Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwehrklage gegen das Zeitschlagen von Kirchenglocken. Rechtsweg. Anwendungsbereich des § 17 a Abs. 5 GVG. Rechtsnatur des Zeitschlagens von Kirchenglocken

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, welcher Rechtsweg für eine Nachbarklage gegen das Zeitschlagen von Kirchenglocken gegeben ist.

 

Normenkette

GVG §§ 13, 17a

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Beschluss vom 06.10.1993; Aktenzeichen 22 B 93.1300)

VG München (Entscheidung vom 02.03.1993; Aktenzeichen 16 K 92.2177)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich gegen das Zeit schlagen der Glocken der ihm benachbarten Kirche. Das Verwaltungsgericht, das entgegen einer entsprechenden Rüge der Beklagten den Verwaltungsrechtsweg für gegeben hielt, hat die Klage abgewiesen, weil keine unzumutbare Lärmbelästigung gegeben sei. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof den Rechtsstreit an das Landgericht München II verwiesen, weil der Verwaltungsrechtsweg unzulässig sei. Zur Begründung hat er ausgeführt: Er sei nicht gehindert, die Zulässigkeit des Rechtsweges zu prüfen. § 17 a Abs. 5 GVG sei nicht anwendbar, weil das Verwaltungsgericht es unter Verstoß gegen § 17 a Abs. 3 GVG versäumt habe, vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler erlaube es dem Berufungsgericht, auf eine entsprechende Rüge hin das Verfahren wieder auf den gesetzlich vorgeschriebenen Weg zu bringen und so zu verfahren, wie wenn ein Beschluß nach § 17 a Abs. 3 GVG ergangen wäre. Der Verwaltungsrechtsweg sei nicht gegeben, weil der Glockenschlag zur Zeitangabe sich jedenfalls heutzutage und im Gegensatz zum liturgischen Glockengeläut nicht generell als typische Lebensäußerung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Kirche qualifizieren lasse. Wenn sogar die Beklagte das Zeitschlagen privatrechtlich beurteilt wissen wolle, spreche daraus ein kirchliches Selbstverständnis, das diese „nichtsakrale Nebenaufgabe im Randbereich kirchlicher Tätigkeit” aus dem spezifisch kirchlichen Wirken gerade ausklammere. Es könne offenbleiben, ob das kirchliche Selbstbestimmungsrecht es nicht geradezu gebiete, dieses Selbstverständnis staatlicherseits zu berücksichtigen. Weder die Herkunft der Glocken oder ihre Finanzierung noch die Frage, ob es sich beim Zeitschlagen um eine öffentliche Aufgabe handele, sei für die Rechtswegfrage erheblich; für letzteres ergebe sich dies daraus, daß es keinen Rechtssatz gebe, der den Schluß von einer öffentlichen Aufgabe auf die öffentlich-rechtliche Form ihrer Wahrnehmung zulasse.

Mit seiner durch den Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Beschwerde macht der Kläger geltend, daß das Berufungsgericht durch § 17 a Abs. 5 GVG gehindert gewesen sei, über die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges zu entscheiden. Abgesehen davon handele es sich um eine Verwaltungsstreitigkeit; denn die Kirche versuche, sich unter Berufung auf ihren Sonderstatus über die immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen auch beim Glockenschlag zur Zeitangabe hinwegzusetzen. Sie habe die Glocken als öffentliche Sachen auch dem nichtsakralen Geläut gewidmet in der Meinung, auch insoweit hoheitliche Befugnisse ausüben zu können. Schließlich sei die Differenzierung nach liturgischem und nichtsakralem Glockengeläut zur Bestimmung des richtigen Rechtsweges auch aus prozeßökonomischen Gründen nicht vertretbar, weil sie dazu führen könne, daß für einen einheitlichen Lebensvorgang zwei Gerichte unterschiedlichen Rechtsweges zu entscheiden hätten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Rechtsweg formell und materiell zutreffend entschieden.

Da das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG nicht vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges befunden und die Beklagte in der Berufungsinstanz an ihrer Zuständigkeitsrüge festgehalten hat, mußte der Verwaltungsgerichtshof prüfen und entscheiden, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. § 17 a Abs. 5 GVG ist in einem solchen Fall nicht anwendbar, weil andernfalls die in § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG eingeräumte Möglichkeit, die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges auch im Fall ihrer Bejahung durch das Gericht erster Instanz durch das Rechtsmittelgericht prüfen zu lassen, aufgrund eines Verfahrensfehlers des Gerichts abgeschnitten würde (vgl. BGHZ 119, 246 ≪250≫; BGH, NJW 1993, 1799). Eine solche Rechtswegkontrolle durch die übergeordnete Instanz unterliegt bei ordnungsgemäßem Verfahren der Disposition der Beteiligten, denen es freisteht, die Entscheidung der ersten Instanz zu akzeptieren oder sie mit der Beschwerde anzugreifen. Diese Kontrolle wird deshalb auch unter den hier gegebenen Voraussetzungen nur auf eine ausdrückliche Rüge hin eröffnet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Verwaltungsrechtsweg zu Recht verneint, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, die nach § 13 GVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Maßgeblich für die Rechtswegfrage ist, ob die Handlung der Beklagten, gegen die der Kläger sich wendet, hoheitlicher oder privater Natur ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt nicht entscheidend davon ab, daß es sich bei der Beklagten um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und bei den Glocken, um deren Benutzung es geht, um res sacrae und damit um öffentliche Sachen handelt; denn nicht jede Tätigkeit eines Trägers öffentlicher Verwaltung ist schon allein wegen dieses Status dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Ebensowenig ist die Benutzung einer durch Widmung einem öffentlich-rechtlichen Regime unterworfenen Sache immer öffentlich-rechtlicher Natur, selbst wenn der Benutzer öffentlich-rechtlich organisiert ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die öffentliche Sache im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Zweckbindung genutzt wird, oder ob es sich um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb des Widmungszwecks handelt. Da das nichtsakrale Glockenschlagen unter heutigen Lebensbedingungen nicht mehr dem Bereich kirchlicher Tätigkeit zugeordnet werden kann, in dem die allgemeinen Gesetze nur eingeschränkt gelten (BVerwGE 90, 163 ≪167≫), könnte – wenn überhaupt – eine fortbestehende öffentlich-rechtliche Zweckbindung der Glocken für diese Art ihrer Nutzung allenfalls dann angenommen werden, wenn sie vom Widmungszweck nach wie vor umfaßt würde. Davon kann jedoch keine Rede sein im Blick auf das Vorbringen der Beklagten, es handele sich bei dem Zeitschlagen nach ihrem Selbstverständnis nicht um eine ihrem Sonderstatus zuzurechnende Tätigkeit, sondern um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb eines sakralen Widmungszwecks.

Zwar ist dem Kläger einzuräumen, daß die differenzierte Beantwortung der Rechtswegfrage nach dem Zweck des Läutens zu unerwünschten Rechtswegaufspaltungen führen kann, wenn ein Nachbar das Geläut der Kirchenglocken insgesamt bekämpft, ohne nach der Art des Läutens zu unterscheiden. Diese Folge ist jedoch wegen der Doppelnatur öffentlicher Sachen, deren Gebrauch sowohl Ausübung öffentlich-rechtlicher Sachherrschaft wie Nutzung von Eigentümerbefugnissen sein kann, unvermeidlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Bertrams, Kley

 

Fundstellen

Dokument-Index HI845586

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