Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Verschulden bei Vertragsabschluss. culpa in contrahendo; Vorhaben- und Erschließungsplan

 

Leitsatz (amtlich)

Für Ansprüche aus Verschulden bei der Anbahnung oder dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (culpa in contrahendo) aus Gründen, die typischerweise auch Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein können, sind die ordentlichen Gerichte zuständig (im Anschluss an BGH, Urteil vom 3. Oktober 1985 – III ZR 60/84 – NJW 1986, 1109).

 

Normenkette

VwGO § 40 Abs. 2 S. 1; GVG § 17 Abs. 2, § 17a Abs. 2, 4

 

Verfahrensgang

Thüringer OVG (Beschluss vom 22.08.2001; Aktenzeichen 1 ZO 651/99)

VG Gera (Beschluss vom 28.07.1999; Aktenzeichen 4 K 377/99.GE)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 2001 aufgehoben. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 28. Juli 1999 – 4 K 377/99.GE – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten beider Beschwerdeverfahren.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird für beide Instanzen auf jeweils 10 000 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt von der beklagten Stadt Schadensersatz nach den Grundsätzen des Verschuldens beim Vertragsabschluss (culpa in contrahendo). Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks, für das sie zunächst mehrfach vergeblich versucht hatte, eine Baugenehmigung bzw. einen Bauvorbescheid zu erhalten. Am 23. Januar 1996 stellte sie beim Stadtplanungsamt der Beklagten den Antrag, ein Verfahren zur Aufstellung eines Vorhaben- und Erschließungsplans (nach § 7 BauGB-MaßnahmenG 1993) einzuleiten. Am 21. Juli 1997 beschloss der Rat der Beklagten die Einleitung eines derartigen Verfahrens. Wegen zwischenzeitlich aufgetretener Schwierigkeiten lehnte sein Bau- und Wirtschaftsausschuss am 26. Januar 1998 die Weiterführung des Verfahrens ab. Daraufhin zog die Klägerin ihren Antrag zurück, wobei sie die Hoffnung äußerte, dass es einen Ausgleich für den ihr entstandenen Schaden geben werde. Im Mai 1998 wurde der Klägerin die Baugenehmigung für ein anderes Bauvorhaben auf dem Grundstück erteilt.

Die Klägerin hat am 14. April 1999 beim Verwaltungsgericht Gera Klage mit dem Ziel erhoben, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 117 800 DM zu verurteilen.

Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 28. Juli 1999 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Gera verwiesen (NJW 1999, 3574). Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Thüringer Oberverwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt (NJW 2002, 386). Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen weiteren Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige weitere Beschwerde (vgl. § 17 a Abs. 4 Satz 4, 6 GVG) hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist für den vorliegend geltend gemachten Anspruch der ordentliche Rechtsweg gegeben. Daher hat es bei der vom Verwaltungsgericht beschlossenen Verweisung an das Landgericht zu bleiben.

1. Die Klägerin macht einen Schadensersatzanspruch aus der Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht geltend, der nicht auf einem Vertrag beruht. Hierfür ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (§ 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Die Klägerin hat bei der beklagten Stadt die Einleitung eines Verfahrens beantragt, in dem ein Vorhaben- und Erschließungsplan beschlossen werden sollte. Über einen derartigen Antrag des Vorhabenträgers hat die Gemeinde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Im Anschluss daran findet eine Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange statt. Der endgültige Beschluss erfolgt durch Satzung, die der höheren Verwaltungsbehörde anzuzeigen ist (§ 7 Abs. 3 BauGB-MaßnahmenG 1993). Die Durchführung der im Plan beschlossenen Vorhaben ist Gegenstand eines Vertrags, in dem auch die Frage der Tragung der Kosten für die Planung und die Erschließung geregelt wird (§ 7 Abs. 1 BauGB-MaßnahmenG 1993). Im vorliegenden Fall ist es unstreitig nicht zum Abschluss eines derartigen Vertrags gekommen. Im Hinblick auf die entstandenen Schwierigkeiten wurde das Verfahren bereits nach Anhörung der Träger öffentlicher Belange beendet.

Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres Schadensersatzanspruchs auf Verschulden bei Vertragsabschluss (culpa in contrahendo). Zur Begründung führt sie aus, der Schaden wäre nicht entstanden, wenn die Beklagte sie früher darauf aufmerksam gemacht hätte, dass das Verfahren zum Vorhaben- und Erschließungsplan nicht Erfolg versprechend sei. Für einen derartigen Anspruch ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die mit derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang steht:

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 3. Oktober 1985 – III ZR 60/84 – (NJW 1986, 1109) im Anschluss an frühere Entscheidungen (Urteile vom 21. Dezember 1964 – III ZR 70/63 – BGHZ 43, 34; 8. Juni 1978 – III ZR 48/76 – BGHZ 71, 386; 7. Februar 1980 – III ZR 23/78 – BGHZ 76, 343) hervorgehoben, dass auch nach der seit dem 1. Januar 1977 geltenden Neufassung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO Ansprüche aus Verschulden bei der Anbahnung oder dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (culpa in contrahendo) vor die Zivilgerichte gehören, wenn sie in engem Zusammenhang mit Amtshaftungsansprüchen stehen. In solchen Fällen werde eine getrennte Beurteilung von (deliktischen) Amtspflichten und vorvertraglichen Pflichten dem Streitverhältnis nicht gerecht und vernachlässige die sachliche Nähe der beiden Ansprüche. Anderes gelte, wenn ein Kläger die Erstattung von Leistungen verlange, die er auf Grund eines Vertrags oder im Blick auf einen noch abzuschließenden umfassenden Vertrag erbracht habe. Denn derartige Erstattungs- und Bereicherungsansprüche stellten die Kehrseite des Leistungsanspruchs dar und seien im selben Rechtsweg zu verfolgen wie dieser.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hat – in Anwendung der vor dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO – den Rechtsweg zu den Zivilgerichten davon abhängig gemacht, dass ein Sachzusammenhang mit einem Amtshaftungsanspruch besteht und dieser aktuell ist (vgl. Urteil vom 29. Mai 1973 – BVerwG VII C 2.72 – (DÖV 1974, 133 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 125). In der vorgenannten Entscheidung hat es den Verwaltungsrechtsweg für einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nur deshalb bejaht, weil dieser im Sachzusammenhang mit dem Anspruch auf Erfüllung des Vertrags stand. Es hat ausgeführt, dies müsse auch dann gelten, wenn erst die Auslegung des Vertragsinhalts ergebe, dass der Vertrag unwirksam sei. Auch das Urteil des beschließenden Senats vom 17. Februar 1971 – BVerwG IV C 86.68 – (BVerwGE 37, 231) stellt auf den aktuellen Sachzusammenhang zu Ansprüchen aus Amtshaftung ab.

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Von einem derartigen Sachzusammenhang ist bei denjenigen Ansprüchen wegen Verschuldens beim Vertragsabschluss auszugehen, deren Entstehungsgründe typischerweise auch Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein können, unabhängig davon, ob im Einzelfall ein solcher auch geltend gemacht wird. Dazu gehören insbesondere Fälle, in denen die Verletzung einer Beratungs- oder Auskunftspflicht (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 3. Mai 2001 – III ZR 191/00BauR 2001, 1404 und vom 6. Februar 1997 – III ZR 241/95NVwZ 1997, 1243) oder Vertrauensschutz geltend gemacht wird.

Soweit dagegen der Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo neben Ansprüchen aus einem Vertrag geltend gemacht wird, fordert der Sachzusammenhang den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten. Dies gilt auch dann, wenn (erst) die Auslegung des Vertragsinhalts ergibt, dass der Vertrag unwirksam ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1973 – BVerwG VII C 2.72 – a.a.O.). Die Verwaltungsgerichte sind auch insoweit zuständig, als die Erstattung von Leistungen verlangt wird, die auf Grund eines Vertrages oder im Blick auf einen noch abzuschließenden umfassenden Vertrag erbracht worden sind. Derartige Erstattungs- und Bereicherungssansprüche stellen die Kehrseite des Leistungsanspruchs dar und sind daher im selben Rechtsweg zu verfolgen wie dieser (BGH, Urteil vom 3. Oktober 1985 – III ZR 60/84 – a.a.O.).

