jedoch in Kauf nahm, oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen bei einem an der Ernennung maßgeblich beteiligten Bediensteten der Ernennungsbehörde einen Irrtum in dem Bewußtsein hervorrief, diesen durch Täuschung zu einer günstigen Entschließung zu bestimmen. Unrichtige Angaben sind stets eine Täuschung, unabhängig davon, ob die Ernennungsbehörde hiernach gefragt hat oder nicht. Das Verschweigen von Tatsachen ist eine Täuschung, wenn die Ernennungsbehörde nach Tatsachen gefragt hat oder der Ernannte auch ohne Befragung weiß oder in Kauf nimmt, daß die verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Ernennungsbehörde erheblich sind oder sein können. Eine arglistige Täuschung liegt nach alledem darin vor, wenn der Täuschende erkennt und in Kauf nimmt, daß die Ernennungsbehörde auf Grund seines Verhaltens für sie wesentliche Umstände als gegeben ansieht, die in Wahrheit nicht vorliegen oder – umgekehrt – der Ernennung hinderliche Umstände als nicht gegeben ansieht, obwohl solche in Wahrheit vorliegen (BVerwGE 13, 156 [158]; Urteile von 11. März 1965 – BVerwG 2 C 47.62 – [Buchholz 232 § 12 BBG Nr. 11], vom 25. November 1965 – BVerwG 2 C 201.62 – [Buschholz 232 § 12 BBG Nr. 13], von 14. November 1969 – BVerwG 6 C 10.66 – [ZBR 1970, 87] und vom 28. Oktober 1970 – BVerwG 6 C 129.67 – [Buchholz 237.1 Art. 14 BayBG 60 Nr. 2]).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist auf Grund der das Revisionsgericht mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß der Kläger vor seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit durch von ihm veranlaßte unrichtige Erledigungserklärungen in der Js-Kartei an seiner Ernennung beteiligte Beamte arglistig getäuscht und bei ihnen einen entsprechenden Irrtum über die Zahl der in seinen Dezernat erledigten Ermittlungsverfahren hervorgerufen hat, um sie zu einer ihm günstigen Entscheidung zu bestimmen.

Das Verbringen der Revision, die von Beklagten erst in der Klageerwiderung zur Begründung der Rücknahme herangezogenen Verfahren hätten nicht berücksichtigt werden dürfen, weil sie erst nach Erlaß des Widerspruchsbescheides bekanntgeworden seien, greift nicht durch. Auch diese Verfahren betreffen unrichtige Erledigungserklärungen vor der Ernennung des Klägers zum Beamten auf Lebenszeit. Sie sind für die unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Tatsachen zu prüfende Prags, ob er die Ernennung durch eine arglistige Täuschung herbeigeführt hat, bedeutsam. Die Revision, die unter Heranziehung des § 15 Abs. 2 Satz 1 HBG meint, daß diese Verfahren für die Rücknahme der Ernennung nicht maßgebend gewesen seien, läßt außer acht, daß allein ihr Einfluß auf die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bedeutsam ist, während § 15 Abs. 2 Satz 1 HBG lediglich die Rechtzeitigkeit der Rücknahme betrifft. – Die Begründung eines den formellen Anforderungen genügenden Verwaltungsaktes kann auch noch nachträglich – nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens im Verwaltungsstreitverfahren – ergänzt werden. Ein Nachschieben von Gründen ist zulässig, wenn die nachträglich vorgebrachten Gründe – wie hier – schon bei Erlaß des streitigen Verwaltungsaktes vorlagen, dieser durch sie nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (BVerwGE 61, 200 [210]; 64, 356 [358]). Es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision selbst nicht behauptet, daß sich die angefochtenen Verwaltungsakte durch diese Begründung verändert haben und der Kläger durch sie in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt worden sein könnte. Der Beklagte hat vielmehr lediglich sein bisheriges Vorbringen weiter erläutert.

Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die im einzelnen begründete Auffassung des Berufungsgerichts, daß in keinem der im vorliegenden Vewaltungsstreitverfahren maßgeblichen 25 Fälle Abschlußverfügungen des Klägers abhandengskommen seien, auch bei der Staatsanwaltschaft insbesondere in den Jahren 1973 und 1974 in einer Reihe von Fällen die lose in der jeweiligen Akte befindlichen Abschlußverfügungen in schriftlicher oder auf Tonträger diktierter Form im Geschäftsgang verlorengegangen seien. Diese Angriffe berücksichtigen nicht, daß die Beweiswürdigung auf Grund des § 137 Abs. 2 VwGO der Überprüfung durch das Revisionsgericht weitgehend entzogen ist. Diese ist vom Revisionsgericht nur auf die Verletzung allgemein gültiger Würdigungsgrundsätze zu überprüfen, zu denen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die allgemeinen Erfahrungssätze und die Denkgesetze gehören (vgl. hierzu BVerwGE 47, 330 [361]). Ein derartiger Verstoß ist nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn ein tatsächlicher Schluß aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht aber schon dann, wenn das Tatsachengericht einen nach Meinung der Revision unrichtigen oder fernliegenden, gleichwohl aber möglichen Schluß gezogen hat (BVerwGE 47, 330 [361]; Beschluß vom 12. Dezember 1975 – BVerwG 6 CB 55.75 – [Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 50] und von 2. September 1977 – BVerwG 7 B 15.76 – [a.a.O.] sowie Urteil vom 10. August 1978 – BVerwG 2 C 36.77 –). Selbst wenn die vom Berufungsgericht herangezogenen Umstände, insbesondere auch das eigene Vorbringen des Klägers und seine Einlassungen, die in dem angefochtenen Urteil hieraus gezogenen Schlußfolgerungen nicht zwingend gebeten, wie der Kläger meint, so waren sie doch nicht denkgesetzlich unmöglich.

Der Irrtum der an der Ernennung des Klägers zum Beamten auf Lebenszeit maßgeblich beteiligten Bediensteten des Beklagten über die Erledigung dar hier maßgeblichen 25 Verfahren ist durch den Kläger hervorgerufen worden, auch wenn er die Eintragungen in der Js-Kartei nicht selbst vorgenommen hat, sondern die Geschäftsstellenbediensteten auf seine Veranlassung. Wie das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat, sammelten diese die Erledigungszahlen, die für sie belanglos waren, lediglich für die Dienstvorgesetzten des Klägers, die sich ihrer bedienten, um die Erledigungszahlen und Sechsmonatsreste der Dezernenten in Erfahrung zu bringen, insbesondere auch derjenigen, die zur Ernennung als Beamte auf Lebenszeit anstanden. Eine unmittelbare Einwirkung des Klägers war für die Irrtumserregung nicht erforderlich. Eine Täuschung liegt auch vor, wenn unrichtige Tatsachen – wie hier – unbeteiligten Dritten vorgespiegelt werden, der Täuschende aber weiß, daß der zu Täuschende auf diese für ihn bestimmten und maßgeblichen Angaben zurückgreifen wird (vgl. hierzu auch die Rechtsprechung zur mittelbaren Täterschaft im Strafrecht: Schönke/Schröder, StGB, 21. Aufl., § 25 Rz 6 ff.; § 263 Rz 180; OLG Stuttgart, Urteil vom 10. November 1961 – 1 Ss 767/61 – [NJW 1962, 502]). Auf diese Weise hat der Kläger gezielt die an seiner Ernennung beteiligten Beamten getäuscht in dem Bewußtsein, daß dies für ihre Entscheidung über seine Ernennung bedeutsam sein werde.

Hinsichtlich der Kausalität zwischen der Täuschungshandlung und der Ernennung bei Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 HBG ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Recht davon ausgegangen, daß allein rechts erheblich ist, ob die Ernennungsbehörde ohne die Täuschung tatsächlich, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer damaligen Verwaltungspraxis, von der Ernennung des Klägers zum Beamten auf Lebenszeit abgesehen haben würde. Insoweit hat jedoch das Berufungsgericht durch Ablehnung des von Kläger in der mündlichen Verhandlung unter Verlesen des Schriftsatzes vom 1. Juni 1983 förmlich gestellten Beweisantrages zu 4) als unerheblich § 86 Abs. 1 und 2 und § 96 VwGO verletzt. Mit diesem Antrag hat der Kläger den Abteilungsleiter Oberstaatsanwalt W., den damaligen Behördenleiter Oberstaatsanwalt Dr. R. und den damaligen Justizminister H. als Zeugen für Peine Behauptung benannt, der Leiter der Staatsanwaltschaft Frankfurt hätte im Jahre 1974 den Kläger auch im Falle der Kenntnis des aus der Sicht des beklagten Landes wahren statistischen Sachverhalts, d.h. auch im Falls von 25 oder 3,1 % weniger statistischen Erledigungen in Jahres durchschnitt, für die Ernennung zum StA auf Lebenszeit vorgeschlagen und der Justizminister hätte ihn daraufhin auch ernannt, da der Umfang der Arbeitsleistung des Klägers auch bei 3,1 % weniger statistischen Erledigungen im Vorgleich zur statistischen Arbeitsleistung anderer, zur gleichen Zeit auf Lebenszeit ernannter Staatsanwälte mindestens gleich groß war”. Diesen Verfahrensmangel hat er in der Revisionsbegründungsschrift in einer den Anforderungen des § 139 Abs. 2 Satz 2 VwGO genügenden Weise gerügt.

