Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrkartenverkäuferin der Bahn. unrechtmäßige Belastung eines Bahnkunden mit 98 DM zum Ausgleich eines Kassenfehlbetrages. Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt. Milderungsgrund der Geringwertigkeit anerkannt – jetzt bei etwa 50 EUR  –. Disziplinarmaß: Degradierung

 

Leitsatz (amtlich)

Die obere Wertgrenze für den Milderungsgrund der Geringwertigkeit, der bei einem Zugriffsdelikt oder einem gleichzustellenden Fehlverhalten zum Absehen von der Entfernung aus dem Dienst führen kann, wird mit etwa 50 EUR bemessen (Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung).

 

Normenkette

BBG § 54 Sätze 2-3, § 55 S. 2, § 77 Abs. 1 S. 1; StGB § 248a

 

Verfahrensgang

BDIG (Urteil vom 23.10.2001; Aktenzeichen X VL 17/01)

 

Tenor

Auf die Berufung der Bundesbahnobersekretärin … wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer X – … –, vom 23. Oktober 2001 im Disziplinarmaß aufgehoben.

Die Beamtin wird in das Amt einer Bundesbahnsekretärin der Besoldungsgruppe A 6 des Bundesbesoldungsgesetzes versetzt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der der Beamtin hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

 

Tatbestand

I.

1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat die Beamtin angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass sie

am 20.11.1999 während ihrer Tätigkeit als Fahrkartenverkäuferin einen falschen, gegenüber dem korrekten Verkaufspreis um 98 DM erhöhten Kreditkarten-Verkaufs-Beleg erstellte, die Unterschrift des Kunden hierauf fälschte und den erhöhten Betrag dem Konto des Kunden belastete, um so einen von ihr verursachten Kassenfehlbetrag in gleicher Höhe zu vertuschen.

2. Das Bundesdisziplinargericht hat die Beamtin durch Urteil vom 23. Oktober 2001 aus dem Dienst entfernt und ihr einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 v.H. ihres erdienten jeweiligen Ruhegehalts auf die Dauer von neun Monaten bewilligt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Die Beamtin war zur Tatzeit bei der DB Reise & Touristik AG, Filiale D.…, beschäftigt. Am 20. November 1999 hatte sie in der Zeit von 14.30 Uhr bis 21.30 Uhr im Reisezentrum D.… als Fahrkartenverkäuferin Dienst zu leisten. Gegen 18.25 Uhr kaufte ein Kunde bei ihr verschiedene Fahrkarten und Zuschläge im Gesamtwert von 83,80 DM und bezahlte mit Kreditkarte. Bei ihrem gegen 21.00 Uhr beginnenden Kassenabschluss stellte die Beamtin einen Fehlbetrag in Höhe von 98 DM fest. Sie veranlasste daraufhin eine Gutschrift in Höhe von 83,80 DM zugunsten des Kreditkartenkontos des Kunden, belastete es aber gleichzeitig mit einem Betrag in Höhe von 181,80 DM (Differenz 98 DM). Hierzu stellte sie einen entsprechenden neuen Kreditkartenbeleg aus, nahm diesen zu den Akten und warf die eigentlich für den Kunden bestimmte Durchschrift in ihren Papierkorb. Sie machte auf diesem Beleg die Unterschrift des Kunden, die sie von dem bei ihr verbliebenen alten Beleg her kannte, nach. Auch die erforderliche Ziffernfolge der Kreditkarte entnahm sie dem Originalbeleg. Die 98 DM zahlte die Beamtin am 25. Januar 2000 bar bei ihrer Dienststelle ein, welche sie am 27. Januar 2000 dem Konto des Kunden gutschrieb.