2. Das Oberverwaltungsgericht wendet gegen die in der Rechtsprechung entwickelte Differenzierung ein, diese führe zu zufälligen Ergebnissen. Die Zuweisung zu dem einen oder anderen Rechtsweg könne nicht von der jeweiligen Prozesslage und dem Parteivorbringen abhängen. Dem ist nicht zu folgen. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Werden aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt mehrere Ansprüche geltend gemacht, die teilweise dem einen, teilweise einem anderen Rechtsweg zuzuordnen sind, verbleibt es bei der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts. Bei der Zusammenstellung der Ansprüche scheiden lediglich diejenigen aus, die offensichtlich nicht gegeben und insbesondere erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel erhoben worden sind, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können (VGH Mannheim, Urteil vom 12. März 1993 – 8 S 2554/92 – ≪juris≫). Damit hat es der Gesetzgeber dem Kläger innerhalb der umschriebenen Grenzen durchaus möglich gemacht, mit seinem Parteivorbringen den zulässigen Rechtsweg zu bestimmen. Das angerufene Gericht bleibt auch dann zuständig, wenn sich später herausstellt, dass über die Klage auf einer anderen rechtlichen Grundlage zu entscheiden ist und die betreffende Rechtsmaterie einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist. Damit nimmt der Gesetzgeber seit der Novellierung von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die sich aus dem Vortrag des Klägers und weiteren Besonderheiten des Einzelfalls ergeben. Dahinter tritt die Regel, dass die Gerichte einer Gerichtsbarkeit nur über die ihnen abstrakt zugewiesenen Rechtsgebiete zu entscheiden haben, zurück. Der Gesetzgeber wollte damit erklärtermaßen der Gleichwertigkeit der Gerichtszweige sowie praktischen Bedürfnissen Rechnung tragen (vgl. BTDrucks 11/7030 S. 36; vgl. auch Kissel, Rn. 48 zu § 17 GVG: „Abkehr von der seitherigen Rechtstradition”). Die in § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG geregelte Ausnahme ist der Verfassungsrechtslage geschuldet, stellt die genannte Zielrichtung jedoch nicht in Frage. Ähnliches ergibt sich aus den weiteren 1990 eingefügten Regelungen, durch die eine Verweisung in höherer Instanz nach möglicherweise jahrelangem Rechtsstreit in der Hauptsache vermieden werden soll (vgl. § 17 a GVG und BTDrucks 11/7030 S. 36).

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, das sich insoweit auch auf Stimmen aus der Literatur stützt, besteht keine Notwendigkeit, alle Fälle, in denen sich ein Kläger auf culpa in contrahendo als Anspruchsgrundlage stützt, derselben Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Vielmehr ist von einer „Vielfalt der im vorvertraglichen Stadium entstehenden Pflichten” (so ausdrücklich der Regierungsentwurf zum jetzt in Kraft getretenen § 311 Abs. 2 BGB, BTDrucks 14/6040 S. 161) auszugehen. Es handelt sich um ein „gesetzliches Schuldverhältnis im Vorfeld eines Vertrags” (BTDrucks 14/6040 S. 162). Damit steht im Einklang, dass im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung je nach Fallgestaltung der Rechtsstreit eher durch die Sachnähe zum Vertrag oder zum gesetzlichen Schuldverhältnis der Amtshaftung geprägt sein kann.

Auch soweit sich das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die Kommentierung von Schmidt-Aßmann (in: Maunz-Dürig, Rn. 231 zu Art. 19 Abs. 4 GG) auf ein verfassungsrechtliches „Gebot der Rechtswegklarheit” beruft, gebietet dies kein anderes Ergebnis. Denn die Verfassung fordert hierbei nicht eine dogmatisch bestmöglich zu begründende objektive Abgrenzung. Vielmehr geht es darum, dass dem Rechtsuchenden wirkungsvoller Rechtsschutz zur Verfügung steht und Abgrenzungsschwierigkeiten nicht auf seinem Rücken ausgetragen werden, so dass er gar Gefahr läuft, durch Ablauf von Fristen sein behauptetes Recht nicht rechtzeitig wahren zu können (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 25. März 1981 – 2 BvR 1258/79 – BVerfGE 57, 9 ≪22≫).

3. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass es bei der vom Verwaltungsgericht angeordneten Verweisung an das zuständige Landgericht zu bleiben hat. Denn der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch kann typischerweise auch Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein. Sie macht geltend, die beklagte Stadt hätte sie besser beraten müssen. Dann hätte sie keinen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens mit dem Ziel gestellt, einen Vorhaben- und Erschließungsplan zu erlassen und einen Durchführungsvertrag zu schließen. Dadurch wären ihr aufgewendete Kosten erspart geblieben. Sie beruft sich somit auf eine jedem potentiellen Interessenten an einer Bebauung des betroffenen Grundstücks gegenüber bestehende Beratungspflicht der beklagten Stadt. Ihr Ziel ist darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als hätte sie sich nie um den Abschluss eines Vertrags bemüht. Erstattungs- oder Bereicherungsansprüche beispielsweise im Zusammenhang mit einem nicht wirksam gewordenen Vertragsverhältnis (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1973 – BVerwG VII C 2.72 – a.a.O.) sind hier nicht im Streit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Paetow, Rojahn, Jannasch

 

Fundstellen

BauR 2002, 1518

ZAP 2002, 914

JA 2002, 936

JZ 2003, 208

JuS 2003, 201

ZfBR 2002, 691

DVBl. 2002, 1555

DVBl. 2002, 1648

UPR 2003, 111

FSt 2003, 81

KammerForum 2002, 382

SächsVBl. 2002, 293

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