Beweisanträge können nur abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel – ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung – untauglich ist (BVerwGE 39, 36 [37], Urteil vom 28. Juli 1977 – BVerwG 3 C 17.74 – [Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 111] jeweils mit weiteren Nachweisen). Insbesondere die Wahrunterstellung einer Beweistatsache berechtigt die Tatsacheninstanz nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ablehnung des angebotenen Beweises; auf eine Beweistatsache kommt es nicht an, wenn der unter Beweis gestellte Sachverhalt für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich ist (BVerwGE 39, 36 [37]). Für den Umfang der Sachaufklärungspflicht ist dabei die materiellrechtliche Auffassung des Tatsachengerichts maßgebend, und zwar selbst dann, wenn diese Auffassung rechtlich bedenklich sein sollte (vgl. u.a. Urteil vom 27. Mai 1982 – BVerwG 2 C 50.80 – [NJW 1983, 187 (189)]; Beschlüsse vom 31. Oktober 1972 – BVerwG 2 B 6.72 – [Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 95] und vom 2. März 1978 – BVerwG 6 B 24.78 – [Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 164]). Um eine unerhebliche Tatsache handelt es sich – wie sich aus den vorangehenden Ausführen ergibt –, bei dem Beweisantrag des Klägers zu 4) nicht.

Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag auch nicht als unerheblich angesehen, sondern ihn abgelehnt, weil es schon vom Gegenteil der unter Beweis gestellten Behauptung überzeugt war. Es ist auf Grund der für den Kläger abgegebenen Dienstleistungszeugnisse, des Vermerks vom 5. Juli 1977 in den Akten des Ministers der Justiz betreffend die Rücknahme der Ernennung, sowie auf Grund des vom Staatssekretär unterschriebenen und vom Minister vor Abgang gebilligten Widerspruchsbescheides zu den im einzelnen begründeten Ergebnis gelangt, daß der Leitende Oberstaatsanwalt Dr. R. den Kläger auch dann nicht zur Ernennung vorgeschlagen und ihm die Ernennungsurkunde ausgehändigt hätte, wenn die Zahl der als erledigt vorgetäuschten Verfahren weniger als 22 betragen hätte; die für die Ernennung maßgeblichen Personen hätten ihre Auffassung zur Kausalitätsfrage bereits im Widerspruchsverfahren eindeutig – und für den Senat überzeugend – zum Ausdruck gebracht. Eine solche Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist jedoch unzulässig und verstößt gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. hierzu Urteile vom 29. Februar 1972 – BVerwG 3 C 106.70 – [Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 11] und von S. Februar 1983 – BVerwG 9 C 598.82 – [Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 2] m.w.Nachw.). Auch die Unwahrscheinlichkeit einer behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache rechtfertigt es nicht, auf eine Beweisaufnahme zu verzichten. Um einen unsubstantiierten Beweisantrag oder um untaugliche Beweismittel, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Verfahrensweise des Berufungsgerichts hätten rechtfertigen kennen (vgl. auch hierzu Urteil vom 8. Februar 1983 – BVerwG 9 C 598.82 – [a.a.O.]), handelte es sich ebenfalls ersichtlich nicht. – Das Tatsachengericht ist zwar nicht gehindert, die Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen auf den Inhalt ihm vorliegender und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachter Akten zu stützen – u.a. auch darauf, daß der Minister vor Abgang des Widerspruchsbescheides von diesem Kenntnis genommen hat –, sofern ihm dies zur Überzeugung von der Richtigkeit der Tatsachen ausreicht. Diese Verwertung, hier insbesondere die Verwertung des Vermerks über ein mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. R. geführtes Telefongespräch, findet aber bei förmlich beantragten Zeugenvernehmungen wie in vorliegenden Fall ihre Grenze (vgl. hierzu Beschlüsse von 16. Juli 1980 – BVerwG 2 B 48.79 – und vom 3. September 1980 – BVerwG 2 B 63.79 – [Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 130]; vgl. auch Redeker/von Oertzen, VwGO, 7. Aufl., § 98 Anm. 21 unter Hinweis auf § 98 VwGO und § 377 ZPO sowie Urteil vom 29. November 1979 – BVerwG 2 C 20.79 –).

Das hiernach auf einer Verletzung der angeführten Verfahrensvorschriften beruhende Urteil des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Eine abschließende Entscheidung über die Klage ist auf Grund der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht möglich. Diese erfordert vielmehr eine weitere Aufklärung. Da das Revisionsgericht diese Aufklärung nicht selbst vornehmen kann, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Fischer, Dr. Franke, Dr. Lemhöfer, Sommer, Dr. Müller

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1213617

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