Die Beamtin hat sich vor dem Bundesdisziplinargericht wie folgt eingelassen: Am 20. November 1999 hätten wegen des Endes einer Messe in der Fahrkartenausgabe D.… “chaotische Zustände” geherrscht. Die Kunden hätten in Schlangen bis zur Tür gestanden und es habe auch deswegen eine sehr gereizte Stimmung geherrscht. Ein Kunde sei ihr gegenüber sogar so ausfallend geworden, dass sie sich erst mehrere Minuten lang habe beruhigen müssen und überhaupt nichts mehr habe machen können. Es sei dann ein Kunde erschienen, welcher eine normale Fahrkarte nach Hannover, die etwa 95 DM kostete, gegen ein “Guten-Abend-Ticket” umtauschen wollte. Sie habe daher den normalen Fahrschein zurückgenommen und ihm ein “Guten-Abend-Ticket” ausgehändigt. Dass diese Umtauschaktion im Schichtjournal nicht nachgewiesen sei, spreche nicht gegen ihre Darstellung, da es möglich gewesen sei, dass sie ein “Guten-Abend-Ticket” bereits vorrätig hatte und dieses Ticket dem Kunden nach H.… gab.

Der unmittelbar nachfolgende Kunde habe es sehr eilig gehabt. Er habe mehrere Fahrkarten nach K.… gekauft und bei diesem Verkaufsvorgang müsse sie ihm offenbar auch den Fahrschein nach H.…, den sie von dem vorherigen Kunden erhalten habe, mit ausgehändigt haben. Jedenfalls sei dieser Fahrschein anschließend nicht mehr da gewesen, so dass sie ihn nicht mehr habe zurückbuchen können. Beim Kassenabschluss hätten ihr dann 98 DM gefehlt. Da sie schon am Tag vorher einen Kassenfehlbetrag in Höhe von etwa 100 DM gehabt habe, für den sie selbst habe gerade stehen müssen, müsse sie jetzt einen “Aussetzer” gehabt haben und in einer “Kurzschlusshandlung” die oben beschriebenen Manipulationen vorgenommen haben. Sie wisse nicht, wie es dazu habe kommen können, zumal dem – asiatischen – Kunden ja ohnehin bei der Abrechnung die zu hohe Belastung seines Kreditkartenkontos hätte auffallen müssen.

Allerdings habe sie auch gedacht, der Kunde hole sich sein Geld wieder, weil er ja eine nicht benutzte zusätzliche Fahrkarte gehabt habe und diese habe zurückgeben können. Am nächsten Tag habe sie dem Kunden die 98 DM wieder gutschreiben wollen, sei aber nicht an den Beleg herangekommen, weil dieser im Tresor eingeschlossen gewesen sei. An den darauffolgenden Tagen, als sie wieder an die Belege hätte herankommen können, sei sie erkrankt gewesen und so sei die Sache aufgefallen.

Darüber hinaus hat das Bundesdisziplinargericht festgestellt, dass die Beamtin im August 2000 noch offen stehende Kassenfehlbeträge über einen Gesamtbetrag von 520,50 DM hatte. Diese hatte die Beamtin durch fünf verschiedene Handlungen im Jahr 1999 verursacht. Darüber hinaus hatte sie im Jahr 1999 noch drei weitere, nicht ersatzpflichtige, kleinere Fehlbeträge.

3. Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise der Beamtin als Verstoß gegen die ihr obliegenden Pflichten zur vollen Hingabe an ihren Beruf (§ 54 Satz 1 BBG), zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 54 Satz 3 BBG) sowie zur Beachtung der allgemeinen Richtlinien ihrer Vorgesetzten (§ 55 Satz 2 BBG) und als vorsätzlich begangenes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG gewertet, das so erhebliches Gewicht habe, dass sie nicht länger Beamtin bleiben könne. Ausnahmegründe, die nach ständiger Rechtsprechung ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen könnten, lägen nicht vor.

4. Gegen dieses Urteil hat die Beamtin rechtzeitig Berufung eingelegt und zuletzt beantragt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen. Das Rechtsmittel wird im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Voraussetzungen der Milderungsgründe der einmaligen, unbedachten Augenblickstat sowie der Geringwertigkeit seien gegeben.

Als sie ihre manipulative Handlung vorgenommen habe, habe sie in einer psychischen Ausnahmesituation gehandelt. Die Fälschung der Quittungsbelege zum Ausgleich des Kassenfehlbestandes stelle eine einmalige und persönlichkeitsfremde Augenblickstat dar. Als sie den Kassenfehlbestand festgestellt und rekonstruiert habe, wie es dazu hätte kommen können, sei sie zu einem logischen Handeln nicht mehr in der Lage gewesen. Ihr Tun sei ausschließlich von dem verzweifelten Gedanken getragen gewesen, diesen Fehlbetrag mit allen Mitteln vertuschen zu müssen. Die Vorstellung, wiederum einen Betrag von 98 DM selbst zahlen zu müssen, sei ihr unerträglich erschienen. Jeglicher Beurteilungsmaßstab sei ihr abhanden gekommen. In der Nacht vor der Tat hätte sie lediglich zwei Stunden geschlafen. Sie selbst sei krank gewesen und hätte kurz vor einem Nervenzusammenbruch gestanden. Der Fehlbetrag von 98 DM stelle einen Geldbetrag von lediglich geringer Höhe dar. Ihre Verhaltensweise hätte keine Verletzung von weiteren wichtigen öffentlichen und/oder privaten Interessen zur Folge gehabt. Die fehlerhafte Buchung zu Lasten des Kunden sei durch die schnelle Aufdeckung umgehend ausgeglichen worden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung ist begründet und führt zur Versetzung der Beamtin in ein Amt mit niedrigerem Endgrundgehalt.

1. Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist daher an die erstinstanzlichen Tat- und Schuldfeststellungen und die Bewertung als Dienstvergehen gebunden. Er hat lediglich über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

2. Das Bundesdisziplinargericht hat für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im Ergebnis zu Recht die für ein Zugriffsdelikt geltenden Grundsätze herangezogen. …

Ein Zugriffsdelikt wird nach der Rechtsprechung des Senats dadurch charakterisiert, dass ein Beamter auf Bargeld oder gleichgestellte Werte zugreift und damit den einschlägigen wertmäßigen Bestand seines Dienstherrn unmittelbar verkürzt (vgl. Urteil vom 17. Januar 1995 – BVerwG 1 D 59.94 – Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 1 = DÖD 1995, 196 = BVerwG DokBerB 1995, 121). Dies ist etwa der Fall, wenn der Beamte dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld unterschlägt (stRspr; z.B. Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 1 D 31.98 –). Dies hat die Beamtin vorliegend nicht getan. Vielmehr hat sie durch eine Urkundenfälschung und einen Computerbetrug (§ 263a StGB) das Konto eines Bahnkunden zu Unrecht mit einem Betrag von 98 DM belastet, um einen in gleicher Höhe verursachten Kassenfehlbetrag auszugleichen, für den sie gehaftet hätte. Die Beamtin hat den kassenmäßigen Bestand der Bahn weder unmittelbar noch mittelbar vermindert, sondern durch die Kassenmanipulation zum Nachteil des Bahnkunden die Durchsetzung von Regressansprüchen erschwert. Danach würde die Grundlage für eine Gleichstellung des Fehlverhaltens mit einem Zugriffsdelikt fehlen.

Allerdings vertritt der Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Kassenverfehlung eines Beamten, die dem Ausgleich entstandener Minderbeträge dient, dann dem direkten Zugriff auf amtliche Gelder gleichzustellen ist, wenn der Beamte zum Ersatz der verursachten Fehlsumme verpflichtet ist (Urteil vom 28. Oktober 1997 – BVerwG 1 D 31.96 – BVerwG DokBerB 1998, 131 m.w.N.). Die Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt beruht auf der Erwägung, “dass auch der um Verschleierung von Kassenfehlbeträgen bemühte Beamte Geld seines Dienstherrn seinem eigenen Vermögen jedenfalls mittelbar dadurch zuführt, dass er sich in diesem Umfang seiner Verantwortung und damit seiner persönlichen Haftung entzieht. In dem Bestreben um Freistellung von persönlicher Haftung wird derselbe auf finanziellen Vorteil bedachte egoistische Zug gesehen, der auch dem Zugriff auf amtliche Gelder zugrunde liegt und der den unredlich handelnden Beamten vertrauensunwürdig und für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar macht” (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1997, a.a.O., Urteil vom 27. Februar 1996 – BVerwG 1 D 33.95 – BVerwG DokBerB 1996, 163).

Diese Rechtsprechung greift im vorliegenden Fall insofern nicht, als die Beamtin nicht unmittelbar auf Geld ihres Dienstherrn, sondern durch den Computerbetrug auf das Geld eines Bahnkunden zugegriffen hat. Dies macht jedoch keinen Unterschied, weil das Geld, mit dem der Bahnkunde zu Unrecht belastet worden ist, buchungsmäßig dem Dienstherrn zugeführt wurde, es sich damit um Geld des Dienstherrn handelte, und mit der vorgenommenen Kassenmanipulation ein Ausgleich des zuvor entstandenen Fehlbetrages bewirkt wurde, für den die Beamtin sonst gehaftet hätte. Auch auf einen solchen Fall des betrügerischen Zugriffs auf Kundengelder zum alleinigen Vorteil der Beamtin sind die für ein Zugriffsdelikt geltenden Grundsätze entsprechend anwendbar. Ein Absehen von der Höchstmaßnahme ist danach nur dann möglich, wenn aufgrund bestimmter, von der Rechtsprechung entwickelter Milderungsgründe das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn noch nicht unheilbar zerstört, sondern wieder herstellbar ist.

Der Milderungsgrund der unbedachten, einmaligen Augenblickstat in einer besonderen Versuchungssituation ist nicht gegeben. Das Auftreten von Kassenfehlbeträgen kommt, wie sich auch aus der Einlassung der Beamtin selbst ergibt, bei Kassenbeamten immer wieder vor, ist also ein Vorgang im Rahmen gewohnter, alltäglicher Tätigkeit. Der Milderungsgrund kommt in diesem Zusammenhang nur in Betracht, wenn die Beamtin unter dem Einfluss eines von außen auf ihre Willensbildung einwirkenden Ereignisses in Versuchung geraten wäre, sich in der vorgeworfenen Weise eigennützig zu verhalten. Hierbei muss das Ereignis geeignet sein, bei dem Betroffenen ein gewisses Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit auszulösen (stRspr; vgl. etwa Urteil vom 1. Februar 1995 – BVerwG 1 D 65.93 – Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 3). Auch wenn die Beamtin bereits am Tage zuvor einen Kassenfehlbetrag in Höhe von 100 DM verursachte hatte, konnte die Feststellung eines erneuten Minderbetrages für sie keine so ungewöhnliche Situation darstellen, dass es ihr nicht mehr möglich gewesen wäre, die rechtlichen und tatsächlichen Folgen ihres Verhaltens zu bedenken. Dies gilt auch für ihr angegebenes Motiv, den Fehlbetrag mit allen Mitteln zu vertuschen und zu verhindern, wiederum einen Betrag von 98 DM selbst zahlen zu müssen. Die Beamtin weiß aufgrund ihrer Ausbildung, dass sie für verursachte Fehlbeträge einzustehen hat; sie kann sich hiergegen versichern. Wenn ein derartiger Haftungstatbestand eintritt, ist dies kein Ereignis, das ein kopfloses und unüberlegtes Handeln nach sich zieht. Die Beamtin wollte sich vielmehr auf Kosten Anderer ihrer persönlichen Haftung entziehen.

Auch der Milderungsgrund einer schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation lag nicht vor. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehenen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensverhältnisse des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt. Hierzu reicht die von der Beamtin geschilderte allgemeine nervliche Anspannung durch fehlenden Schlaf, pflegebedürftige Tochter und Schwiegermutter, Verkehrsunfall in der Nacht zum 22. November 1999 und beruflichen Stress nicht aus.

Dagegen kann der Beamtin der Milderungsgrund der Geringwertigkeit zugebilligt werden. Dieser erstmals durch Urteil vom 24. November 1992 – BVerwG 1 D 66.91 – (BVerwGE 93, 314 = NJW 1994, 210 = BVerwG DokBerB 1993, 119) vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Milderungsgrund gestattet ein Absehen von der Entfernung aus dem Dienst, wenn der Wert des Zugriffsobjektes gering ist und durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Interessen verletzt sind. Der Senat nahm den geringen Wert bisher mit etwa 50 DM an, ohne dadurch eine starre Grenze festzusetzen, wie es auch den Grundsätzen zu § 248a StGB entsprach. Der Senat nimmt diesen Wert nunmehr mit etwa 50 EUR an. Bereits im Urteil vom 10. Oktober 2000 – BVerwG 1 D 46.98 – (Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 6) hat der Senat offen gelassen, ob und ggf. in welchem Umfang es angebracht sei, die bisher bei etwa 50 DM angenommene Wertgrenze für die Geringwertigkeit zu erhöhen. Auch bei einem Zugriff auf einen Wert von etwa 50 EUR liegen grundsätzlich noch vertrauenserhaltende Persönlichkeitselemente, eine noch vorhandene Hemmschwelle und ein häufig vermindertes Unrechtsbewusstsein vor im Gegensatz zu einem ungehemmten Zugriff auf höhere Werte. Auch bezüglich der Geringwertigkeitsgrenze des § 248a StGB ist inzwischen ein Wandel in der strafgerichtlichen Praxis eingetreten. Das OLG Zweibrücken hat etwa mit Beschluss vom 18. Januar 2000 – 1 Ss 266/99 – (NStZ 2000, 536) entschieden, dass die Grenze der Geringwertigkeit bei 50 EUR anzusetzen sei. Zuvor hatte bereits das Bundesdisziplinargericht in einem rechtskräftig gewordenen Urteil vom 3. April 1995 – BDiG IX VL 23.94 – (ZBR 1995, 277) einen Betrag von 80 DM noch als geringen Wert im Sinne des Milderungsgrundes angesehen. Auch die neuere strafrechtliche Kommentarliteratur folgt dem neuen Wert, soweit in ihr das Urteil des OLG Zweibrücken einbezogen worden ist (vgl. etwa Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, Rn. 3 zu § 248a).

Voraussetzung für die Anwendung des Milderungsgrundes ist weiter, dass die Beamtin nicht durch ihr sonstiges Verhalten oder die konkrete Tatausführung zusätzlich belastet ist, dass durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Schutzgüter verletzt werden. Mit dieser Voraussetzung sollte in erster Linie die Vertraulichkeit des Inhalts von Post- und Bahnsendungen unabhängig vom Wert ihres Inhalts geschützt bleiben. Eine derartige Fallgestaltung, insbesondere eine Verletzung des Postgeheimnisses, liegt nicht vor. Einschlägige Vorbelastungen, die zur Versagung des Milderungsgrundes führen würden, sind ebenfalls nicht gegeben. Bei der früheren Verursachung von Kassenfehlbeträgen handelt es sich entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts nicht um eine derartige Vorbelastung. Diese Kassenfehlbeträge sind der Beamtin weder disziplinar noch strafgerichtlich angelastet worden. Sie erfüllen in der Regel – so auch hier – keinen Disziplinartatbestand, da sie insbesondere bei der Befassung mit einer Vielzahl von Zahlungsvorgängen leicht auftreten können. Schwerwiegend ist zwar die von der Beamtin begangene Urkundenfälschung, mit der sie sich den Zugriff auf Geld des Bahnkunden zum Ausgleich des Fehlbetrages von 98 DM verschaffte. Hierbei handelt es sich aber nicht um zusätzliches Unrecht, sondern um ein Mittel zur Tatbegehung. Die Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt mit der Folge der grundsätzlichen Dienstentfernung war unter anderem nur aufgrund der mittels der Urkundenfälschung bewirkten Kassenmanipulation gerechtfertigt. Deshalb kann die Urkundenfälschung nicht ein zweites Mal erschwerend herangezogen werden und zur Versagung des Milderungsgrundes führen. Die konkrete Tatausführung wiederum ist unter Berücksichtigung aller Umstände nicht derart kriminell, dass der Beamtin der Milderungsgrund zu versagen wäre.

Danach ist es gerechtfertigt, von einer Dienstentfernung abzusehen und die Beamtin in das Amt einer Postsekretärin herabzustufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.

 

Unterschriften

Albers, Mayer

Richter am BVerwG Prof. Dr. Dörig ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben.

Albers

 

Fundstellen

BVerwGE, 308

ZBR 2002, 439

DÖD 2003, 38

DÖV 2003, 33

PersV 2003, 272

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